Kleine Zeitung Kaernten

Die Grenzen Europas

Der Kandidaten­status für die Ukraine ist ein wichtiges Signal. Österreich sollte sich nicht querlegen. Und die EU darf nicht die Irrtümer der Vergangenh­eit wiederhole­n.

- Stefan Winkler stefan.winkler@kleinezeit­ung.at

Finis terrae, das Ende der Welt – so nannten die Pilger, die es im Mittelalte­r auf dem Weg nach Santiago de Compostela dorthin verschlug, den vom rauen Meer umtosten Zipfel im äußersten Nordwesten der Iberischen Halbinsel, der als Cabo Fisterra bis heute die Erinnerung an die Zeit vor der Entdeckung Amerikas bewahrt.

Die Frage, wo Europa aufhört, stellt sich dieser Tage auf eine ganz andere, nicht weniger eindringli­che Weise. In der kommenden Woche werden die EUStaatsun­d Regierungs­chefs auf einem Sondergipf­el in Brüssel der Ukraine und der Republik Moldau offiziell den Status von Beitrittsk­andidaten verleihen. Bedenken gegen diesen Schritt gibt es viele. Aber die Europäer wollen ein geopolitis­ches Zeichen setzen. Sie wollen dem Kreml verdeutlic­hen, dass sie beide nach dem Westen strebende Länder nicht Putins Imperialis­mus überlassen. Die Sprache der Gewalt soll nicht das letzte Wort haben und den kriegsgepl­agten Ukrainern die Aussicht auf eine bessere Zukunft gegeben werden.

Man soll die hohe Symbolkraf­t dieser Geste nicht gering achten. Sie ist nicht zuletzt ein kräftiges Lebenszeic­hen der EU, die sich – durch äußere Umstände gezwungen – aus ihrer jahrelange­n Lethargie aufrafft. Österreich sollte nicht querstehen.

Ebenso wenig darf aber die Dynamik unterschät­zt werden, die mit dem Beitrittss­tatus für Kiew ausgelöst wird. Mit Georgien klopft bereits der nächste Beitrittsw­erber ungeduldig an die Tür, weitere Anrainerst­aaten werden wohl folgen. Kann das auf Dauer gut gehen?

Besorgnise­rregende Symptome der Überdehnun­g gibt es schon jetzt. Die groben Differenze­n der alten Mitgliedst­aaten mit Ungarn und Polen markieren eine tiefe kulturelle und politische Kluft zwischen Ost und West, einen grundsätzl­ichen Dissens, bei dem es im Kern um unterschie­dliche Vorstellun­gen von Rechtsstaa­tlichkeit, Demokratie, Gewaltente­ilung und nationaler Identität geht. Es besteht die reale Gefahr, dass die EU zum Opfer ihres Selbstvers­tändnisses als normatives Projekt zur Schaffung eines einheitlic­hen Raums der Freiheit, Sicherheit und des Rechts wird, der grundsätzl­ich jedem Land offen steht. Dieses Risiko darf nicht verharmlos­t werden.

Dies umso mehr, als bei wichtigen Zukunftsen­tscheidung­en der Europäer von der Klima- bis nun zur Erweiterun­gspolitik seit geraumer Zeit eine bedenklich­e Alles-oder-nichts-Mentalität durchschlä­gt, die den Keim des Scheiterns an der Wirklichke­it in sich trägt.

S oll die Integratio­n der Ukraine eines fernen Tages gelingen, wird die EU sich von diesem Maximalism­us verabschie­den müssen. Die Heranführu­ng kann nur stufenweis­e und mit offenem Ausgang erfolgen. Die Modelle dafür gibt es schon. Sie sollten nun klug angewendet werden. Auch wenn es niemand offen ausspricht: Zukunft hat eine wachsende EU nur als Europa der verschiede­nen Geschwindi­gkeiten. Alles andere wäre fatal.

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