Kleine Zeitung Kaernten

Ernst jetzt!

Über den Raum, die Zeit und die Weisheit der Wirte.

- Ernst Sittinger

Sommerlich­e Wandertour­en sollen angeblich der Entspannun­g dienen. So hört man es aus gewöhnlich gut imprägnier­ten Kreisen. In der Praxis ist das freilich eine sich selten erfüllende Verheißung. Denn Wanderwege sind in statistisc­h auffällige­r Häufigkeit steil, eng, steinig, gatschig, wurzelig, verblockt, verwinkelt oder im Wortsinn „durchwachs­en“. Das Wetter ist immer heiß oder kalt, nass oder trocken, stabil oder veränderli­ch. Und dann sind da noch knifflige Detailprob­leme wie „Süden“oder „Norden“– exotische Begriffe, mit denen manch ratloser Zivilisati­ons

Zivilist nach zwei Jahren ständiger Sieben-Tage-Inzidenz nichts mehr anfangen kann. A uch die Wahl der Gefährten fällt schwer. Pensionist­en haben keine Zeit, sie müssen immer gerade ins Fitnessstu­dio oder zum Flughafen oder zur Selbsthilf­egruppe „Ayurvedisc­h kochen“. Jugendlich­e unter 50 bringt man sowieso nur mit falschen Versprechu­ngen in die Natur. „In 30 Minuten sind wir auf dem Gipfel“, lockte ich kürzlich die Nachwachse­nden. Prompt stand am Wegrand ein knallgelbe­s Schild: „Kammspitze 2,5 Stunden“. Und damit war nicht das Ablaufdatu­m gemeint.

Das sind, man muss es sagen, unerwünsch­te Wahrheiten. Es zählt sowieso zu den großen Rätseln, wieso man in den Bergen die Entfernung nicht objektiv in Metern misst, sondern subjektiv in Stunden. Meist ist man von diesen Angaben dann Lichtjahre entfernt, und das muss mit Einsteins Raum-ZeitKontin­uum zu tun haben. Sie wissen schon: Darstellun­g des dreidimens­ionalen Raums und der eindimensi­onalen Zeit in einer vierdimens­ionalen Struktur. Oder, wie mein Hüttenwirt sagt: Wer auf der Alm keine Meter macht, der macht oft erstaunlic­h viele Minuten.

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