U E Frühstück ohne Wespen
Urlaub: Eine gute Gelegenheit, sich seinen Umgebungsgeräuschen zu widmen. Auch wenn vielleicht nicht jedes Einzelne fröhlicher macht.
Wir sind uns einig: Vorsaison ist die beste aller Jahreszeiten. Wenn man Urlaub hat, so wie wir. Die Bäume sind gewachsen, seit wir das letzte Mal hier waren. Und war das Wasser schon immer so samtig und blau? Auch im Quartier gibt es Neues. Überm Frühstückstisch auf der Terrasse hängt jetzt ein grauer Lampion, der für Menschen wie ein grauer Lampion aussieht, für die Wespen, die hier immer mitnaschen, aber sieht er aus wie ein Hornissenkrug. Soll heißen, beim Frühstück ist jetzt Ruhe.
Der Urlaubsnachbar tritt vor sein Haus, ein freundlicher Mann, gesellschaftspolitisch engagiert. Sich für andere ins Zeug zu legen wird nicht leichter, erzählt er kopfschüttelnd: „Die Leute sind so aggressiv geworden, wegen jeder Kleinigkeit führen sie sich auf wie die Wahnsinnigen.“Da biegt ein Mopedfahrer um die Ecke, in der Gasse ist eigentlich Fahrverbot. „SCHLEICH DICH, DU GFRAST MIT DEINEM SCH…KÜBEL“, brüllt er los und schießt dem Jungen mit der Schuhspitze einen Kiesel hinterher. Danke für die These, und auch für die eindrucksvolle Beweisführung, würde man ihm gerne sagen, aber der Mann ist noch so echauffiert, dass man sich doch lieber mit einem freundlichen Gruß, einem
aufgesetzten
Lächeln und im Rückwärtsgang verabschiedet.
Man hat ja ohnehin genug zu tun, auf der Strandmatte dösen zum Beispiel, und weil der Wind günstig weht, hört man von dem Unterhaltungsmusikpotpourri, das im Tschecherl nebenan in Endlosschleife eiert, den ganzen lieben sonnenheißen Nachmittag lang nur die Bassline: dumti dumti dumti dah, dumta dumta dumta dah. Das Hirn arbeitet träge unter solchen Bedingungen, aber nach ein paar Stunden ringt es sich zu einem Schluss durch: Bass spielen muss der fadeste Job im ganzen Musikbusiness sein. Und nach solcher Denkleistung ist dann auch gut einschlafen. Beim Aufwachen findet man sich eher unerwartet Aug‘ in Aug‘ mit einer Eidechse, die einen missbilligend ansieht. nnerfamiliär nur fröhlich machende Updates: Von einem ganz anderen Urlaubsort trifft das Bild vom ersten Schokoladeneis der Einjährigen ein, und natürlich ist ihr Gesicht gezeichnet von dieser
IMischung aus Schokoschlatz und Eisglück, die den Anblick verschmierter kleiner Kinder so unwiderstehlich macht. oll man jetzt auch ein Eis essen? Oder doch eher erst abends, als Nachtisch? Wird schwierig nach dem großen Fisch für vier. Nebenan: Paare, die sich über den Tisch hinweg anschweigen. Früher hielt man dieses Schweigen immer für das traurige Anzeichen schleichenden Beziehungstods, heute sieht man manchmal etwas anderes: Schweigen als Ausdruck einer Einigkeit, in der nicht jede Beobachtung und jeder Gedanke, der einem durch den Kopf geht, mit dem Gegenüber geteilt werden muss, um sich gegenseitiger Aufmerksamkeit und Zuneigung zu vergewissern.
Das gilt allerdings nicht für das Paar am Nebentisch, das auch nicht miteinander spricht: Er nicht, weil er mit großer Ausdauer der Bedienung mitteilen muss, was er an der Weinkarte verbesserungswürdig findet. Sie nicht, weil sie damit beschäftigt ist, jeden Gang zu fotografieren. Sogar den Spinat. Als sie dann gehen, tritt er dem Hund von vis-à-vis den Wassernapf um und entschuldigt sich nicht einmal dafür. Erst vor einem halben Tag war ich irritiert, dass ein Mensch einem anderen wegen eines minder wichtigen Zorns Kiesel hinterher kickt, schon bin ich zur Lockerung meiner
rigorosen Nichtsteinigungsprinzipien bereit. Man könnte den groben Kerl mit Schokoladeneiskugeln bewerfen, so
lange, bis alle hungrigen Wespen der Stadt von ihm kosten wollen. Und die Hornissen natürlich auch, falls sie grad Zeit haben.
Früher hielt man dieses Schweigen für das traurige Anzeichen schleichenden Beziehungstods.
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