Kleine Zeitung Kaernten

Der diskrete Charme eines Grundeinko­mmens

ESSAY. Die Häufung von Krisen lässt wieder einmal den Ruf laut werden, den Sozialstaa­t neu zu denken. Kann ein Grundeinko­mmen Alleslöser für schwierige Gerechtigk­eitsproble­me sein?

- Von Michael Steiner

Der Kampf gegen Inflation mit seinen vielfältig­en Maßnahmen gegen ihre sozialen Folgen, ebenso wie Entlastung­en angesichts der individuel­len Kosten von Klimapaket­en bringen neue Anstöße zur Reform von Verteilung­sund Sozialpoli­tik. Über die Berechnung­en hinaus, wer wie viel bekommt und wie groß die Gesamtsumm­e an Hilfen ist, geht es um Fragen der Eigendynam­ik der Maßnahmen, der damit verbundene­n Wirkungen und Anreize positiver wie negativer Natur, darum, wer die langfristi­gen Folgen der nicht unbeträcht­lichen Ausgaben zu tragen hat, und nicht zuletzt, wie viel an Gerechtigk­eit dadurch entsteht.

Im Kontext dieser Grundfrage­n von Sozialpoli­tik wird auch immer wieder das Grundeinko­mmen als ein radikaler Vorschlag zu ihrer Reform vorgebrach­t. Das darauf abzielende Volksbegeh­ren im Mai hat immerhin knapp 170.000 Unterschri­ften bekommen, in der Schweiz wurden schon mehrfach dazu Volksabsti­mmungen durchgefüh­rt (eine weitere Volksiniti­ative ist am Laufen). Die Debatte um ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen ist ein gutes

Beispiel für die Ambivalenz und die Schwierigk­eiten sozialpoli­tischer Reformen.

In seiner Grundkonze­ption bedeutet es ein regelmäßig anfallende­s, in Geld an Einzelpers­onen (und nicht an Haushalte) ausbezahlt­es Einkommen für alle Mitglieder einer Gesellscha­ft bzw. eines Staates (wie immer definiert), unabhängig von sonstigem Einkommen sowie Vermögensb­esitz – in diesem Sinn ist es „bedingungs­los“. Dies heißt auch: nicht abhängig von der Bereitscha­ft zu arbeiten. Und wirft dadurch vielerlei Fragen von Fairness und Gerechtigk­eit auf.

Sein Charme beruht gemäß seinen nicht wenigen Proponente­n auf mehreren Gründen, wird über die aktuellen Probleme hinaus auch genährt von der schon länger andauernde­n Furcht vor einer Disqualifi­zierung und einem Verlust von Arbeit durch technische­n Fortschrit­t in Form von Digitalisi­erung und Roboterisi­erung – ein Grundeinko­mmen könnte ein Kompensati­onsmechani­smus für schwindend­e Remunerati­on durch Arbeit sein. Damit verbunden ist der Vorteil, dass bisher nicht bezahlte Arbeit

familiäre Pflege und Erziehung, …) abgegolten werden könnte. Von manchen wird es auch als Mittel angesehen, um endlich Freiheit von Arbeit zu erreichen, damit Freiheit von Zwang, Freiheit für alle. Nicht zuletzt ist damit die Hoffnung verbunden, dass das derzeitige komplizier­te System eines sozialen Ausgleichs durch die Einfachhei­t eines ausbezahlt­en Grundeinko­mmens ersetzt wird (Milton Friedmans Konzept einer negativen Einkommens­steuer wird oftmals in diesem Zusammenha­ng zitiert). inter diesen Vorstellun­gen und Wünschen stehen große Fragen, sowohl ethischer als auch umsetzungs­orientiert-politische­r Natur:

HWie gerecht ist ein Grundeinko­mmen? Ist es Teil des bestehende­n Sozialsyst­ems mit progressiv­en Steuern und bestehende­n Ver- und Absicherun­gen wie bei Arbeitslos­igkeit, Unfall, Altersvers­orgung sowie vielerlei sachlichen Zuwendunge­n? Oder ersetzt es das bisherige Transfersy­stem zur Gänze? Selten wird diese grundsätzl­iche Frage angesproch­en (wie beispielsw­eise bei der Abstimmung zum Grundeinko­mmen in der Schweiz vor einigen Jahren).

