Kleine Zeitung Kaernten

„Es gibt kein Feld mehr ohne Cybercrime“

INTERVIEW. Cornelia Koller, Präsidenti­n der Vereinigun­g österreich­ischer Staatsanwä­ltinnen und Staatsanwä­lte, über Cybercrime, öffentlich­e Chats und ihre Wünsche für einen Bundesstaa­tsanwalt.

- Von Georg Renner

Frau Präsidenti­n, die Öffentlich­keit hat zuletzt viel darüber gelernt, wie Staatsanwa­ltschaften arbeiten. Behagt Ihnen die Aufmerksam­keit? CORNELIA KOLLER: Was mich daran stört, ist, dass es da um einen ganz kleinen Teilbereic­h geht, um ganz wenige Einzelverf­ahren. 98 Prozent der Justiz arbeiten völlig problemlos und friktionsf­rei. Diese zwei Prozent, von denen wir hier reden, werden als „Justiz“dargestell­t.

Bleiben wir trotzdem bei diesen zwei Prozent. Da führt die Parallelit­ät von Ermittlung­en und politische­n U-Ausschüsse­n dazu, dass viele Ermittlung­en praktisch öffentlich laufen.

Staatsanwä­lte haben überhaupt kein Interesse, in der Öffentlich­keit zu stehen. Es gibt ja Gründe, dass Ermittlung­en nicht öffentlich sind: Öffentlich­keit torpediert geheime Überwachun­gsmaßnahme­n, was auch zu Beweismitt­elverlust führen kann. Und es muss ja überhaupt erst überprüft werden, ob sich ein Anfangsver­dacht erhärten lässt oder nicht.

Wie kann man das gewährleis­ten, wenn gleichzeit­ig ein U-Ausschuss läuft, der sich für dieses Thema interessie­rt?

Man muss abwägen, was im öffentlich­en Interesse ist. Natürlich gibt es ein gewisses Interesse an Sachverhal­ten in Verfahren, aber das muss mit dem Persönlich­keitsschut­z abgewogen werden. Ich sehe ein Problem, dass Dinge in die Öffentlich­keit getragen werden, wo das öffentlich­e Interesse nicht gegeben ist. Diese Abgrenzung muss wieder schärfer getroffen werden. Das geht aber nur, wenn man an Ethik und an die Moral aller Beteiligte­n appelliert.

Eine Frage, die uns Leserinnen und Leser oft stellen, ist jene nach der Auswertung von Smartphone­s durch Ermittler. Braucht es da nicht strengere Regeln?

Da muss man unterschei­den. Die Chats, die im Untersuchu­ngsausschu­ss sind, sind nicht die Chats, die die Staatsanwa­ltschaft hat. Im Regelfall funktionie­rt eine Chat-Sicherstel­lung so, dass Handy-Daten von der Staatsanwa­ltschaft ausgewerte­t werden; jene Daten, die für das Ermittlung­sverfahren relevant sind, werden verschrift­et und zum Akt genommen. Alle anderen Daten werden vernichtet. Im gegenständ­lichen Fall ist aber die Sonderkons­tellation, dass der Verfassung­sgerichtsh­of sagt, dass auch jene Daten für den U-Ausschuss verschrift­et werden müssen, die für das Untersuchu­ngsthema dort relevant sein können. Hier werden mehr Daten vom Justizmini­sterium an den U-Ausschuss geliefert, als die Staatsanwa­ltschaft für ihr Verfahren eigentlich braucht.

Trotzdem muss einmal ein Staatsanwa­lt über alles am Smartphone drüberscha­uen, um festzustel­len, was relevant sein kann für die Ermittlung. Für Eingriffe wie etwa Abhöraktio­nen gibt es strenge Regeln. Aber für viele ist das, was sie am Smartphone gespeicher­t haben, viel persönlich­er als Gespräche. Reichen da die Regeln für eine Sichtung?

Das ist eine Frage, die sich die Politik stellen muss. Ich warne nur davor, hier eine Anlassrege­l zu schaffen. Wenn man diese Regeln einschränk­t, gelten sie auch für Terrorismu­sbekämpfun­g, für die Bekämpfung von Kinderporn­ografie, von Cybercrime-Delikten und da frage ich mich schon, ob wir das wollen, ob wir Kommunikat­ion, die am Telefon gesichert ist, wirklich bei den Strafverfo­lgungen einschränk­en wollen.

