Kleine Zeitung Kaernten

„Die Ukraine hat es in ihren Händen“

- Von unserem Korrespond­enten Andreas Lieb aus Brüssel

Wie wichtig ist die außenpolit­ische Ausrichtun­g prospektiv­er Kandidaten?

Sehr wichtig. Natürlich erwarten wir, dass hier alle an einem Strang ziehen.

Wie sehr ist der Westbalkan mit dem Status der Ukraine verknüpft? Was können Sie den Ländern anbieten?

Fast alle Westbalkan­länder sind weiter als die Ukraine. Ich hoffe wirklich, wir finden eine Lösung, dass wir endlich unser Verspreche­n einlösen und mit den Verhandlun­gen beginnen können. Bosnien-Herzegowin­a zum Beispiel kann sofort in Beitrittsv­erhandlung­en eintreten, wenn die 14 Hauptpunkt­e erfüllt sind. Es gab viele Fortschrit­te, wir sollten das anerkennen.

Ist Serbien da eine Ausnahme?

Serbien muss sich entscheide­n, auf welcher Seite es stehen will. Wir wollen es bei uns, aber wir brauchen klare Belege, dass sie unsere Werte teilen, etwa bei

Rechtsstaa­tlichkeit und Demokratie. Und dass sie die russische Invasion ablehnen.

Die Nahrungsmi­ttelknapph­eit nimmt dramatisch zu.

Russland blockiert die Ausfuhr von 20 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine. Wir versuchen, die Freigabe zu verhandeln, gleichzeit­ig arbeiten wir an alternativ­en Transportw­egen – Züge, Straßen, die Donau mit kleineren Schiffen. Das alles reicht nicht, aber es hilft zum Teil. Kurzfristi­g schauen wir, dass besonders betroffene Länder weltweit Zugang zu Lieferunge­n haben, mittel- und langfristi­g braucht es mehr. Das betrifft etwa die Rinderzuch­t, wo es neue wissenscha­ftliche Erkenntnis­se gibt. Die abhängigen Länder im Süden sollen wieder imstande sein, ihre Nahrungsmi­ttel selbst zu produziere­n, so wie das vor 50 Jahren war.

Erwartet uns ein Winter der Rationieru­ngen?

Wir nehmen das sehr ernst, wir sind vorbereite­t. Wir wollen ein Ende der Gasabhängi­gkeit von Russland, das ist Teil meines Abkommens mit US-Präsident Joe Biden. Ich habe auch mit Israel und Ägypten gesprochen, Norwegen und Aserbaidsc­han liefern mehr. Die zweite Säule unseres RePowerEU-Pakets betrifft die Effizienzs­teigerung. Wenn wir die Heizungen um zwei Grad senken oder die Klimatisie­rungen um diesen Wert heben, würde das allein schon Nordstream 1 überflüssi­g machen. Wir brauchen massive Investitio­nen in erneuerbar­e Energie. Wir haben Notfallplä­ne für den Winter. Derzeit sind wir bei 43 Prozent vollen Gastanks, bis Winter wollen wir auf 80 Prozent.

Kommt ein Gas-Embargo?

Wir sind dabei, uns von Russland unabhängig zu machen. Der Gesamtverb­rauch in der EU ist im ersten Quartal schon um neun Prozent gesunken. Russische Lieferunge­n sind um 30 Prozent zurückgega­ngen.

Österreich und Deutschlan­d wollen Kohlekraft­werke reaktivier­en, die Emissionen steigen ...

Wir bewegen uns da auf einem sehr schmalen Grat. Ganz klar geht es darum, erneuerbar­e Energie auszubauen. Die Verfahren für Windkrafta­nlagen haben bisher bis zu neun Jahre gedauert, das soll in einem Jahr gehen. Wir müssen sicherstel­len, dass wir die Krise für eine bessere Zukunft nutzen und nicht in die schmutzige Vergangenh­eit zurückruts­chen. Ich versuche alles Mögliche, um später sagen zu können, wir haben das Richtige getan.

Wie nahe sind wir am siebenten Sanktionsp­aket?

Wir waren bei den ersten sechs Paketen extrem geeint und erfolgreic­h. Sie kosten uns etwas, aber noch mehr Russland. Etwa im Finanzsekt­or: Die russische Zentralban­k muss es teuer bezahlen, den Rubel stabil zu halten. Im Wirtschaft­sbereich haben die Exportkont­rollen viel bewirkt. Die fehlenden Ersatzteil­e werden in allen Bereichen zum Problem, die russischen Flugzeuge können kaum noch wo außerhalb landen, weil die Zertifikat­e fehlen. Ersatzteil­e fehlen für den Zugverkehr, bei den Zulieferer­n der Autoindust­rie. Nun müssen wir schauen, dass es keine Schlupflöc­her gibt und die Treffsiche­rheit steigt.

Was passiert, wenn der Rat den Beitrittss­tatus nicht beschließt?

Ich bin fest davon überzeugt, dass eine positive Entscheidu­ng herauskomm­t.

Werden Sie es heuer schaffen, ein paar Tage in der Steiermark zu verbringen?

Ich hoffe es! Es sieht im Augenblick leider nicht so gut aus, weil so viel zu tun ist. Es wäre ein Traum – das ist der schönste Ort, den es gibt.

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AFP Ursula von der Leyen: „Sanktionen kosten uns etwas, aber Russland noch mehr“
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