„Die Ukraine hat es in ihren Händen“
Wie wichtig ist die außenpolitische Ausrichtung prospektiver Kandidaten?
Sehr wichtig. Natürlich erwarten wir, dass hier alle an einem Strang ziehen.
Wie sehr ist der Westbalkan mit dem Status der Ukraine verknüpft? Was können Sie den Ländern anbieten?
Fast alle Westbalkanländer sind weiter als die Ukraine. Ich hoffe wirklich, wir finden eine Lösung, dass wir endlich unser Versprechen einlösen und mit den Verhandlungen beginnen können. Bosnien-Herzegowina zum Beispiel kann sofort in Beitrittsverhandlungen eintreten, wenn die 14 Hauptpunkte erfüllt sind. Es gab viele Fortschritte, wir sollten das anerkennen.
Ist Serbien da eine Ausnahme?
Serbien muss sich entscheiden, auf welcher Seite es stehen will. Wir wollen es bei uns, aber wir brauchen klare Belege, dass sie unsere Werte teilen, etwa bei
Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Und dass sie die russische Invasion ablehnen.
Die Nahrungsmittelknappheit nimmt dramatisch zu.
Russland blockiert die Ausfuhr von 20 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine. Wir versuchen, die Freigabe zu verhandeln, gleichzeitig arbeiten wir an alternativen Transportwegen – Züge, Straßen, die Donau mit kleineren Schiffen. Das alles reicht nicht, aber es hilft zum Teil. Kurzfristig schauen wir, dass besonders betroffene Länder weltweit Zugang zu Lieferungen haben, mittel- und langfristig braucht es mehr. Das betrifft etwa die Rinderzucht, wo es neue wissenschaftliche Erkenntnisse gibt. Die abhängigen Länder im Süden sollen wieder imstande sein, ihre Nahrungsmittel selbst zu produzieren, so wie das vor 50 Jahren war.
Erwartet uns ein Winter der Rationierungen?
Wir nehmen das sehr ernst, wir sind vorbereitet. Wir wollen ein Ende der Gasabhängigkeit von Russland, das ist Teil meines Abkommens mit US-Präsident Joe Biden. Ich habe auch mit Israel und Ägypten gesprochen, Norwegen und Aserbaidschan liefern mehr. Die zweite Säule unseres RePowerEU-Pakets betrifft die Effizienzsteigerung. Wenn wir die Heizungen um zwei Grad senken oder die Klimatisierungen um diesen Wert heben, würde das allein schon Nordstream 1 überflüssig machen. Wir brauchen massive Investitionen in erneuerbare Energie. Wir haben Notfallpläne für den Winter. Derzeit sind wir bei 43 Prozent vollen Gastanks, bis Winter wollen wir auf 80 Prozent.
Kommt ein Gas-Embargo?
Wir sind dabei, uns von Russland unabhängig zu machen. Der Gesamtverbrauch in der EU ist im ersten Quartal schon um neun Prozent gesunken. Russische Lieferungen sind um 30 Prozent zurückgegangen.
Österreich und Deutschland wollen Kohlekraftwerke reaktivieren, die Emissionen steigen ...
Wir bewegen uns da auf einem sehr schmalen Grat. Ganz klar geht es darum, erneuerbare Energie auszubauen. Die Verfahren für Windkraftanlagen haben bisher bis zu neun Jahre gedauert, das soll in einem Jahr gehen. Wir müssen sicherstellen, dass wir die Krise für eine bessere Zukunft nutzen und nicht in die schmutzige Vergangenheit zurückrutschen. Ich versuche alles Mögliche, um später sagen zu können, wir haben das Richtige getan.
Wie nahe sind wir am siebenten Sanktionspaket?
Wir waren bei den ersten sechs Paketen extrem geeint und erfolgreich. Sie kosten uns etwas, aber noch mehr Russland. Etwa im Finanzsektor: Die russische Zentralbank muss es teuer bezahlen, den Rubel stabil zu halten. Im Wirtschaftsbereich haben die Exportkontrollen viel bewirkt. Die fehlenden Ersatzteile werden in allen Bereichen zum Problem, die russischen Flugzeuge können kaum noch wo außerhalb landen, weil die Zertifikate fehlen. Ersatzteile fehlen für den Zugverkehr, bei den Zulieferern der Autoindustrie. Nun müssen wir schauen, dass es keine Schlupflöcher gibt und die Treffsicherheit steigt.
Was passiert, wenn der Rat den Beitrittsstatus nicht beschließt?
Ich bin fest davon überzeugt, dass eine positive Entscheidung herauskommt.
Werden Sie es heuer schaffen, ein paar Tage in der Steiermark zu verbringen?
Ich hoffe es! Es sieht im Augenblick leider nicht so gut aus, weil so viel zu tun ist. Es wäre ein Traum – das ist der schönste Ort, den es gibt.