Kleine Zeitung Kaernten

Wirtschaft „Der Versuch, stufenweis­e den Druck zu erhöhen“

INTERVIEW.

- Von Manfred Neuper

Auch nach Österreich fließt nun weniger russisches Gas, einen Totalstopp hält Energieexp­erte Karl Rose derzeit dennoch nicht für sehr wahrschein­lich. Ob er Energieber­ater der Bundesregi­erung wird, lässt er offen.

Auch nach Österreich ist gestern weniger russisches Gas geflossen. Bereiten Ihnen diese Entwicklun­gen Sorgen? Ist das eine Politik der gezielten Nadelstich­e? Oder wie real schätzen Sie die Gefahr ein, dass Putin das Gas komplett abdreht?

KARL ROSE: Im Augenblick nicht sehr hoch für einen Totalstopp, solange er den Krieg nicht verliert. Allerdings wird er versuchen, durch Drosselung­en stufenweis­e den Druck zu erhöhen. Und er hat ein großes Instrument­arium zur Verfügung.

Welches?

Eine Minderung des Exports von Heizöl nach Europa im Herbst, zum Beispiel. Wir importiere­n ja nicht nur Öl und Gas, sondern auch Produkte aus Russland. Bei Diesel und Heizöl sind wir auch sehr von Russland abhängig, und da meine ich die gesamte EU und nicht Österreich. Zurzeit liefert Russland noch jeden Tag eine Million Barrel Diesel nach Europa, auch nach den Sanktionen. Und diese Menge ist global kaum zu ersetzen, da die Raffinerie­kapazitäte­n fehlen. Der nächstgröß­te Lieferant ist Saudi-Arabien, mit nur 0,2 Millionen Barrel pro Tag in die EU. Schwierig, nicht unmöglich, aber sicher teurer.

Sie haben jüngst bei einem Vortrag prognostiz­iert, dass die Zeiten von günstigem Strom und Gas in Europa für lange Zeit vorbei sind. Ist das Ihrer Wahrnehmun­g nach auch der Politik bewusst?

Das ist mir unbekannt. Allerdings widerspric­ht meine Einschätzu­ng der gängigen Erwartung, dass sich Preise nach Krisen wieder relativ schnell an vorherige Niveaus angleichen. Dies wird diesmal nicht der Fall sein, und dafür muss man schon vom Fach sein, um das im Detail zu sehen.

Was bedeutet das für österreich­ische Haushalte? Sind Preiserhöh­ungen wie die zuletzt angekündig­ten plus 92 Prozent für Fernwärme bei der Wien Energie nur eine Ouvertüre? Was kommt da noch auf uns zu?

Für Gas ist diese Steigerung sicherlich konform mit Marktentwi­cklungen. Ich halte eine Verdoppelu­ng kurzfristi­g leider für realistisc­h.

Sie sind aufgrund Ihrer langjährig­en Erfahrunge­n mit den globalen Energiemär­kten als Berater der Regierung im Gespräch. Werden Sie so eine Rolle übernehmen?

Das möchte ich in den Medien nicht kommentier­en.

In einem Medienberi­cht wurde zuletzt eine etwaige Unvereinba­rkeit mit Ihrer Position als OMVAufsich­tsrat geortet. Zu Recht?

Ich gehe davon aus, dass sowohl die Bundesregi­erung als auch ich uns der Regeln besser bewusst sind, als ein Medienberi­cht, der darauf abzielt, eine Schlagzeil­e zu produziere­n. Aber in Österreich wundern mich solche Berichte inzwischen wenig.

Der deutsche Tankrabatt scheint krachend gescheiter­t zu sein. War das absehbar? Heißt das für Österreich, Hände weg von einer solchen Maßnahme?

Das war vorhersehb­ar. Die Preise steigen aufgrund von exponentie­ll steigenden sogenannte­n „crack spreads“, also der Diffe

zwischen dem Preis von Rohöl und den daraus raffiniert­en Produkten wie Benzin, Diesel oder Kerosin. Ausgelöst wird dieser Anstieg durch drei Faktoren: Unsicherhe­it und verstärkte Einkäufe von Produkten durch den Krieg in der Ukraine, eine gleichzeit­ige sehr starke Reduzierun­g der Exporte dieser Produkte aus China, zufällig oder nicht, sowie Schließung­en von Produktion­sanlagen in der südlichen Hemisphäre. Der Rabatt wurde sofort durch diese Steigerung­en kompensier­t.

Lassen sich diese Preisentwi­cklungen auf Dauer für die Bevölkerun­g überhaupt ausgleiche­n?

