„Wir haben alles getan, jetzt ist die EU am Zug“
Warten auf Godot – so sah sich der Westbalkan beim EU-Gipfel. Ukraine und Moldau sind nun Kandidaten, „Perspektive“für Georgien.
Der vorgelagerte Westbalkan-Gipfel dauerte länger als gedacht, säuerliche Mienen am „Familienfoto“und schließlich die Absage der geplanten Balkan-Pressekonferenz mit Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel – es war unschwer zu erkennen, dass der Auftakt des EU-Sommergipfels in Brüssel nicht unbedingt nach Drehbuch verlief.
Schließlich wurde das Treffen dann doch ein „historisches“– die EU gewährte der Ukraine und Moldau den Status als Beitrittskandidaten, Georgien bekommt die „Beitrittsperspektive“. Die 27 Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer trafen den Beschluss einstimmig, kurz davor hatte sich auch noch das EU-Parlament dafür ausgesprochen. „Georgiens Zukunft liegt in der EU“, so der EU-Ratschef. Ursula von der Leyen kommentierte: „Heute ist ein guter Tag für Europa.“Die Länder seien Teil der europäischen Familie. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wurde live
und bedankte sich für die Unterstützung.
Das Signal an die Ukraine – und gleichzeitig an Russland – kam in Rekordzeit zustande und brachte Verwerfungen an ganz anderer Stelle hervor. Die Länder des Westbalkans sitzen schon seitvielen Jahren im Wartezimmer und wollen nun endlich auch weiterkommen. Es mutet paradox an, dass genau das auch im Sinne der EU ist und dennoch der Prozess auch mit dem Gipfel kaum weitergekommen ist. Zumindest das Ende des Visumzwangs für den Kosovo und der Kandidatenstatus für BosnienHerzegowina schienen nun möglich zu sein. Tatsächlich verzögerte sich der Ablauf dann gegen Abend beträchtlich, weil noch um Bosnien gerungen wurde. Dabei ging es um die Systematik des Verfahrens, die für die Ukraine anders ausgelegt wird. Bosnien-Herzegowina könne heuer noch den offiziellen EUBeitrittskandidatenstatus bekommen, wenn es wichtige Wahlrechts- und Verfassungsreformen umsetze, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nach den Beratungen. Er sprach von einem „Paradigmenwechsel“. Es sei gelungen, Bosnien „wieder in den Fokus zurückzubekommen.“
Doch zu viele Stolpersteine liegen noch auf dem Weg, einer davon heißt Bulgarien. Das EUund Nato-Land, dessen Regierung erst am Vorabend des Gipfels durch einen Misstrauensantrag zu Fall gebracht wurde, blockiert den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien. In den Jahren davor hatten unter anderem Griechenland, Frankreich und die Niederlande Fortschritte blockiert. Die EU-Staaten wollen gleichzeitig mit Nordmazedonien und Albanien die Gespräche eröffnen, somit hängen die Schicksale beider Länder zusammen. Und nun gibt es ausgerechnet wegen der EU-Erzugeschaltet weiterung eine innenpolitische Krise in Bulgarien, die alles lähmt. „Solange das Parlament nicht entschieden hat, bleibt die bulgarische Position unverändert“, musste der proeuropäische Regierungschef Kiril Petkow in Brüssel bekennen.
Die Regierungschefs von Albanien (Edi Rama), Nordmazedonien (Dimitar Kovacˇevski) und Serbien (Aleksandar Vucˇic´) setzten ihre eigene Pressekonferenz an und sparten nicht mit kräftigen Worten. „Wir dürfen nicht ein bilaterales Problem zu einem allgemeinen machen“, befand Kovacˇevski: „Wir haben so viel getan – jetzt ist es Zeit für die EU, ihre Versprechungen einzulösen.“Edi Rama sagte mit Sarkasmus in der Stimme, die EU tue ihm leid; die Vertreter des Westbalkans hätten jeweils nur drei Minuten Redezeit gehabt, da hätten „30 Sekunden auf Telegram auch
Wir warten nicht mehr länger auf Godot. Und dass ein Nato-Land zwei andere als Geiseln nimmt, ist eine Schande. Edi Rama, Albanien
Wir dürfen nicht mit zweierlei Maß messen. Das ist ein Gebot der Fairness und eine Frage der Glaubwürdigkeit. Bundeskanzler Karl Nehammer
gereicht“. Sein Land warte seit acht Jahren, er habe schon zum dritten Mal Wahlen gewinnen müssen, um immer noch hier zu sein. Und: „Wir warten nicht mehr auf Godot“, in Anspielung an das Beckett-Stück. Dass mit Bulgarien ein Nato-Land zwei andere in Geiselhaft halte, sei eine Schande. Im Grunde liege der Fehler aber im System. Ähnlich argumentierte Vucˇic´, der sich allerdings auch von Rama Vorwürfe wegen der serbischen Haltung gegenüber Russland anhören musste. Vucˇic´ ließ aber die Tür für Verhandlungen offen, sprach von einer „guten Diskussion“und großem öffentlichen Interesse, das sollte man nicht unterschätzen.
Ausdrücklich erwähnte er bilaterale Gespräche mit Emmanuel Macron und Kanzler Karl Nehammer. Dieser hatte sich für den Westbalkan starkgemacht und etwa für Bosnien-Herzegowina ebenfalls den Kandidatenstatus gefordert, obwohl das Land noch elf von 14 Kriterien nicht erfüllt. Was für die Ukraine gelte, müsse auch für andere anwendbar sein, so Nehammer.