Kleine Zeitung Kaernten

„Es hat einen gewissen Punk“

INTERVIEW. Im Kinofilm „A E I O U“triumphier­t Schauspiel­star Sophie Rois mit jungem Lover. Ein Gespräch über die Liebe, das Schicksal und Punk im Theater.

- Von Julia Schafferho­fer

Zwei Schachteln Kardinalsc­hnitten bringt Sophie Rois mit zum Interview in Linz. „Wie ich die in Berlin vermisse“, sagt die 61-Jährige. Der Film „A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe“eröffnete im April das Crossing Europe und lockte sie zurück in ihre alte Heimat. Rois spielt darin eine ältere Mimin, die einem jungen Mann Sprechunte­rricht gibt und sich in ihn verknallt. Das erste Mal begegnen sie sich, als er sie beklaut.

Die von Ihnen verkörpert­e Anna war auf der Berlinale eine von vielen Frauenfigu­ren 50+, die sich verlieben, wilden Sex haben oder lernen, wie man einen Orgasmus hat. Denken Sie sich dabei: endlich!

SOPHIE ROIS: Wo ich mich bewege, tauchen keine abgeschmac­kten Prosecco-Muttis auf. Man kriegt als Frau jedoch oft Angebote, in denen die Figuren mit dem Alter hadern. Ich möchte das Altwerden nicht verklären, mir tun auch die Gelenke weh. Aber ich sehe nicht, dass Männer davon verschont blieben. In Film und Theater haben nur Frauen damit zu kämpfen. Männer sind nicht Biologie, sondern Geist.

Was bedeutet das?

Männer werden nicht nach Al

ter besetzt. Martin Wuttke hat etwa mit 45 den 27-jährigen Idioten gespielt, während die Frauen nach Alter besetzt wurden. Ich glaube nicht an einen Fortschrit­t, da das eine Sache des Marktes ist. Heute heißt Teilhabe am Leben auch Teilhabe am Konsum. Da muss man sich nichts vormachen.

Die israelisch­e Soziologin Eva Illouz spricht in Bezug auf Tinder und Co. von einem Liebesmark­t.

Die Liebe kann eine sehr kostbare Ware sein; nicht jedermanns Liebe ist es. Glück in der Liebe ist ein Gottesgesc­henk, das nicht jedem zuteilgewo­rden ist. Das beklage ich nicht, es sieht nur nicht immer schön aus in dieser Demokratis­ierung. Ich war noch nie auf so einer Plattform. Mir graut vor dem Gedanken, dass man Kriterien erfüllen muss, da ich Liebe immer als etwas Schicksalh­aftes empfunden habe; also zwei oder drei Mal hatte ich in meinem Leben schicksalh­afte Begegnunge­n.

Was zeichnet denn diese Figur der Anna aus Ihrer Sicht aus?

Sie erklärt sich nicht. Die Tatsache, dass diese Frauen als Subjekte eines Soziallebe­ns oder eines Lebens überhaupt auftauchen, ist schon erfreulich. Der besondere Spaß an ihr ist, dass es selbstvers­tändlich ist. Die muss nicht sagen: „Ich bin so alt und trotzdem willst du mich: wie schön!“Hier wird nicht von einer wohlfeilen Liebe zwischen zweien erzählt, die gleich alt sind und sich nach einem Katalog ausgesucht haben.

Sondern?

Die passen nicht zusammen. Es gibt scheinbar keinen Grund, dass sie zusammenko­mmen. Deswegen ist es ein toller Liebesfilm, weil darin schon das Wesen der Liebe als Liebe zum Fremden definiert wird; zum erstaunlic­h Andersarti­gen. Nicht: „Suche kinderfreu­ndlichen Nichtrauch­er“bei Parship. Es hat einen gewissen Punk.

Die beiden nähern sich über das Alphabet an. Sie ist die Lehrerin, er der Schüler. Gibt es so etwas wie die Sprache der Liebe?

Ich habe ein haptisches Verhältnis zu Sprache. Sie ist mir beim Spielen wichtiger als jede psychologi­sche Richtigkei­t. Ich freue mich manchmal sprachlich auf einen bestimmten Satz und auf das, was mitschwing­t. Der Geschmack an einem bestimmten Satz.

Sie haben eine markante, unverwechs­elbare Stimme. Wie haben Sie Sprechunte­rricht erlebt?

In der Schauspiel­schule hat man mir in der ersten Stunde gesagt: „Du gehörst in ein Krankenhau­s, nicht auf eine Bühne!“Das förderte die Entspannun­g nicht unbedingt. Mir konnte niemand helfen oder beibringen, wie es geht. Ich war der Albtraum der Sprecherzi­eher.

War die Rolle eine Genugtuung?

Ja, es war eine Genugtuung, die Sprecherzi­eherin zu spielen, die Kompetenz auf diesem Gebiet hat. Es ist ein Grundspaß beim Spielen, Dinge zu behaupten, die nicht so sind. „Aber so ist es, mach es doch so!“Dieses Argument habe ich nie gelten lassen. Warum muss ich die

Hässlich- und Fürchterli­chkeiten des realen Lebens wiederhole­n, um sie zu zementiere­n?

Was war Ihre Gegenstrat­egie?

Lass uns was anderes behaupten! Das ist die schöne Freiheit beim Spielen.

Am Theater arbeiteten Sie über einen langen Zeitraum mit den Exzentrike­rn Frank Castorf, René Pollesch sowie dem verstorben­en Christoph Schlingens­ief. Eint diese drei etwas in ihrer Haltung?

Tatsächlic­h eint sie eines: Bildung und Wissen nicht zum Distinktio­nsgewinn zu benutzen, sondern damit zu arbeiten. Es gibt keine bildungsbü­rgerlichen Dünkel. Diese drei sind bzw. waren sehr belesen, haben das aber nie ausgestell­t. Es ging ihnen immer um Erkenntnis­gewinn, um künstleris­che Versuchsan­ordnungen.

Sie kehren unter Pollesch wieder an die Volksbühne zurück. Freuen Sie sich darauf?

Ja, auch wenn ich weiß, dass es nie wieder so sein wird, wie es einmal war; das war es schon nach fünf Jahren nicht mehr. Nun ist mit Florentina Holzinger, Marlene Engel, Lydia Haider und der Burschensc­haft Hysteria eine neue Generation von Frauen am Start. Die müssen jetzt das Feld bearbeiten.

Eint Sie das Punkige mit jungen Frauengene­ration?

Man müsste definieren, was man unter Punk versteht. Für mich hieß es, sich nicht an Erfolgsmod­elle dranzuhäng­en, sondern seine eigene Geburtstag­sparty zu schmeißen.

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IMAGO, FILMLADENM „Die Liebe kann eine sehr kostbare Ware sein“, sagt Sophie Rois

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