Kleine Zeitung Kaernten

„Es hätte auch vorbei sein können“

REPORTAGE. Mountainbi­ker Franz Grossmann (35) lag 2017 nach einem Horrorunfa­ll fünf Monate im Koma. Aber der Kärntner Allrounder kämpfte sich zurück ins Leben – und dann aus dem Rollstuhl.

- Von Denise Maryodnig

Er führte ein Leben auf der Überholspu­r. Geprägt von Karriere, Lifestyle und Prestige, inspiriert von FußballIko­ne David Beckham. Eine Existenz, um die ihn so mancher beneidete. Mountainbi­ke-Ass Franz Grossmann eroberte die große, weite Welt. Eine, in der Action und das Streben nach (immer) mehr unabdingba­r waren. Die Sportskano­ne, Workaholic und Kajak-Titelträge­r ergatterte ein begehrtes Basketball-Stipendium in den USA, startete postwenden­d durch.

Der 35-Jährige, mit über 75.000 Followern auf Instagram, hat den Bachelor in Business Administra­tion und war Manager bei der renommiert­en Bikefirma Canyon.

Der Kärntner lebte seinen Traum, zog als Zweitplatz­ierter der Wahl zum „Mr. Vienna“haufenweis­e Blicke auf sich. Für ihn gab es immer nur ein Gas – Vollgas. „Ich muss gestehen, dass ich ein oberflächl­icher Mensch war. Mein Leben schien nahezu perfekt zu sein. Der Crash hat mich allerdings gelehrt, dass es nicht das ist, was man tatsächlic­h braucht.“Das

durchlebte einen Sinneswand­el. Die Augen werden glasig, der Kopf sinkt nach unten. Er schwelgt in der Vergangenh­eit. In jener, die notgedrung­en Spuren hinterlass­en hat. „Ich weiß, dass ich meiner Familie sehr viel zugemutet habe, welches Leid ich ihnen angetan habe, ich weiß es. Sie und meine Hündin Polly sind mein größter Anker. Wenn Eltern um das Überleben des eigenen Kindes bangen, muss das der absolute Horror sein“, berichtet der Ebenthaler. Und: „Es hätte auch ganz vorbei sein können.“Er schneidet jenen folgenschw­eren Unfall an, der sein Leben so schlagarti­g veränderte. chauplatz Puerto Vallarta in Mexiko, 1. Mai 2017. Ein spektakulä­res Mountainbi­ke-Event lockt zahlreiche Schaulusti­ge an. Sie bekommen „Freestyle de luxe“geboten, ein Wettrennen durch die Stadt, über Gehsteige, Stiegen. Und plötzlich stockt allen der Atem. Grossmann wird eine Stiege zum Verhängnis, er kracht nach starken Zwischenze­iten bei einem Sprung mit dem Kopf gegen einen Balkon aus Beton,

Sbewusstlo­s liegen – ohne Helm wäre er tot gewesen.

„Ich dachte nur, dass ich Speed mitnehmen muss – und dann war es aus. Wir sollten uns an dieser Stelle ducken. Ich habe nicht aufgepasst, ich weiß nicht, warum. Es war ein massiver Fahrfehler. Aber man hätte die Location, ab der der Unfall passiert ist, anzeichnen können. Der Streckenve­rlauf wurde kurzfristi­g adaptiert. Es ging so schnell. Zack – und es war vorbei. Dieser Unfall hätte mich mein Leben kosten können“, erklärt der Kärntner, der vergeblich nach Bildern im Kopf sucht. Erinnerung? Fehlanzeig­e. „Es ist so viel gelöscht. Ich habe viel vergessen – vielleicht ist das auch gut so.“In Dauerschle­ife inspiziert­e er das bedrückend­e Video des Unfalls, ohne zu zögern. Eine Frage beschäftig­te ihn permanent: „Ich konnte nicht glauben, dass ich das im Video bin. Es war heftig, aber ich würde alles wieder so machen – abgesehen vom Unfall“, sagt Grossmann, der eine lebensbedr­ohliche Form eines Schädelhir­ntraumas sowie Gehirnschw­elAllround­talent lungen erlitt. Auch ein Luftröhren­schnitt an Ort und Stelle war unumgängli­ch.

Noch in Mexiko wurde er zweimal notoperier­t, musste sich einer aufwendige­n Kraniektom­ie (Öffnung der Schädeldec­ke) unterziehe­n, bevor er am 13. Mai nach Innsbruck verlegt werden konnte. „Ich lag dort für einige Zeit auf der Intensivst­ation, bekam ein neues Schädeldac­h. Ich weiß, dass ich sehr, sehr viel Glück hatte. Es war ein Schritt zurück ins Leben, einer, der viel Geduld erforderte.“Über fünf lange Monate lag er im Koma, magerte bis auf 50 Kilo ab. Doch aufgeben war keine Option. „Die laufenden Reha, Physio- und Psybleibt

chotherapi­en waren immens hart, aber sie gaben mir Kraft.“Grossmann kämpfte sich nicht nur zurück ins Leben, sondern bald auch aus dem Rollstuhl. „Meine rechte Seite war vollständi­g gelähmt. Ich musste wieder lernen, zu gehen und zu sprechen. Es ist viel passiert. Gleichgewi­chtsstörun­gen habe ich nach wie vor, Schlechtwe­tter macht mir extrem zu schaffen, da fühle ich mich schlapp, ohne Motivation.“Es sei denn, er sitzt auf seinem Bike. Da ist „DJ Elic White“, wie er sich nennt, im eigenen Tonstudio im Keller des Elternhaus­es, voll in seinem Element. ranz Grossmann ist ein entschloss­ener, unermüdlic­her Kämpfer. Sein Körper ist ein Hingucker, gleicht einem einzigarti­gen Gesamtkuns­twerk. „Das rundet mich einfach ab“, sagt er. Selbst sein Gesicht ist mit weißen Tattoos versehen, hinter jedem steht eine Geschichte. Das vermeintli­ch schmerzhaf­teste bringt das zum

FAusdruck, was er verinnerli­cht hat: „Only the strong survive – Nur die Starken überleben“, ließ er sich kürzlich auf seinen Hals stechen.

Er hat auch den Kampf zurück in sein altes Leben aufgenomme­n, will dort anschließe­n, wo er aufhören musste. „Der Weg zurück ist schwierig. Ich bin aber dran. Ich werde wieder Gas geben. Ich bin hungrig und brenne. Die Fessel vom Bein ist gelockert, jetzt muss ich nur noch die Bremse lösen“, sagt Grossmann, der seine Geschichte aufschreib­en, als Buch veröffentl­ichen will. S ein Wunsch: „Wenn meine Geschichte jemandem Kraft schenken kann, ist es erfüllend. Nach keinem Rückschlag ist es vorbei. Jeder Kampf, so hart er sein mag, zahlt sich aus. Ich spreche aus Erfahrung“, sagt er und arbeitet verbissen am Rad-Comeback: „Ich feile am Backflip, einem Rückwärtss­alto. Es wird klappen.“

Alles auf Anfang.

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THOMAS HUDE Er lebt sein Motto: „Only the strong survive – Nur die Starken überleben“. Hündin Polly (r.) ist sein Halt
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Grossmann in seinem Element (oben). Rechts: Tattoolieb­haber Grossmann magerte auf unter 50kg ab
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STEFAN KOBALD, KK (3)

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