„Das passt nicht mehr in die Zeit“
Immer mehr Mediziner werden Wahlarzt: Es geht um Lebensqualität und Fakten – ein Kassenarzt muss für den gleichen Umsatz doppelt so viele Patienten behandeln.
Alles probiert, kein Vergleich: Emmerich Zeichen, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, hat drei Karrieren als Spitals-, Kassen- und Wahlarzt gelebt. Kristina Köppel-Klepp hat sich gleich für die Laufbahn als Wahlärztin für Allgemeinmedizin entschlossen. Beide stehen für eine Absetzbewegung vom Kassensystem, das bedrohlich bröckelt. Warum ist das so?
In den Gesprächen mit den beiden wiederholen sich – wie bei vielen, die auf die Wahlarztseite gewechselt sind – die Argumente. Anfangs, vor zehn Jahren (Köppel-Klepp) und vor ein paar Jahrzehnten (Zeichen) sei es noch schwierig gewesen, eine Kassenstelle zu erhalten. Zeichen, auch in der Ärztekammer engagiert, führte seine Praxis nach der Pensionierung als Wahlarzt weiter. Köppel-Klepp zog die Option, „weil ich sonst keine andere Chance hatte“. Beide hegen keine Zweifel an ihrer Entscheidung. Die Tarife, die die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) für die Mediziner zahle, erfordern eine hohe Patientenfrequenz. Experten sprechen von „Massenabfertigung“. Das passe einfach „nicht mehr in die Zeit“.
„Ich sehe, dass meine Lebensqualität als Wahlarzt bedeutend besser ist“, sagt Zeichen. Er geht davon aus, dass man als Kassengynäkologe doppelt so viele Patientinnen behandeln müsse wie ein Wahlarzt, um auf den gleichen Umsatz (im ÖsterreichSchnitt: 266.765 Euro plus Extras) zu kommen. So sei etwa die Mutter-Kind-Pass-Untersuchung seit 27 Jahren finanziell vom Ministerium nie angepasst worden, obwohl die Untersuchung heute wesentlich aufwendiger sei (Pränataldiagnostik, Aufklärung etc.). „Für eine der fünf Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen erhält man zum Beispiel 18,02 Euro. Ein Wahlarzt verlangt für diese Untersuchung rund 100 Euro.“
Auch bei den Honoraren der ÖGK krankt es. Leistungen, die heute medizinisch notwendig wären, seien nicht möglich – oder so gedeckelt, dass sie sich für Kassenärzte nicht rechnen. Die versprochene Leistungsharmonisierung bei der Gründung der ÖGK war ein politischer Gag. Zeichen: „Im Schnitt bringt ein Tiroler Kassenschein um fast ein Drittel mehr als ein
Meine Lebensqualität ist als Wahlarzt bedeutend besser. Emmerich Zeichen, Gynäkologe
Schein in der Steiermark. Der Wahlarzt spürt das nicht, er hat eine andere Kostenrechnung.“Sein Vorschlag: „Deckelungen und Limits aufheben, damit Leistungen, die erbracht werden, bezahlt werden.“
Wie verfahren der Karren ist, lässt sich am Beispiel „Ausführliche diagnostisch-therapeutische Aussprache zwischen Arzt und Patient als integrierter Therapiebestandteil“erkennen. Deckelungen führen dazu, dass von 14,45 Euro Honorar pro Gespräch oft nicht einmal die Hälfte übrig bleibt – brutto. KöppelKlepp: „Wenn ein Patient mit Halsweh in die Praxis kommt, wäre es noch gerechtfertigt. Wenn man aber schwierigere Fälle hat, dauert das Gespräch 20, 25 Minuten.“
Beide verwehren sich dagegen, dass Wahlärzte nur die Rosinen herauspicken würden, wie es in der politischen Diskussion ausgeführt wird – und wie die Politik mit Verboten und Drohungen von und für Wahlärzte spielt. „Ich bin zu vielem bereit“, so Köppel-Klepp. „Ich kann mir vorstellen, Kassenpatienten anzuschauen, Wochenenddienste zu machen, im System mitzuarbeiten. Dafür bin ich und dafür sind viele meiner Wahlarztkolleginnen und -kollegen offen. Aber so, wie man derzeit mit uns umgeht, so geht das nicht.“