„Der Wolf kommt uns immer näher“
INTERVIEW. Josef Obweger über den Wolf als Bedrohung für Menschen und Almvieh, die Zukunft der Almwirtschaft in Kärnten sowie Chaletprojekte und Windräder.
Zum Start der Almsaison haben Sie vor einem „blutigen Sommer“gewarnt. Warum die Angstmache? JOSEF OBWEGER: Es geht nicht darum, Angst zu machen – aber der Wolf bereitet uns tatsächlich große Sorgen. Es ist unverständlich, warum es für ein Tier, das nicht auf der Roten Liste gefährdeter Arten steht, so einen strengen Schutz gibt.
Verhaltensbiologen und Tierschützer halten ein Zusammenleben mit dem Wolf für möglich.
In der Theorie lässt sich das leicht sagen, die Praxis auf den Almen schaut anders aus. Seit dem Auftreten der Wölfe kam es etwa in den ostfranzösischen Alpen zu einer Halbierung des Schafbestandes.
Bei 60.000 Stück Vieh auf den Kärntner Almen gab es im Vorjahr 130 dokumentierte Tierrisse. Machen Sie das Problem größer, als es tatsächlich ist?
Dabei bleibt es ja nicht. Wir haben heuer zu Beginn der Almsaison schon die gleiche Anzahl an Rissen. Das geht steil nach oben und ist eine extreme psychische Entlastung für die Bauern. Da geht es nicht um die Entschädigung. Es gibt vor allem Schafhalter, die ihre Tiere heuer nicht auf mehr auf die Alm auftreiben.
In Kärnten gibt es 1850 Almen und 630 Hirten. Hat man es verabsäumt, mehr in die Hirtenausbildung zu investieren?
Das glaube ich nicht. Die Anzahl der Hirten hat seit 2014 um 100 zugenommen. Wir organisieren jährlich eine Grundausbildung für Hirten. Kärnten hat zwei Drittel kleine Betriebe, für 20 Rinder auf der Alm kann kein Hirte angestellt werden.
Sie sind für eine generelle Abschussmöglichkeit für Wölfe?
Das Ziel wäre, Wölfe wie andere Wildtierarten bejagen zu dürfen. Bei der internationalen Alpwirtschaftstagung Ende Juni soll auf unsere Initiative hin eine Resolution aller Alpenländer an die EU beschlossen werden. Der Schutzstatus muss heruntergesetzt werden. Dazu gibt es in Kärnten einen einstimmigen Landtagsbeschluss. Der Wolf ist ja absolut nicht vom Aussterben bedroht.
Per Verordnung wurden in Kärnten „Risikowölfe“zum Abschuss freigegeben. Sie zu erwischen, scheint aber schwierig.
Trotzdem ist es wichtig, dass man nicht nur zuschaut. Man muss der Tierart ihre Grenzen aufzeigen. Wenn der Wolf keine Gefahr spürt, kommt er immer näher zum Menschen.
Der WWF sagt, dass Abschießen von Wölfen sei „verantwortungslos gegenüber der Natur“.
Es gibt genügend andere Tierarten, die auch bejagt werden. Der Wolf ist ein Raubtier. Wird er nicht bejagt, kann er für die Bevölkerung gefährlich werden. Da bin ich neugierig, wer Verantwortung übernehmen wird, wenn ein Zwischenfall mit Menschen passiert.
Ist das realistisch, wenn man sieht, wie scheu Wölfe sind?
Es gibt immer öfter Sichtungen und Risse in Siedlungsgebieten. Wenn der Wolf sich in die Enge getrieben fühlt, kann es gefährlich werden. Wölfe haben zu wollen, und Nutztiere auf der Alm – das geht nicht. Dann bleiben sie im Stall. Werden weniger Tiere aufgetrieben, nehmen Zwergsträucher und Bäume überhand – offene Landschaft und Biodiversität gehen verloren. Das ist vielen nicht bewusst. Die flächendeckende Almbewirtschaftung in Kärnten ist ernsthaft in Gefahr.
Was sollen „Vorsicht, Wolf!“Schilder auf den Almen bringen?
Nach Konfrontationen mit Bär oder Wolf sind die Tiere, vor allem Mutterkühe mit ihren Kälbern, verschreckt und reagieren unberechenbar. Da kann eine Begegnung mit Wanderern fatal enden – insbesondere wenn ein Hund dabei ist, der ja vom Wolf abstammt. Darauf sollen die Schilder hinweisen.
Überdeckt die Diskussion über den Wolf viele andere Probleme der Almwirtschaft?
Der Rückgang der Auftriebszahlen ist generell ein Thema, weil in den letzten Jahren viele kleine Betriebe aufgehört haben. Wir wollen Anreize schaffen – auch für Betriebe ohne eigene Alm oder Mitgliedschaft bei einer Almgemeinschaft. Unter der Marke „Von der Alm“soll für hochwertige Lebensmittel ein besserer Preis erzielt werden.
Die Agrarwirtschaft ist fest in der Hand des Bauernbundes. Ist der Almwirtschaftsverein auch eine ÖVP-Vorfeldorganisation?
Nein! Ich war nie parteipolitisch aktiv und bin vor 15 Jahren als Obmann angetreten. Der Verein ist eine überparteiliche, sachliche Organisation, die auch so geführt wird.
Wie finanziert sich der Verein?
Über die Beiträge unserer 1300 Mitglieder. Für bestimmte Dinge, wie etwa Haftpflichtversicherungen, gibt es Unterstützung von Landesseite.
Die Alm als Lebensraum boomt. Sind Chalets Fluch oder Segen?
Wenn es um versteckte Zweitwohnsitze geht, dann ist das ein Fluch und findet sicher nicht unsere Zustimmung. Großprojekte, wie sie derzeit in einigen Regionen entstehen, sehen wir sehr kritisch – aber man sollte nicht von Haus aus jedes Projekt verteufeln, wenn sinnvoll in den Tourismus investiert wird.
Inwieweit ist eine weitere touristische Entwicklung mit der Almwirtschaft vereinbar?
Touristische Entwicklung soll möglich sein, aber es geht schon auf einigen Almen über das erträgliche Maß hinaus. Da müssen wir mit Besucherlenkungsprojekten eingreifen. Dazu braucht es das Miteinander von Almwirtschaft, Tourismus, Jagd und alpinen Vereinen, um zu schauen, wo was stattfinden kann.
Grundsätzlich ist es positiv, dass die Almen für viele Menschen ein Sehnsuchtsort sind?
Ja, die Alm bewirkt bei vielen Menschen sehr viel. Beim Wandern trifft man kaum grantige Menschen. Sie kommen aus ihrem Alltag heraus und schauen hinunter auf Stress und Probleme. Was aber immer stärker wird, ist das Thema Hunde – nicht nur aufgrund des Kuhurteils in Tirol. Es geht um Hundekot, nicht angeleinte Hunde. Auf den Almen ist für viele Platz, wenn der Respekt gegenüber jenen da ist, die sie bewirtschaften.
Wie stehen Sie zu Windrädern in den Kärntner Bergen?
Wir haben das im Vorstand diskutiert, wollen unseren Mitgliedern aber nichts vorgeben. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er auf seiner Alm so ein Projekt umsetzen will.
Wollen Sie das?
Ich möchte auf meiner Alm kein Windrad. Wir haben 2014 eine Wasserturbine errichtet, mit der wir den ganzen Strom für die Lammersdorfer Alm selbst herstellen. Das ist ein wesentlich geringerer Eingriff als ein Windkraftwerk.