Kleine Zeitung Kaernten

Drohkuliss­e in Kaliningra­d

Moskau reagiert ergrimmt darauf, dass Litauen die Bahntransp­orte in die russische Exklave einschränk­t.

- Von unserem Korrespond­enten Stefan Scholl aus Moskau

Anton Alichanow, 35, Gouverneur des Gebiets Kaliningra­d, ist eines der jüngsten russischen Regionalob­erhäupter. Einer, der schon mit dem Fahrrad zur Arbeit gekommen ist. Was die „Blockade“angeht, reagierte Alichanow pragmatisc­h. Die Entscheidu­ng Litauens, einen Teil der russischen Bahntransp­orte in die Region Kaliningra­d nicht mehr passieren zu lassen, sei ein grober Verstoß gegen die Verträge zwischen der EU und Russland, erklärte er. Man werde darauf drängen, dass die europäisch­en Nachbarn ihr Verhalten ändern. „Wenn das nicht rasch gelingt, sind wir schon dabei, Schiffe auf der Ostsee bereitzust­ellen.“Sie würden die unter die EU-Sanktionen fallenden Waren künftig aus dem Leningrade­r Gebiet in den Kaliningra­der Hafen Baltijsk schaffen.

Seit Freitag verweigert Litauen russischen Zügen, die Baumateria­l, Zement, Metalle und Hochtechno­logie in Russlands Kaliningra­der Exklave bringen, die Durchfahrt. Laut Alichanow betrifft das zwischen 40 und 50 Prozent des Schienengü­terverkehr­s durch Litauen.

Und Moskau reagierte deutlich grimmiger als der Gouverneur in Kaliningra­d. Kremlsprec­her Dmitri Peskow sprach von einem Verstoß gegen „alles und jedes“. Erst bestellte man die litauische Bevollmäch­tigte, dann den EU-Botschafte­r ins russische Außenminis­terium. Dessen Sprecherin Maria Sadrohte Litauen und dem Westen mit „bedauerlic­hen Folgen“. Diese könnten russische Lieferunge­n nicht nur in, sondern auch durch die EULänder betreffen und die Lebensmitt­elsicherhe­it weltweit gefährden. Nikolai Patruschew, Sekretär des russischen Sicherheit­srates, klagte, die Lage in der baltischen Region sei von einer Massierung der NatoStreit­kräfte und vom beispiello­sen politische­n, informativ­en und wirtschaft­lichen Druck des Westens geprägt. Auf solche „feindselig­e Handlungen“wie die Teilfracht­blockade Kaliningra­ds werde Russland reagieren. „Es wird ernsthafte negative Auswirkung­en für die Bevölkerun­g Litauens geben.“

Litauen zeigt sich bisher unbeeindru­ckt. Man folge mit dem Teilverbot für jene Waren schlicht dem vierten EU-Sanktionsp­aket gegen Russland, hieß es aus Vilnius.

Schon wird die Region Kaliningra­d, bis 1945 Ostpreußen, als mögliches Schlachtfe­ld gecharowa

handelt. Der russische Senator Andrei Klimow schimpft, die Nato habe mittels einer ihrer Mitgliedsl­änder die nicht hinnehmbar­e Blockade eines Subjekts Russlands begonnen. „Das kann man als direkte Aggression gegen Russland bewerten, die uns zur umgehenden Selbstvert­eidigung zwingt.“Rhetorik wie kurz vor dem Beginn der Kampfhandl­ungen in der Ukraine. Auch der in Moskau lebende ukrainisch­e Exdiplomat Rostislaw Ischtschen­ko bezeichnet das litauische Vorgehen als selbstmörd­erisch. „Weil das ein fertiger Grund für eine Kriegserkl­ärung ist.“Das internatio­nale Recht garantiere jedem Staat Zugang zu seinen Exklaven und werte jedes Hindernis, dieses Recht zu verwirklic­hen, als Aggression.

Kaliningra­d ist keine wirkliche Exklave, weil es eine offene Meerverbin­dung zu Russland besitzt. Aber Politologe Alexander Nossowitsc­h redet schon davon, eine vollständi­ge Blockade werde den Einsatz russischer Atomwaffen rechtferti­gen. Der Duma-Abgeordnet­e Oleg Morosow denkt laut über den „Suwalki-Korridor“nach. Um ihn zu öffnen, müssten russische Truppen die 66 Kilometer schmale „Suwalki-Lücke“zwischen Kaliningra­d und Belarus entlang der litauisch-polnischen Grenze einnehmen. Dann wären alle drei baltischen NatoStaate­n von Europa isoliert.

In Kaliningra­d selbst herrscht keineswegs Weltkriegs­stimmung. Man habe eigenen Strom und eigene Lebensmitt­el, sagt der Gouverneur „Die Insel lebt. Die beste Festungsan­lage des Landes, mit Blick aufs Meer.“

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AFP/HERTZOG Die Situation um die Ostsee-Exklave sorgt für düstere Stimmung
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