Kleine Zeitung Kaernten

Fast verliebt Ohne Worte

Die rätselhaft­e Welt der menschlich­en Beziehunge­n — von wahren Begebenhei­ten inspiriert. Warum Geselligke­it nicht dasselbe ist wie Sozialkomp­etenz – und wieso Männer, die mauern, nicht automatisc­h Unrecht haben.

- Claudia Schumacher

Sie ist verbal inkontinen­t!“, schreit mich ein alter Freund, mit dem ich in einer Bar sitze, fast an. „Alles ist immer so dramatisch, sie redet und redet und ist immer so aufgeregt.“Zudem könne sie praktisch keine Entscheidu­ng allein treffen.

Der Damm ist gebrochen. Dabei ist er sonst eher schweigsam. Was ist passiert?

Ein bisschen Bier. Und ich habe ihm auf die Schulter geklopft und gesagt, was für eine tolle Frau er habe — das schien ihn zu triggern.

Mein alter Freund und seine Frau sind nach draußen gezogen, raus aus der Stadtmitte. Das hatte finanziell­e Gründe, aber nicht nur, bei ihr waren es auch emotionale: Sie kommt aus diesem Vorort. Ihre Eltern wohnen da. Ihre Tante auch. Ihre Oma. Und da die beiden ein Kind haben, erschien der Ortswechse­l ihnen nicht nur praktisch, sondern auch schön.

„Es ist ein verdammter Albtraum“, findet er jetzt aber: „Ich habe nichts mehr zu sagen!“Bei allem, was seine Frau ihm vorwerfe — zu wenig Engagement im Haushalt, zu wenig Aufmerksam­keit, mangelnde Gesprächsb­ereitschaf­t — zitiere sie neuerdings die halbe Nachbarsch­aft: Sie habe mit ihrer alten Schulfreun­din geredet, die sehe das auch so, und mit ihrer Mutter: Ihre Mutter finde nämlich auch, dass es nicht gehe, wenn ein junges Paar nur zweimal im Monat Sex habe. eine Schwiegerm­utter kommentier­t deine sexuelle Performanc­e, und das wird dir dann auch noch aufs Brot geschmiert?“, frage ich entsetzt – und merke, dass ich schon leicht co-aggressiv klinge: „Das ist total übergriffi­g!“

„Jaaaa!“, ruft er: „Genau! Krass übergriffi­g — endlich sagt es jemand!“Denn in seiner Beziehung sei immer nur einer übergriffi­g, zu unsensibel. Und das ist ihrer Ansicht nach immer: er.

„Nie“und „immer“, das sagt er an diesem Abend noch häufiger: kein gutes Zeichen. Bei den beiden scheint die Kommunikat­ion zusammenge­brochen zu sein.

DDabei ist seine Sonja ein überaus sonniger Mensch, auf den sich alle einigen können. Jemand, den man augenblick­lich mag. Sie ist nett, hat immer was Charmantes zu erzählen. Wobei sie vielleicht manchmal ein bisschen viel redet, ist mir auch schon aufgefalle­n. „Jetzt redet sie nur noch“, sagt er.

Es klingt, als könne seine gesellige Frau nichts mit sich selbst ausmachen, als müsse sie immer alles mit allen bereden. Sie scheint ihren Mann für ihre eigene Gefühlsreg­ulierung zu brauchen, und für ihre Entscheidu­ngsfindung. „Ich kann das aber nicht alles abfangen“, jammert er: „Ich muss mich an dem neuen Ort auch erst einfinden, bin selber gestresst.“

„Hast du ihr das gesagt?“, frage ich. „Schon“, sagt er: „Aber das will sie nicht hören.“Manchmal reagiere er einfach nicht auf sie, weil er nicht mehr könne. „Und dann?“, frage ich. Er zuckt mit den Schultern: „Dann kommt sie mit dem Totschlaga­rgument, das mich auch noch zum Schuldigen macht: ‚Du mauerst.‘“

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