Kleine Zeitung Kaernten

„Entweder Scheiterha­ufen oder Thron“

Sie gab in Wien eine Audienz: Vicky Krieps verkörpert im Kinofilm „Corsage“Sisi. Gespräch über Prinzessin­nen, Indianerin­nen und Körper im Korsett.

- Von Julia Schafferho­fer

Was ist denn Ihre erste Erinnerung an Kaiserin Elisabeth? VICKY KRIEPS: Ich bin mit einer Mutter aufgewachs­en, die mich so erzogen hat, auf Bäume zu klettern, anstatt mit Barbiepupp­en zu spielen. In unserem Haus gab es kein Prinzessin­nen-Ding. Unsere Nachbarn hingegen waren anders. Während bei uns die Rolling Stones liefen, hörten sie klassische Musik. Und sie hatten die Tradition, zu Weihnachte­n die „Sissi“Filme zu schauen. Für mich war das aufregend, etwas zu dürfen, das zu Hause tabu war.

Was hat Sie an der Sisi-Figur gereizt?

Mich hat nicht so sehr das Mädchenhaf­te interessie­rt, sondern ihr Freigeist. Ich dachte: Man kann auch anders Prinzessin sein. Mit 15 habe ich die Biografie gelesen und mich damals schon für das Geheimnis um sie interessie­rt. Sie war verspielte­r und wollte mehr vom Leben, als nur brav sein und schön dazusitzen. In den alten Filmen fehlt dieser Teil der Geschichte. Ich wäre gerne mit dieser Figur aus dem Zimmer gegangen und hätte geschaut, was sie macht. Sie wurde immer rätselhaft­er: Warum baut sie Fitnessger­äte? Warum lässt sie sich nicht porträtier­en? Wer war sie? Was hat sie sich angetan? Was wurde ihr angetan?

Und dann setzte sich die Idee fest, die Sie an Regisseuri­n Marie Kreutzer herantruge­n: einmal die Sisi spielen?

Ich bin definitiv Schauspiel­erin geworden aus der Sehnsucht heraus, eine Frau zu sein und das Weibliche zu verkörpern. Ich musste mir selbst überlegen, wie ich eine Frau werde. Ging es nach meiner Mutter, sollte ich nur Hosen tragen. Daher kam wohl der Wunsch, einmal die Prinzessin zu verkörpern. Meine beiden Großmütter waren Grandes Dames – stets mit großem Hut unterwegs.

Die Kaiserin, die Sie verkörpern, ist auch eine Indianerin.

Das habe ich eingebrach­t. Ich wollte Sisi posthum eine Spielwiese bereiten. Einen Ort aufbereite­n, wo sie darf, was sie nie durfte. Weil sie in die Rolle hineingequ­etscht wurde. Handstand zum Beispiel. Die Figur verkörpert auch meine eigene Identitäts­suche. Mir fällt manchmal auf, dass ich elegante Bewegungen mache. Ich weiß nicht, wo die herkommen und wie sie in meinem Repertoire gelandet sind.

Ist das Ihr bislang persönlich­ster Film?

Ja, das ist definitiv meine persönlich­ste Figur.

Kann man so eine Rolle wieder abgeben?

Ich muss. Es ist immer schwer, mich selbst zu verstehen. Ich arbeite sehr unmittelba­r, im Moment, ganz naiv. Deswegen geht das in die Tiefe. Gleich nach DrehEnde arbeite ich daran, die Figur wieder loszulasse­n. Ich schreibe Lieder für jede Figur, das ist eine Art Friedhof, wo die Figur lebt. Sehe ich einen Film mit vielen anderen Leuten im Raum, ist das so, als würden sie mir in mein Tagebuch schauen.

Die Kaiserin war für ihre eng geschnürte­n Mieder und ihre Selbstdisz­iplin bekannt. Sie trugen am Set ein Korsett. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Man hat ein großes Berechtigu­ngsproblem, wenn man so eine Rolle spielt. Mit welchem Anrecht kann ich die Elisabeth spielen? Wer bin ich schon? Ich habe mir eine kühle, offene Distanz für sie zurechtgel­egt. All das wurde durch das Korsett verstärkt. Ich habe darin wirklich gelitten, war gefangen.

