„Es gibt kein Feld mehr ohne Cybercrime“
INTERVIEW. Cornelia Koller, Präsidentin der Vereinigung österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, über Cybercrime, öffentliche Chats und ihre Wünsche für einen Bundesstaatsanwalt.
Frau Präsidentin, die Öffentlichkeit hat zuletzt viel darüber gelernt, wie Staatsanwaltschaften arbeiten. Behagt Ihnen die Aufmerksamkeit? CORNELIA KOLLER: Was mich daran stört, ist, dass es da um einen ganz kleinen Teilbereich geht, um ganz wenige Einzelverfahren. 98 Prozent der Justiz arbeiten völlig problemlos und friktionsfrei. Diese zwei Prozent, von denen wir hier reden, werden als „Justiz“dargestellt.
Bleiben wir trotzdem bei diesen zwei Prozent. Da führt die Parallelität von Ermittlungen und politischen U-Ausschüssen dazu, dass viele Ermittlungen praktisch öffentlich laufen.
Staatsanwälte haben überhaupt kein Interesse, in der Öffentlichkeit zu stehen. Es gibt ja Gründe, dass Ermittlungen nicht öffentlich sind: Öffentlichkeit torpediert geheime Überwachungsmaßnahmen, was auch zu Beweismittelverlust führen kann. Und es muss ja überhaupt erst überprüft werden, ob sich ein Anfangsverdacht erhärten lässt oder nicht.
Wie kann man das gewährleisten, wenn gleichzeitig ein U-Ausschuss läuft, der sich für dieses Thema interessiert?
Man muss abwägen, was im öffentlichen Interesse ist. Natürlich gibt es ein gewisses Interesse an Sachverhalten in Verfahren, aber das muss mit dem Persönlichkeitsschutz abgewogen werden. Ich sehe ein Problem, dass Dinge in die Öffentlichkeit getragen werden, wo das öffentliche Interesse nicht gegeben ist. Diese Abgrenzung muss wieder schärfer getroffen werden. Das geht aber nur, wenn man an Ethik und an die Moral aller Beteiligten appelliert.
Eine Frage, die uns Leserinnen und Leser oft stellen, ist jene nach der Auswertung von Smartphones durch Ermittler. Braucht es da nicht strengere Regeln?
Da muss man unterscheiden. Die Chats, die im Untersuchungsausschuss sind, sind nicht die Chats, die die Staatsanwaltschaft hat. Im Regelfall funktioniert eine Chat-Sicherstellung so, dass Handy-Daten von der Staatsanwaltschaft ausgewertet werden; jene Daten, die für das Ermittlungsverfahren relevant sind, werden verschriftet und zum Akt genommen. Alle anderen Daten werden vernichtet. Im gegenständlichen Fall ist aber die Sonderkonstellation, dass der Verfassungsgerichtshof sagt, dass auch jene Daten für den U-Ausschuss verschriftet werden müssen, die für das Untersuchungsthema dort relevant sein können. Hier werden mehr Daten vom Justizministerium an den U-Ausschuss geliefert, als die Staatsanwaltschaft für ihr Verfahren eigentlich braucht.
Trotzdem muss einmal ein Staatsanwalt über alles am Smartphone drüberschauen, um festzustellen, was relevant sein kann für die Ermittlung. Für Eingriffe wie etwa Abhöraktionen gibt es strenge Regeln. Aber für viele ist das, was sie am Smartphone gespeichert haben, viel persönlicher als Gespräche. Reichen da die Regeln für eine Sichtung?
Das ist eine Frage, die sich die Politik stellen muss. Ich warne nur davor, hier eine Anlassregel zu schaffen. Wenn man diese Regeln einschränkt, gelten sie auch für Terrorismusbekämpfung, für die Bekämpfung von Kinderpornografie, von Cybercrime-Delikten und da frage ich mich schon, ob wir das wollen, ob wir Kommunikation, die am Telefon gesichert ist, wirklich bei den Strafverfolgungen einschränken wollen.
Der Trend geht in die andere Richtung. Die EU-Kommission
schlägt gerade vor, alle Chats automatisch auf kinderpornografische Inhalte scannen zu lassen. Brauchen wir das?
Das ist genau die gegenläufige Entwicklung, „Big Brother is watching you“. Das brauchen wir nicht, es braucht schon zunächst einen Anfangsverdacht. Wir sind gut in der Lage, mit dem bestehenden Regelwerk zu arbeiten. Wo die faktischen Probleme sind, sind die Datenmengen. Wenn ein Smartphone oder mehrere technische Geräte sichergestellt werden, sind das Terabyte von Daten, die ausgewertet werden müssen. Das muss ein Staatsanwalt lesen und das ist auch der Grund, warum manche Verfahren so lange dauern. Da sollten wir ansetzen.
Braucht es da mehr Personal oder technische Hilfsmittel?
Beides. Wir brauchen definitiv mehr Personal, aber auch die technischen Ansätze. Wir müssen uns für Cybercrime fit machen und allenfalls künstliche Intelligenz verwenden, um diese Erstauswertungen zu beschleunigen.
Vor zwei Jahren ist das Justizbudget aufgestockt worden – reicht das aus?
Wichtig wäre als erster Schritt, Aufgabenkritik zu machen. Wie können wir die Aufgaben der Staatsanwälte „entrümpeln“, gibt es Dinge, die auch Hilfspersonal machen kann? Der zweite Schritt wäre, zu schauen, welche Betätigungsfelder kommen neu hinzu, wie können wir Spezialisierungen schaffen? Der dritte Schritt ist, zu schauen, was noch an Ressourcen fehlt.
Finden diese Anliegen ein Echo in der Politik?
Unsere Ansprechpartnerin ist die Justizministerin, die schon ein offenes Ohr dafür hat. Das aktuelle Thema ist Cybercrime. Wir haben derzeit fast kein Kriminalitätsfeld mehr, wo Cybercrime keine Rolle spielt. Daran müssen wir auch international arbeiten, weil hier die nationalen Grenzen nicht die Strafrechtsgrenzen sind. Wenn wir hier nicht schneller werden, dann ist uns die Kriminalität immer einen Schritt voraus.
Aktuell laufen die Arbeiten an der Schaffung einer unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft, um die Weisungsbefugnis der Justizministerin abzuschaffen. Wie stehen die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte dazu?
Das ist eine langjährige Forderung von uns, alleine schon der Anscheinsproblematik wegen. Die Möglichkeit reicht, dass die Justizministerin in jedem Verfahren sagen könnte, einstellen oder anklagen. Sie wird es nicht tun, weil sie es politisch nicht überlebt, aber allein diese Optik schadet uns. Wir brauchen ganz dringend eine unabhängige Weisungsspitze, damit die Staatsanwaltschaften das Vertrauen der Öffentlichkeit haben, dass sie korrekt und gut arbeiten.
Wie soll so eine unabhängige Weisungsspitze idealerweise ausschauen?
Uns ist wichtig, dass es eine fachlich versierte Person sein muss, die eine langjährige Erfahrung als Staatsanwältin oder Richterin hat. Es darf keine Wiederbestellung geben, um die Gefahr auszuschließen, dass man politisch gefallen muss, weil man sich noch einmal bewerben muss. Die Bestellung muss unabhängig und objektiv erfolgen. Und laufende Ermittlungsverfahren müssen vom Gericht überprüft werden, parlamentarische Kontrolle darf es nur im Nachhinein geben.