Wie bitte?!
Sprache verändert sich ständig. Sie ist den verschiedensten Einflüssen ausgesetzt. Vom vermeintlichen Dialektsterben über den Superübersetzer bis hin zur Emoji-Sprache: Wie könnten wir in Zukunft sprechen?
Darüber, wie wir sprechen, denken wir selten nach. Wir tun es eben einfach. Und im besten Fall verstehen wir einander. Aber wir sprechen anders als noch vor 100 Jahren. Was sich bis jetzt verändert hat, lässt darauf schließen, was noch kommt. Eine Spurensuche mit drei Sprachwissenschaftlern, entlang von fünf Dialogen.
Es ist ein Traum, den manche schon lange träumen: Die ganze Welt spricht eine einzige Sprache. Sprachen zu lernen, ist obsolet. Christiane Pabst lässt den Traum platzen: Von einer Universalsprache könne (noch) lange nicht die Rede sein, meint die Sprachwissenschaftlerin und Chefredakteurin des
Österreichischen Wörterbuchs. „Dazu sind wir zu unterschiedlich.“Dafür strebe die Gesellschaft zu sehr nach Individualität. Außerdem sei Englisch als Verkehrssprache – als Lingua franca – sowieso etabliert.
Dass wir mittels künstlicher Intelligenz über unsere Smartphones miteinander sprechen, ist da schon realistischer. Forscherinnen und Forscher tüfteln etwa in China an solchen Superübersetzern. „Diese Programme können schon sehr viel und sind eine Erleichterung”, sagt Sprachwissenschaftlerin
Lisa Krammer von der Uni Wien. Aber es werde noch eine Weile dauern – oder nie dazu kommen –, dass Technologie versteht. „Dieses Zwischen-den-Zeilen-Lesen und auch das Interpretieren. Das kann nur ein Mensch.“
Geht es um das prophezeite Dialektsterben, gehen die Wogen hoch. „Weil Sprache mit unserer Identität zu tun hat“, sagt Pabst und erklärt: Sprache sei nicht nur Informationsaustausch, sondern etwas, was jeder Mensch mit seiner Herkunft verbindet, mit seinen Gefühlen, seinen Erinnerungen und dem Bild, das er von sich selbst hat. Deswegen werde es auch das große Dialektsterben nicht geben. „Ja, manche Wörter für Werkzeuge, die man heute nicht mehr verwendet, verschwinden.“Dafür kommen neue dazu, zum Beispiel Coronaparty oder Gurgeltest.
Und Dialekte werden vermehrt zu Regiolekten – also zu regionalen Umgangssprachen, die man großräumiger spricht. „Es kommen auch andere Formen hinzu“, sagt Krammer. Dialekt, gespickt mit Jugendsprache oder Anglizismen etwa. Sprache verändert sich laufend: „Dialekte unterliegen einer Dynamik, sie passen sich unseren Lebensverhältnissen an. Die sind aktuell intensiv und schnelllebig.“Jedoch glaubt Pabst: „Je turbulenter die Globalisierung, desto mehr verwurzelt sich das Individuum.“
Von Anna Stockhammer
Apropos Individuum: Ähnlich emotional wird es bei der „Germanisierung“des österreichischen Deutsch. Kaum wo wird so heftig darüber diskutiert, ob die Knolle Erdäpfel oder Kartoffel heißt. Als Österreicherinnen und Österreicher „sollten wir selbstbewusst Jänner, Karotte und Haube sagen. Das gehört zu uns“, ist Stefan Dollinger überzeugt. Der gebürtige Oberösterreicher ist Sprachforscher an der University of British Columbia in Vancouver. Er betont, dass das Österreichische nicht „Dialekt des Deutschen“, sondern eine eigenständige Standardsprache ist.
Der Hintergrund: Weltweit sinkt die Zahl der Sprachen. Viele indigene Sprachen sind bereits ausgestorben. 50 Prozent der Weltbevölkerung sprechen nur 50 Sprachen. Zwar sind Deutsch oder Österreichisch nicht gefährdet. Sie werden aber – wie alle Sprachen – immer komplexer und vermischter. Genau darüber muss man reden, meint Dollinger: „Gehen Sprachen verloren, geht Kultur verloren.“Mehr darüber sprechen, wie wir sprechen, ist also angesagt. Es bedarf Aufklärung, zum Beispiel in Schulen: „Wenn die österreichischen Jugendlichen in Youtube-Videos wie gebürtige Hamburger klingen, dann muss man ihnen erklären: Wo kommt das her?“
Binnen Sekunden verschicken wir geschriebene und gesprochene Nachrichten. Die Zahl der Kanäle, auf denen wir kommunizieren können, ist riesig. „Es wird spannend, wie sich das weiterentwickelt. Irgendwann muss diese Komplexität auch wieder reduziert werden“, ist sich Krammer sicher. Emojis, das Symbolund das Bildhafte an der Sprache, werden aber erst einmal nicht weniger werden, vermutet die Sprachwissenschaftlerin. Genauso wenig wie die Anglizismen. Angesichts der Globalisierung sei das ganz normal. „Die Vermischung der Sprache findet eben statt.“Die „WorkLife-Balance“ist genauso geläufig wie in Wien die Phrase „Gemma UBahn“, die vom türkischen Raum beeinflusst ist.
Werden wir in Zukunft automatisch gendern beim Sprechen? Ja, meint Sprachwissenschaftlerin Pabst. Wie genau sich das anhören wird, kann sie noch nicht sagen. Aber man werde sich auf eine Norm einigen. Und diese vielleicht wieder hinterfragen. Sprache sei nun mal ein Prozess.
Schlussendlich haben wir es selbst in der
Hand. Wir sind die Sprecherinnen und Sprecher. „Wir entscheiden“, sagt Lisa Krammer. Sprache bildet Gesellschaft ab.
Stellt man sich also die Frage „Wie werden wir in Zukunft sprechen?“, dann steckt dahinter: „Wie wollen wir als Gesellschaft sein?“