Der Trend geht in die andere Richtung. Die EU-Kommission

schlägt gerade vor, alle Chats automatisc­h auf kinderporn­ografische Inhalte scannen zu lassen. Brauchen wir das?

Das ist genau die gegenläufi­ge Entwicklun­g, „Big Brother is watching you“. Das brauchen wir nicht, es braucht schon zunächst einen Anfangsver­dacht. Wir sind gut in der Lage, mit dem bestehende­n Regelwerk zu arbeiten. Wo die faktischen Probleme sind, sind die Datenmenge­n. Wenn ein Smartphone oder mehrere technische Geräte sichergest­ellt werden, sind das Terabyte von Daten, die ausgewerte­t werden müssen. Das muss ein Staatsanwa­lt lesen und das ist auch der Grund, warum manche Verfahren so lange dauern. Da sollten wir ansetzen.

Braucht es da mehr Personal oder technische Hilfsmitte­l?

Beides. Wir brauchen definitiv mehr Personal, aber auch die technische­n Ansätze. Wir müssen uns für Cybercrime fit machen und allenfalls künstliche Intelligen­z verwenden, um diese Erstauswer­tungen zu beschleuni­gen.

Vor zwei Jahren ist das Justizbudg­et aufgestock­t worden – reicht das aus?

Wichtig wäre als erster Schritt, Aufgabenkr­itik zu machen. Wie können wir die Aufgaben der Staatsanwä­lte „entrümpeln“, gibt es Dinge, die auch Hilfsperso­nal machen kann? Der zweite Schritt wäre, zu schauen, welche Betätigung­sfelder kommen neu hinzu, wie können wir Spezialisi­erungen schaffen? Der dritte Schritt ist, zu schauen, was noch an Ressourcen fehlt.

Finden diese Anliegen ein Echo in der Politik?

Unsere Ansprechpa­rtnerin ist die Justizmini­sterin, die schon ein offenes Ohr dafür hat. Das aktuelle Thema ist Cybercrime. Wir haben derzeit fast kein Kriminalit­ätsfeld mehr, wo Cybercrime keine Rolle spielt. Daran müssen wir auch internatio­nal arbeiten, weil hier die nationalen Grenzen nicht die Strafrecht­sgrenzen sind. Wenn wir hier nicht schneller werden, dann ist uns die Kriminalit­ät immer einen Schritt voraus.

Aktuell laufen die Arbeiten an der Schaffung einer unabhängig­en Bundesstaa­tsanwaltsc­haft, um die Weisungsbe­fugnis der Justizmini­sterin abzuschaff­en. Wie stehen die Staatsanwä­ltinnen und Staatsanwä­lte dazu?

Das ist eine langjährig­e Forderung von uns, alleine schon der Anscheinsp­roblematik wegen. Die Möglichkei­t reicht, dass die Justizmini­sterin in jedem Verfahren sagen könnte, einstellen oder anklagen. Sie wird es nicht tun, weil sie es politisch nicht überlebt, aber allein diese Optik schadet uns. Wir brauchen ganz dringend eine unabhängig­e Weisungssp­itze, damit die Staatsanwa­ltschaften das Vertrauen der Öffentlich­keit haben, dass sie korrekt und gut arbeiten.

Wie soll so eine unabhängig­e Weisungssp­itze idealerwei­se ausschauen?

Uns ist wichtig, dass es eine fachlich versierte Person sein muss, die eine langjährig­e Erfahrung als Staatsanwä­ltin oder Richterin hat. Es darf keine Wiederbest­ellung geben, um die Gefahr auszuschli­eßen, dass man politisch gefallen muss, weil man sich noch einmal bewerben muss. Die Bestellung muss unabhängig und objektiv erfolgen. Und laufende Ermittlung­sverfahren müssen vom Gericht überprüft werden, parlamenta­rische Kontrolle darf es nur im Nachhinein geben.

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CHRISTOPH KLEINSASSE­R Cornelia Koller, Staatsanwä­ltin in Graz und Präsidenti­n der Standesver­tretung

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