Fast verliebt Ohne Worte
Die rätselhafte Welt der menschlichen Beziehungen — von wahren Begebenheiten inspiriert. Warum Geselligkeit nicht dasselbe ist wie Sozialkompetenz – und wieso Männer, die mauern, nicht automatisch Unrecht haben.
Sie ist verbal inkontinent!“, schreit mich ein alter Freund, mit dem ich in einer Bar sitze, fast an. „Alles ist immer so dramatisch, sie redet und redet und ist immer so aufgeregt.“Zudem könne sie praktisch keine Entscheidung allein treffen.
Der Damm ist gebrochen. Dabei ist er sonst eher schweigsam. Was ist passiert?
Ein bisschen Bier. Und ich habe ihm auf die Schulter geklopft und gesagt, was für eine tolle Frau er habe — das schien ihn zu triggern.
Mein alter Freund und seine Frau sind nach draußen gezogen, raus aus der Stadtmitte. Das hatte finanzielle Gründe, aber nicht nur, bei ihr waren es auch emotionale: Sie kommt aus diesem Vorort. Ihre Eltern wohnen da. Ihre Tante auch. Ihre Oma. Und da die beiden ein Kind haben, erschien der Ortswechsel ihnen nicht nur praktisch, sondern auch schön.
„Es ist ein verdammter Albtraum“, findet er jetzt aber: „Ich habe nichts mehr zu sagen!“Bei allem, was seine Frau ihm vorwerfe — zu wenig Engagement im Haushalt, zu wenig Aufmerksamkeit, mangelnde Gesprächsbereitschaft — zitiere sie neuerdings die halbe Nachbarschaft: Sie habe mit ihrer alten Schulfreundin geredet, die sehe das auch so, und mit ihrer Mutter: Ihre Mutter finde nämlich auch, dass es nicht gehe, wenn ein junges Paar nur zweimal im Monat Sex habe. eine Schwiegermutter kommentiert deine sexuelle Performance, und das wird dir dann auch noch aufs Brot geschmiert?“, frage ich entsetzt – und merke, dass ich schon leicht co-aggressiv klinge: „Das ist total übergriffig!“
„Jaaaa!“, ruft er: „Genau! Krass übergriffig — endlich sagt es jemand!“Denn in seiner Beziehung sei immer nur einer übergriffig, zu unsensibel. Und das ist ihrer Ansicht nach immer: er.
„Nie“und „immer“, das sagt er an diesem Abend noch häufiger: kein gutes Zeichen. Bei den beiden scheint die Kommunikation zusammengebrochen zu sein.
DDabei ist seine Sonja ein überaus sonniger Mensch, auf den sich alle einigen können. Jemand, den man augenblicklich mag. Sie ist nett, hat immer was Charmantes zu erzählen. Wobei sie vielleicht manchmal ein bisschen viel redet, ist mir auch schon aufgefallen. „Jetzt redet sie nur noch“, sagt er.
Es klingt, als könne seine gesellige Frau nichts mit sich selbst ausmachen, als müsse sie immer alles mit allen bereden. Sie scheint ihren Mann für ihre eigene Gefühlsregulierung zu brauchen, und für ihre Entscheidungsfindung. „Ich kann das aber nicht alles abfangen“, jammert er: „Ich muss mich an dem neuen Ort auch erst einfinden, bin selber gestresst.“
„Hast du ihr das gesagt?“, frage ich. „Schon“, sagt er: „Aber das will sie nicht hören.“Manchmal reagiere er einfach nicht auf sie, weil er nicht mehr könne. „Und dann?“, frage ich. Er zuckt mit den Schultern: „Dann kommt sie mit dem Totschlagargument, das mich auch noch zum Schuldigen macht: ‚Du mauerst.‘“