„Die Erde hat Fieber – und es steigt“
INTERVIEW. Arzt und Wissenschaftsjournalist Eckart von Hirschhausen verknüpft die harten Fakten mit Humor. Doch beim Klimawandel ist für ihn nun Schluss mit lustig.
Von Carmen Oster
Ihre Diagnose: Wie steht es um den Patienten Erde? ECKART VON HIRSCHHAUSEN: Die Erde hat Fieber – und es steigt. Sie gehört auf die Intensivstation. Sie hat ein „Multiorganversagen“, wenn man die Symptome zusammenzählt, und das ist ein echter Notfall. Die Lunge im Amazonas wird abgeholzt, der Jetstream-Kreislauf bricht zusammen, die Meere sind verstopft mit Plastik und können bald keine Wärme mehr aufnehmen.
Ihr Therapievorschlag?
Die persönlichen Hebel sind weniger fliegen, weniger Fleisch essen und vor allem mehr politisches und öffentliches Engagement von allen. Ich habe eine Bahncard 100, Ökostrom und investiere in Solaranlagen auf dem Dach und Aufforstungsprojekte weltweit. Aber das reicht nicht. Ich habe in meinem Bühnenprogramm „Endlich!“einen witzigen und zugleich ernsten Teil über die Widersprüche, in denen wir alle stecken.
Diewären?
Es ist grundfalsch, die Lösung nur durch Einsicht und Verzicht erreichen zu wollen. Ich kann nicht „eigenverantwortlich“dafür sorgen, dass Bahnfahren in Deutschland so gut funktioniert wie in Frankreich, Japan oder der Schweiz, dass der öffentliche Nahverkehr reibungslos läuft und am besten umsonst ist, dass es ein Tempolimit gibt und einen wirksamen CO2Preis. Dafür braucht es politische Mehrheiten und keine Ökomoral, sondern wissenschaftsbasierte, wirksame Gesetze.
Wann dachten Sie geht es nicht weiter?
sich: So
Entscheidend für mich war meine Begegnung mit Jane Goodall vor drei Jahren. Sie revolutionierte unser Bewusstsein für die Menschenaffen. Heute ist sie die weltweit bekannteste Umweltaktivistin. Sie stellte mir eine einfache Frage: Wenn der Mensch die intelligenteste Art auf dem Planeten ist – warum zerstört er dann sein eigenes Zuhause? Diese Frage lässt mich nicht mehr los. Deshalb krempel ich gerade mein Leben um, und beende auch meine Bühnenkarriere.
Zu Jane Goodall: Das Artensterben ist ein entscheidender Faktor, was erwartet uns, wenn wir so weitermachen?
Wenn die Klimakrise das Fieber von Mutter Erde ist, dann ist das Artensterben ihre Demenz – das krankhafte Vergessen. Mit jeder Art, die verloren geht, verlieren wir auch alles Wissen von Millionen Jahren Evolution, wie Leben auf der Erde funktioniert. Wir sind alle Teil eines Netzwerkes und wenn wir die feinen Maschen zerstören, fallen wir ins Bodenlose.
„Endlich!“ist Ihre Abschiedstournee: Was passiert endlich?
Nach drei Jahrzehnten ist es erst einmal vorbei mit dem kabarettistischen Programm. Ich habe das Gefühl, dass andere Dinge gerade wichtiger sind. Ich treffe mich mit Politikerinnen und Politikern, mit Organisationen und mache Dokumentationen. In den Bereichen Klima und Gesundheit passiert gerade so viel, bei dem ich eine Rolle spielen kann und will. In Wien treffe ich zum Beispiel
Menschen der Schwarzenegger-Foundation. Ich finde es super, wie viele öffentliche Menschen sich starkmachen für eine enkeltaugliche Zukunft. Das Wichtigste, was ein einzelner tun kann, ist, kein einzelner zu bleiben.
Sie beschäftigen sich auf der Bühne auch mit dem Altern. Warum hadert der Mensch noch immer so stark damit?
Weil wir in unserer Gesellschaft und Kultur immer noch ein negatives Bild des Alterns zeichnen. Älterwerden wird als Krankheit oder stetiges Schlimmerwerden begriffen. Dabei ist Altern kein Abgesang, Altern ist Leben für Fortgeschrittene. Zeit ist so kostbar. Mit wem verbringe ich sie? Was bleibt von mir? Was kann ich an die nächste Generation weitergeben?