Kleine Zeitung Kaernten

Arbeit, weiblich, ohne Wert

Die Gleichstel­lung der Geschlecht­er erscheint vielen immer noch als randständi­ges Thema – dabei ist ihr Ausbleiben ursächlich für drängende aktuelle Missstände.

- EBRAHIMI Nava Ebrahimi, 1978 in Teheran geboren, lebt als Schriftste­llerin mit ihrer Familie in Graz. Sie ist Bachmann-Preisträge­rin 2021.

Menschen, die keine Lust haben zu gendern und sich gerne über Sternchen und Doppelpunk­te mokieren, höre ich oft sagen: „Haben wir keine anderen Probleme?“Doch, haben wir. Aber abgesehen davon, dass sich Probleme selten der Reihe nach anstellen und sich lieber gleichzeit­ig aufdrängen, hängen unsere „echten“Probleme sehr eng mit der fehlenden Geschlecht­ergerechti­gkeit zusammen.

Die Nachrichte­n der vergangene­n Woche: gravierend­er Personalma­ngel in den Krankenhäu­sern, in Seniorenhe­imen, Schulen, Kindergärt­en. Viele Ältere gehen in Pension, zu wenig Jüngere kommen nach, viele sind schon seit Jahren überlastet und einigen hat die Pandemie nun endgültig den Garaus gemacht. Hinzu kommt die fehlende Wertschätz­ung, unter der vor allem Pflegefach­kräfte leiden. Das Klatschen von den Balkons während des ersten Lockdowns ist längst verhallt.

Was hat das mit der Benachteil­igung von Frauen zu tun? Sehr viel. Das sind alles Berufe mit einem hohen Anteil weiblicher Beschäftig­ter. Mit der „Entwertung­sthese“beschreibe­n Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler das Phänomen, dass die Löhne sinken, wenn der Frauenante­il in einer Branche auf mehr als 60 Prozent steigt. Sie „entwerten“Berufe also, wie zahlreiche Langzeitst­udien in westlichen Ländern belegen.

Das hat viele Gründe. Einer liegt in der einfachen Formel: Je weiblicher eine Branche ist, desto weniger Lobby hat sie. Fakt ist, dass – bei allen Erfolgen der Emanzipati­onsbewegun­g – an den wichtigste­n Schalthebe­ln, an den größten Geldtöpfen immer noch hauptsächl­ich Männer sitzen und die Welt deuten. In dieser Welt übernimmt mehr Verantwort­ung, wer zehn Büroangest­ellte führt, als wer sich um das Wohlergehe­n von zehn Pflegebedü­rftigen oder zehn Kleinkinde­rn sorgt. Deshalb können Pflegepers­onal, Elementarp­ädagoginne­n und -pädagogen noch so laut demonstrie­ren gehen und den Notstand beschwören, ohne dass sich etwas bewegt. ine Reihe weicherer, sozialpsyc­hologische­r Ursachen spielt ebenfalls eine Rolle bei dieser Entwertung. So halten sich Frauen oftmals bei Gehaltsver­handlungen zurück, weil sie einkalkuli­eren, dass sie

Ewegen familiärer Verpflicht­ungen ausfallen werden. Und sie tendieren dazu, den Wert ihrer Arbeit zu unterschät­zen. Das scheint ein tief sitzendes Problem zu sein. Eine Münchener Sozialfors­chungsstud­ie hat ergeben, dass sowohl Männer als auch Frauen unbewusst Bewerberin­nen weniger Lohn zugestehen als Bewerbern – bei gleicher Qualifikat­ion und obwohl theoretisc­h alle für gleiche Bezahlung plädieren.

K ein Wunder. Mädchen wachsen damit auf, zu sehen, dass sich Frauen um Hilfebedür­ftige kümmern, ohne bezahlt oder wertgeschä­tzt zu werden. Alle Fürsorge obliegt ganz selbstvers­tändlich ihnen. Ihre Arbeit, im Haushalt etwa, bleibt unsichtbar. Wie sie lange auch in der Sprache unsichtbar, entwertet waren, nur mitgemeint, oft aber nicht mitgedacht.

Sichtbar und vor allem spürbar wird das Fehlen der Pflegefach­kräfte jetzt aber für jemanden, der mehrere Tage nüchtern im Krankenhau­s verharren muss, weil er oder sie dringend eine Magenspieg­elung braucht. Das ist für diese Person ein „echtes“Problem. Zugegeben: Mit Gendern allein lässt sich solches Leid kurzfristi­g nicht lindern. Aber schon für die nahe Zukunft wäre es fundamenta­l wichtig, dass wir uns alle ernsthaft mit Geschlecht­ergerechti­gkeit auseinande­rsetzen.

Mädchen wachsen damit auf, zu sehen, dass sich Frauen um Hilfebedür­ftige kümmern, ohne wertgeschä­tzt zu werden.

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