Davon abhängig ist natürlich das Ausmaß des ausbezahlt­en Grundeinko­mmens und damit seine Finanzierb­arkeit: Dieses wird umso höher sein müssen, je mehr dadurch zu finanziere­n ist. Ohne „begleitend­e“Dimensione­n des bestehende­n Sozi(Hausarbeit,

Das Grundeinko­mmen bleibt ein obskures Objekt der Begierde, gleichzeit­ig ein Paradebeis­piel für die Schwierigk­eiten einer am Ziel der Gerechtigk­eit orientiert­en Sozialpoli­tik.

alsystems, die in den gängigen Vorstellun­gen eines (Netto-)Einkommens kaum Berücksich­tigung finden, müsste ein Grundeinko­mmen doch eine beträchtli­che Höhe haben, aus der sich die Gesundheit­sund Pensionsvo­rsorge finanziere­n lassen. Diese wie immer zu bemessende Höhe wird damit zu einer sowohl aus ethischen als auch finanziell­en Gründen ganz wesentlich­en Voraussetz­ung. Ganz anders bemisst sich diese, wenn es zusätzlich zu den bestehende­n Transferza­hlungen erfolgt, wodurch sich erst recht Fragen der Finanzierb­arkeit ergeben. ine weitere wichtige Frage: Was an Verhaltens­änderungen hat ein Grundeinko­mmen zur Folge? Befürchtet wird ein Rückzug aus dem

Emit Verknappun­g spezieller Tätigkeite­n (vornehmlic­h im Niedrigloh­nsektor). Wenn Arbeit nicht mehr Voraussetz­ung für

Einkommen ist, vermindert sich der Anreiz, Qualität zu erwerben – durch Lehrlingsa­usund berufliche Fortbildun­g, Studium. In seiner personenor­ientierten Konzeption benachteil­igt ein Grundeinko­mmen Alleinerzi­eherhausha­lte. Bei einer vollkommen­en Ersetzung des bestehende­n Systems werden spezielle Bedürfniss­e wie Behinderun­g oder chronische Krankheite­n nicht berücksich­tigt; und wenn, verliert es seine scheinbare Einfachhei­t. Als Signal für Einkommen ohne Arbeit geht die integrativ­e Funktion von Arbeit zurück. Wirtschaft­s- und sozialpoli­tisch verliert Vollbeschä­ftigung als Ziel an Bedeutung. Hinter all den möglicherw­eise auch erwünschte­n Verhaltens­änderungen bezüglich Arbeit bleibt die Grundfrage nach Fairness und Gerechtigk­eit: Wer soll sich den Mühen und Zwängen eines Arbeitsleb­ens unterwerfe­n, um damit den anderen die Freiheit davon zu finanziere­n?

Darüber gibt es wenig an empirische­m Wissen. Die oftmals zitierten Studien weisen gravierend­e Mängel auf. Die Anzahl der einbezogen­en Personen ist klein, sie sind nicht repräsenta­tiv für die Gesamtbevö­lkerung. Es wird nicht unterschie­den, ob es sich um ein Grundeinko­mmen anstelle des vorhandene­n Transfersy­stems handelt oder zusätzlich dazu. Der Beobachtun­gszeitraum ist kurz. Wenige Studien wurden in industriel­l orientiert­en Wirtschaft­en durchgefüh­rt.

Selbst wenn es als Ziel gewünscht wird: Auf welcher politische­n Ebene soll es durchgeset­zt werden? Ein Einzelstaa­t in der Größe von Österreich, und selbst solche von größerer Ordnung, hätte mit absehbaren Folgen zu rechnen. Er wäre als Standort für Höher- und Hochqualif­izierte nicht mehr sonderlich attraktiv, weil die Abgabenquo­te für Besserverd­ienende steigen würde. Umgekehrt wird voraussich­tlich der Zuzug von Personen, die dieses besondere Sozialsyst­em ohne erforderli­che Gegenleist­ung schätzen, zunehmen.

Die wichtigste Dimension eines Grundeinko­mmens ist in der öffentlich­en Diskussion unberücksi­chtigt: Was soll damit hinsichtli­ch des Stellenwer­tes von Arbeit und Beschäftig­ung erreicht, welArbeits­markt che grundsätzl­iche Vorstellun­g von Gerechtigk­eit und Verteilung damit verwirklic­ht werden? Die Antworten hängen sehr stark von seiner Ausgestalt­ung ab: Wie hoch soll es sein? Gibt es dessen Konzeption anstelle des bestehende­n Sozialsyst­ems? Oder ist es in dieses wie auch immer integriert? Das hängt auch davon ab, welche Anreize es jeweils schafft und verändert, und damit auch, welche Ergebnisse es hinsichtli­ch der Bekämpfung von Armut und wünschensw­erter Verteilung schafft. as alles bedeutet, dass für zukünftige Diskussion­en zweierlei Antworten gegeben werden müssen. Die eine betrifft das primäre Ziel: Geht es um geringere Armut, um größere Verteilung­sgerechtig­keit (wie immer definiert), um mehr Freiheit? Bei der anderen geht es um die adäquate Implementi­erung: Wie muss es gestaltet sein, um die Ziele zu erreichen? Und ist es effektiver als das durchaus verbesseru­ngsfähige bestehende Sozialsyst­em?

Das Grundeinko­mmen bleibt ein obskures Objekt der Begierde, gleichzeit­ig ein Paradebeis­piel für die Schwierigk­eiten einer am Ziel der Gerechtigk­eit orientiert­en Sozialpoli­tik.

D

 ?? ?? MARGIT KRAMMER/ BILDRECHT WIEN
MARGIT KRAMMER/ BILDRECHT WIEN
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria