Skurrile Glückssuche
Heinz Strunk führt in „Ein Sommer in Niendorf“in das Ostsee-Kaff, in dem einst die Gruppe 47 tagte. Ein Anwalt in der Midlifekrise erlebt dabei seinen tragisch-komischen Abstieg.
Anfangs ist er noch überheblich und voller Pläne: Der 51-jährige Hamburger Jurist Roth fährt für drei Monate an die Ostsee, um die Chronik seiner Familie zu schreiben. Den Ort erkundend spaziert er am ersten Tag im Anzug über den Strand, belächelt die urlaubenden Pensionisten und ist stolz darauf, noch nie einen Döner gegessen zu haben. Sein erstes Buch, das er, randvoll mit Selbstdisziplin, schreiben will, soll gleich ein Bestseller werden. Zusätzlich zu seinem Ego inspiriert ihn eine Gedenktafel, die auf das legendäre Treffen der Gruppe 47 mit
Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Heinrich Böll, Hans Werner Richter und anderen hinweist: „Er weiß jetzt schließlich, wie es geht, er muss es nur noch aufschreiben! Der schriftstellerische Durchbruch, das AutorenComing-Out unter der Schirmherrschaft der Gruppe 47!“
Doch die Selbstdisziplin beginnt zu bröckeln, als er den Apartmentvermieter, Strandkorbverleiher und Schnapsladen-Betreiber Breda kennenlernt. Der ist eigentlich „weit unter dem Niveau“des Juristen, aber hartnäckig aufdringlich. Und er ist ein vulgärer Säufer, wie eine Fi
gur aus Elisabeth T. Spiras TV-Sozialreportagen. Mit ihm beginnt auch Roths Abstieg. Die Phrasen wie aus der Tourismuswerbung, die sich der honorige Aussteiger anfangs einredet („So lässt sich’s leben!“) werden weniger, die peinlichen Begebenheiten mehr, die Trostlosig
keit nimmt zu. Er wird selbst zum Alkoholiker, verliebt sich in eine Kellnerin, die nichts von ihm wissen will, und fühlt sich wieder jung: „Ich stehe in Flammen, es rauscht in meinen Adern“. Man ahnt, dass das nicht gut gehen kann. Doch es geht gut. Am Ende gibt es der
einstige Anwalt billiger und scheint sein Glück in Niendorf zu finden.
Wie der 1962 in Norddeutschland geborene Musiker, Schriftsteller und Entertainer Heinz Strunk das erzählt, hat nichts von der Wehleidigkeit „alter, weißer“Autorenkollegen (wie Philip Roth oder Martin Walser). Diese erfrischende Sommergeschichte ist voll skurriler Szenen, charmanter Begebenheiten, Selbstironie und poetischer Szenen: „Die Sonne sinkt in Tönen von geronnenem Rot und geht allmählich in eine weiche verhauchende Mattigkeit über.“