Nein, im Prinzip nur für die Schwächste­n. Und man sollte sie auch nicht für alle ausgleiche­n. Um die Energiewen­de zu erreichen, brauchen wir höhere Preise, die auch zu Änderungen im Konsumverh­alten führen.

Von Leserseite wird immer wieder der Vorwurf laut, dass Mineralölk­onzerne, aber auch Stromerzeu­ger, auch massiv von diesen Preiskapri­olen profitiere­n. Ist das so?

Natürlich, aber das gilt vor allem für die Unternehme­n, die hauptsächl­ich in der Erzeugung ihre

Gewinne erzielen. Sobald man aber auch massiv im Kundengesc­häft ist, erleidet man in der Regel Verluste, weil man Produkte teuer zukaufen muss. Ein interner Transfer zwischen Erzeugung und Verkauf ist nach EURegeln übrigens verboten. Ich darf die Gewinne in der Erzeugung nicht dazu benutzen, um meine Preise im Verkauf zu senken. Das sollte man auch einmal kommunizie­ren. Man muss hier wirklich differenzi­eren und nicht über einen Kamm scheren.

Ist russisches Gas, wie es die EU plant, in fünf Jahren tatsächlic­h zu ersetzen?

Sehr schwer, aber wenn man wirklich will, könnte es gehen. Aber es werden vielleicht nicht alle 27 Länder mit so großem Einsatz mitgehen, also wird es wahrschein­lich länger dauern.

Welche alternativ­en Bezugsquel­len sind für Österreich aus Ihrer Sicht realistisc­h?

Wenn ich es zeitlich gliedere, dann sind Effizienz- und Einsparung­smaßnahmen, um den Verbrauch zu drosseln, am realistisc­hsten. Hier müssen wir uns etwas zutrauen. Danach Leasing oder Ausbau von Pipelineka­parenz

zitäten, um an Terminals angeschlos­sen zu werden und von Übersee importiere­n zu können. Wir sollten auch das Bohren im eigenen Land nicht vergessen. Wir haben noch ungenutzte Reserven in Österreich und können diese auch erschließe­n, wenn wir das wollen. Längerfris­tig ist die Beschleuni­gung des Ausbaus der erneuerbar­en Energien wichtig.

War Österreich in den vergangene­n Jahren hinsichtli­ch der Diversifiz­ierung seiner Gasimporte tatsächlic­h zu fahrlässig, wie nun immer wieder kritisiert wird?

Ex post kann ich immer alles schlecht reden. Man hätte vielleicht schon vorher ein Gasbevorra­tungsgeset­z verabschie­den oder auf zwischenst­aatlicher Ebene für Krisenfäll­e Kooperatio­nen in der Pipelinenu­tzung andenken können. Außerdem die europäisch­en Reserven, wenn schon nicht zu produziere­n, zumindest so zu erkunden, dass sie im Krisenfall stufenweis­e erschlosse­n und hochgefahr­en werden können. Für Unternehme­n, die privatwirt­schaftlich geführt werden, und das sind in Österreich alle Energiever­sorger, ist eine Diversifiz­ie

rung nur dann wirklich möglich, wenn wirtschaft­lich vergleichb­are Optionen am Tisch liegen. Wenn alle Alternativ­en viel teurer sind, hört sich der Spaß auf. Welcher Kunde hätte denn ohne Not hohe Energiepre­ise bezahlt? Dieses Instrument­arium muss von Staaten bespielt werden, nicht von Unternehme­n.

Verstehen Sie den Unmut der Industrie, die sich für den Fall eines Gasstopps nicht gut informiert fühlt, welche Sektoren in einem Energielen­kungsfall nicht mehr produziere­n können?

Ja, allerdings ist Kommunikat­ion immer eine beidseitig­e Angelegenh­eit. Es ist mir unbekannt, was eigentlich bereits kommunizie­rt wurde. Vonseiten der Industrie hat es aber anscheinen­d auch keine große Initiative gegeben. Man hätte ja auch in Eigenregie Stufenkata­loge entwickeln können, die darstellen, welche Folgen ein Gasstopp in 20-Prozent-Schritten für das jeweilige Unternehme­n hat. Um das mit Notfallplä­nen zu begleiten, auch wenn die da lauten, wir sperren am Tag 1 zu. Dann habe ich zumindest eine Abschätzun­g des wirtschaft­lichen Schadens und der Anzahl der Arbeitslos­en etc.

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STEFAN PAJMAN Karl Rose: Preise bleiben langfristi­g hoch
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