Ernst jetzt!
Über den Raum, die Zeit und die Weisheit der Wirte.
Sommerliche Wandertouren sollen angeblich der Entspannung dienen. So hört man es aus gewöhnlich gut imprägnierten Kreisen. In der Praxis ist das freilich eine sich selten erfüllende Verheißung. Denn Wanderwege sind in statistisch auffälliger Häufigkeit steil, eng, steinig, gatschig, wurzelig, verblockt, verwinkelt oder im Wortsinn „durchwachsen“. Das Wetter ist immer heiß oder kalt, nass oder trocken, stabil oder veränderlich. Und dann sind da noch knifflige Detailprobleme wie „Süden“oder „Norden“– exotische Begriffe, mit denen manch ratloser Zivilisations
Zivilist nach zwei Jahren ständiger Sieben-Tage-Inzidenz nichts mehr anfangen kann. A uch die Wahl der Gefährten fällt schwer. Pensionisten haben keine Zeit, sie müssen immer gerade ins Fitnessstudio oder zum Flughafen oder zur Selbsthilfegruppe „Ayurvedisch kochen“. Jugendliche unter 50 bringt man sowieso nur mit falschen Versprechungen in die Natur. „In 30 Minuten sind wir auf dem Gipfel“, lockte ich kürzlich die Nachwachsenden. Prompt stand am Wegrand ein knallgelbes Schild: „Kammspitze 2,5 Stunden“. Und damit war nicht das Ablaufdatum gemeint.
Das sind, man muss es sagen, unerwünschte Wahrheiten. Es zählt sowieso zu den großen Rätseln, wieso man in den Bergen die Entfernung nicht objektiv in Metern misst, sondern subjektiv in Stunden. Meist ist man von diesen Angaben dann Lichtjahre entfernt, und das muss mit Einsteins Raum-ZeitKontinuum zu tun haben. Sie wissen schon: Darstellung des dreidimensionalen Raums und der eindimensionalen Zeit in einer vierdimensionalen Struktur. Oder, wie mein Hüttenwirt sagt: Wer auf der Alm keine Meter macht, der macht oft erstaunlich viele Minuten.