Die tausend Gesichter des Nicolas Cage
PORTRÄT. Im neuen Kinofilm „Massive Talent“spielt Schauspieler Nicolas Cage die wohl größte Rolle seines Lebens: sich selbst. Über eine Biografie, in der Genie und Wahnsinn eng beieinanderliegen.
Schauspieler, leidenschaftlicher ComicSammler, lebendiges Meme: Die Karriere von Nicolas Cage hat viele Gesichter. In den 1990ern galt er als einer der größten Actionstars in Hollywood, heute schafft es kaum noch ein Film des Mimen überhaupt auf die große Leinwand.
Für fragwürdige Karriereentscheidungen und seine wilde Gesichtsakrobatik ist der Oscarpreisträger in den Augen vieler zur Lachnummer verkommen. In der Komödie „Massive Talent“, die gerade neu in den österreichischen Kinos angelaufen ist, spielt Cage nun die wohl größte Rolle seines Lebens: sich selbst.
Mit einem Augenzwinkern blickt der 58-Jährige auf sein Jahrzehnte umfassendes Lebenswerk zurück. Ein Schaffen voller Höhen und Tiefen. Eine Filmografie, in der Genie und Wahnsinn dicht beieinanderliegen. Doch hat Cage all den Spott, den er für sein zugegeben manchmal etwas überdrehtes Spiel erntete, wirklich verdient? Oder ist es nicht gerade der theatralische Stil, der seine Schauspielkunst auszeichnet?
Als Neffe von Regie-Urgestein Francis Ford Coppola wurde der Amerikaner quasi in die Filmindustrie hinein
Den einfachen Weg wollte Nicolas Kim Coppola dennoch nicht gehen, entschied sich vehement gegen seinen berühmten Nachnamen. In der Komödie „Peggy Sue Got Married“verhalf ihm Onkel Francis zwar zu einer seiner ersten Hauptrollen, Vorwürfe der Vetternwirtschaft konnte er langfristig gesehen aber gekonnt umgehen. ie Marke Cage wurde zum ganz eigenen Ding, mit einer einzigartigen Leinwandpräsenz zog er das Publikum rasch in seinen Bann. 1987 gelang dem Schauspieler dann der große Durchbruch. Die Coen-Brüder besetzten ihn in der aberwitzigen Krimikomödie „Raising Arizona“als
Dschnauzbärtigen Ex-Häftling, in „Mondsüchtig“verkörperte er den Love-Interest einer oscarprämierten Cher. Die erste Karriereflaute war jedoch nicht weit entfernt. Die absurde Horrorkomödie „Vampire’s Kiss“aus dem Jahr 1988 erwies sich als Flop und Nicolas Cage als Spottobjekt. Durch das Internet wurde der Film in späterer Folge zum Kult erhoben, die wilden Gesichtsverrenkungen und Wutausbrüche zum Sinnbild für seine Karriere.
Es sind eben aber genau Rollen wie diese, die zeigen, dass er sich als Darsteller in keine Schublade stecken lassen möchte. Das viel belächelte „Overacting“ist im Regelfall nämlich eine bewusste Entgeboren.
seitens des Amerikaners, der seinen Schauspielstil selbst „nouveau shamanic“taufte. Das Kino des Deutschen Expressionismus – als Theatralik noch großgeschrieben wurde – stellt eine wichtige Inspirationsquelle für den Schauspieler dar. Ein ausgeprägter Hang zum Surrealen zieht sich durch sein gesamtes OEuvre. ass er trotzdem auch leisere Töne anschlagen kann, hat Cage in der Vergangenheit schon eindrucksvoll bewiesen. Nach einer Reihe von Rückschlägen gewann er 1996 für seine wehmütige Darstellung eines Alkoholkranken in „Leaving Las Vegas“einen Oscar als bester Hauptdarsteller. Die zweite Nominie
Drung folgte 2003 für die Doppelrolle in Spike Jonzes irrwitziger Meta-Komödie „Adaption“. Die erneute Aufmerksamkeit bescherte ihm ungeahnten Ruhm. Hauptrollen in Hollywood-Blockbustern wie „The Rock“, „Con Air“oder „Face/Off“ließen Cage zum waschechten Actionhelden mutieren. Das blieb nicht ohne Konsequenzen: Der Eigenbrötler war plötzlich mitten im Mainstream angekommen. Die Erfolgssträhne hielt bis Mitte der 2000er-Jahre an, doch die Qualität seiner Projekte schien sich stetig zu verschlechtern. Nach Auftritten in mäßig erfolgreichen Franchise-Filmen entfernte er sich langsam wieder vom großen Bombastscheidung kino Hollywoods. In den Folgejahren tauchte er vermehrt in billigen Direct-to-DVDProduktionen auf, die seiner Reputation einen Bärendienst erwiesen. och egal, wie banal der jeweilige Film auch sein mag, Nicolas Cage gibt stets hundert Prozent. Seine experimentierfreudige Ader hat ihn nie verlassen, hier und da blitzte sogar noch ein interessantes Independent-Filmprojekt auf. 2018 begann für den Exzentriker ein neues Kapitel. Mit abgedrehten Horror-Projekten wie „Mandy“und „Die Farbe aus dem All“schien er eine Nische für sich gefunden zu haben, die wunderbar mit seinem Stil harmoniert. Doch Cage wäre nicht
DCage, wenn er nicht weiterhin konsequent die Erwartungen des Publikums brechen würde. So zeigte er sich erst im Vorjahr im Charakterdrama „Pig“von einer ruhigen, verletzlichen Seite – weit entfernt vom gewohnten Wahnsinn. Es ist höchste Zeit, über all die InternetMemes hinwegzusehen und diesen Schauspieler wieder für das zu würdigen, was er ohne Zweifel ist: ein einzigartiges Talent, das sich nie davor scheut, Risiken einzugehen und sich neu zu erfinden. Da lohnt sich selbst der eine oder andere Fehltritt.