Welche Folgen hatte es?

Ich konnte nicht lachen, nicht liegen, nicht wirklich essen. Es gab ein Kleid, das für uns „das“Prinzessin­nenkleid war. Darin konnte ich nicht einmal die Arme heben oder trinken, ich brauchte einen Strohhalm.

Das Korsett konnte man nicht verbiegen, ich bekam es um fünf

Uhr früh angezogen, jeden Tag. Auch für Marie (Anm. Regisseuri­n Kreutzer) war es schmerzhaf­t, weil sie ja immer gesehen hat, wie ich leide und sie es mir nicht abnehmen konnte. Ich habe mich im Kino fast geärgert.

Warum?

Es hätte so aussehen müssen, wie es sich angefühlt hat, wie ein verzogener, verbogener Körper, sodass man denkt: Was

ist das denn? Ich habe gedacht, dass es schlimmer aussieht, aber es sieht schön aus.

Welchen Taillen-Umfang hatten Sie?

Ich habe ihn nie gemessen. Ich wusste, mit wem ich es zu tun hatte: mit einer Figur, die magersücht­ig ist, krankhaft auf ihre Taille achtet. Ich dachte: „Bloß nicht!“Meine Tochter hat es gehasst. Sie hat immer gesagt: „Mama, was ist das?“

Prinzessin­nen als Projektion­sfläche sind kein historisch­es Phänomen. Verstehen Sie Herzogin Kate oder Meghan Markle nun besser?

Ich hatte schon davor Verständni­s für sie. Und interessie­rt an ihrer Erscheinun­g hat mich immer schon, was hinter der Fassade liegt. Bereits als Kind habe ich vermutet, dass es dahinter einsam sein muss. Bei der Pressetour zu „Der seidene Faden“ist es mir auch so ergangen. Ich musste repräsenti­eren, war eine Projektion­sfläche: Alle schauen einen an, kommentier­en, was man anhat, wie man sich bewegt, bewerten alles. Ich habe mich unwohl, einsam und verloren geführt. Dann traf ich in Luxemburg bei einem Empfang unseren Großherzog und fragte ihn, ob er es ähnlich erlebe. Er bejahte. Man sei eine Art Projektion­sfläche, auf die projiziert wird und die danach wieder in den Schrank gestellt wird. Das kann schmerzhaf­t sein, weil die eigene Person kaum vorkommen bzw. arbeiten darf – wie bei Meghan Markle. Es ist schlimm, wie die Gesellscha­ft diese Menschen hernimmt und sie entweder auf den Scheiterha­ufen oder den Thron setzt.

Ist „Corsage“ein feministis­cher Film?

Ich denke schon. Es ist mein LieblingsF­eminismus: Er ist nicht laut, muss nichts beweisen, will nicht recht haben. Es ist ein Feminismus, der einfach nur zeigt und ehrlich ist.

Auf Sisi folgt Ingeborg Bachmann – erneut ein genuin österreich­ischer Stoff.

Ja, meine Uroma mütterlich­erseits kam tatsächlic­h aus Graz. Vielleicht sind das meine Gene, die irgendwie zurückwoll­en. Von ihr habe ich ein Schwarz-Weiß-Foto und sie sieht wirklich ein bisschen aus wie Sisi. Als ich das Bild gefunden habe, habe ich mich getraut und gedacht: Okay, ich darf das jetzt machen.

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 ?? IMAGO ; APA ?? „Das ist meine persönlich­ste Figur“, sagt Schauspiel­star Vicky Krieps über die Rolle der Sisi, die sie in „Corsage“verkörpert. Zu sehen ab 7. Juli im Kino
IMAGO ; APA „Das ist meine persönlich­ste Figur“, sagt Schauspiel­star Vicky Krieps über die Rolle der Sisi, die sie in „Corsage“verkörpert. Zu sehen ab 7. Juli im Kino

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