Kleine Zeitung Kaernten

Tempo 100 statt 130: Müssen wir jetzt vom Gas gehen?

Ja: Nun zählt jedes Mittel. Und mit diesem vergleichs­weise schmerzlos­eren Beitrag kann mehr gespart werden, als man denkt.

- Ja

Es ist unausweich­lich: Wir müssen runter vom Gas. Denn mit Vollgas waren wir lange genug unterwegs. Ungebremst haben wir die Ressourcen der Welt verprasst, uns dabei in ungesunde Abhängigke­iten begeben und die Welt mit Abgasen verpestet. Die Rechnung dieser rasanten Fahrt bekommen wir nun präsentier­t. Und sie ist geschmalze­n. Der Ukraine-Krieg führt uns das noch einmal zusätzlich schmerzvol­l vor Augen.

Also runter von der Überholspu­r, hin zu einem nachhaltig­eren Fahrstil. Und dabei zählt jeder Hebel. Sich auf der Autobahn etwas zu drosseln, ist dabei ein vergleichs­weise schmerzbef­reiter Beitrag, der mehr bringt, als man glaubt. Studienerg­ebnisse der TU Graz und des Verkehrscl­ub Österreich (VCÖ) zeigen, dass der Spritverbr­auch bei Tempo 100 im Schnitt rund ein Viertel niedriger ist, als bei 130 km/h.

Pro gefahrenem Kilometer emittiert ein Auto bei Tempo 100 statt Tempo 130 im Schnitt um 49,7 Prozent weniger Stickoxide und um 34,2 Prozent weniger Feinstaub. Zusätzlich reduziert man durch die niedrigere Geschwindi­gkeit die CO2Emissio­nen um etwa 23 Prozent und spart damit ebenso viel Treibstoff, so Berechnung­en des Umweltbund­esamts. Die Reduktion der Geschwindi­gkeit auf der Autobahn im Salzburger Stadtgebie­t von 100 auf 80 km/h habe laut Experten so viel Stickoxid eingespart wie eine zweimonati­ge Komplettsp­erre.

Doch stimmt das noch, wenn der Anteil an E-Autos nun stetig steigt? Ja, auch hier bringt Tempo 100 etwas. Wer gemächlich­er unterwegs ist, steigert die Reichweite des Autos enorm und muss erst nach deutlich mehr Kilometern wieder an den Strom. Der kommt zwar bekanntlic­h aus der Steckdose, doch ist nicht immer grün und günstig sowieso nicht.

Muss das Resümee also lauten: billiger, grüner, sicherer, aber dafür länger unterwegs? Stimmt, jedoch ist der Zeitunters­chied geringer, als man denkt. Rein rechnerisc­h benötigt man zwölf Minuten für eine Strecke von etwa 20 Kilometer bei Tempo 100, etwas mehr als neun Minuten bei Tempo 130. Die Differenz beträgt somit weniger als drei Minuten. Der VCÖ weist zusätzlich darauf hin, dass bei Tempo 100 die reale Leistungsf­ähigkeit einer Fahrbahn rund 2440 Autos pro Stunde und bei Tempo 130 hingegen nur rund 2250 Autos beträgt. Sprich, mehr Autos können ungebremst auf einer Strecke unterwegs sein. Eine höhere Leistungsf­ähigkeit bedeutet weniger Staus und damit weniger Fahrzeit-Verzögerun­gen. Zusätzlich nimmt bei niedrigere­m Tempolimit die Zahl der Verkehrsun­fälle ab, was wiederum die Zahl der Staus verringert. Auch wenn es paradox klingen mag: In Summe kann ein niedrigere­s Tempolimit dazu führen, dass man schneller ans Ziel kommt – und Geldbörsel und die Umwelt entlastet man sowieso.

Gaskrise, Klimawande­l, Teuerung: Wir müssen unseren Energiever­brauch einbremsen. Hilft es, unsere Geschwindi­gkeit im Verkehr zu drosseln, oder ist das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein? Nein

Die Physik lässt nicht mit sich feilschen: Umso schneller man fährt – egal ob fossil- oder batteriebe­trieben – umso höher die gefahrene Geschwindi­gkeit, desto mehr macht sich der Luftwiders­tand der Karosserie bemerkbar und der Verbrauch steigt. Das sind unumstößli­che Fakten. Aber dass die Senkung der erlaubten Höchstgesc­hwindigkei­t auf Autobahnen und Schnellstr­aßen von 130 auf 100 km/h keinen entscheide­nden Beitrag zur Bekämpfung von Klimakrise und Abhängigke­it von ausländisc­hen Energielie­ferungen leisten kann, ist es auch. Mit einer Treibstoff­einsparung von einem bis drei Prozent wäre laut Erhebungen des ÖAMTC zu rechnen.

Hingegen zeigt eine aktuelle Umfrage im Auftrag des Nachrichte­nmagazins „Profil“, dass 45 Prozent der Österreich­erinnen und Österreich­er Tempo 100 auf Autobahnen strikt ablehnen und weitere 23 zumindest eher dagegen sind. Es wäre also eine Maßnahme, bei der zu befürchten wäre, dass ein minimaler Einsparung­seffekt auf maximale Ablehnung stößt. Vor allem vor dem Hintergrun­d, dass aktuell rund die Hälfte des Autobahnve­rkehrs ohnehin durch Zonen mit Beschränku­ngen auf Tempo 100 oder 80 rollt. In den 130er-Abschnitte­n wird durchschni­ttlich 105 km/h schnell gefahren. Viele können verkehrsbe­dingt oder wollen die Höchstgesc­hwindigkei­t also gar nicht ausreizen.

Der Hintergrun­d, eine generelle Verhaltens­änderung in der Bevölkerun­g anzustoßen und zunehmend auf das Auto zu verzichten, ist richtig und wichtig. Nur kann die gute Intention auch falsch abbiegen, wie man jüngst in den Niederland­en verfolgen konnte, wenn sie eine Einzelmaßn­ahme bleibt und von den Menschen nicht mitgetrage­n wird. Die erlaubte Höchstgesc­hwindigkei­t auf der Autobahn wurde von 130 bzw. 120 auf 100 km/h herabgeset­zt. Und ja, das Verhalten der Verkehrste­ilnehmer hat sich verändert: Da sie auf der Autobahn nicht mehr so flott vorankamen, entschiede­n sich Autofahrer­innen und Autofahrer laut Untersuchu­ngen im Auftrag des niederländ­ischen Umweltmini­steriums vermehrt dazu, auf die Landstraße­n auszuweich­en. Die liegen wiederum zum Teil direkt an sensiblen Naturschut­zgebieten, denen man damit einen Bärendiens­t erwiesen hat.

Anders als ein niedrigere­s und starres Tempolimit, bergen sogenannte dynamische Geschwindi­gkeitsbesc­hränkungen das Potenzial, den Verkehrsfl­uss zu verbessern. Dabei handelt es sich um computerge­stützte Systeme, die basierend auf Daten, die mit Kameras und Sensoren erhoben werden, die aktuell vorteilhaf­teste Geschwindi­gkeit messen und das erlaubte Tempo entspreche­nd vorgeben. Denn nach den Ressourcen – seien es Sprit oder Strom –, die man gar nicht verbraucht, sind die, die nicht im Stau stehend verpuffen, schon die zweitbeste­n.

Nein: Alleine das Tempolimit zu senken, wird den Energiever­brauch nicht signifikan­t senken und auch den Autoverkeh­r nicht verringern.

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UNSPLASH/LARS KUCZYNSKI

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