Sprachgewaltig und dennoch sprachlos
Eine Frau vor vier Männern: Die slowenische Autorin Ana Marwan erhielt den 46. IngeborgBachmann-Preis. Sie überzeugte mit einem präzisen, sinnlichen Text über das einsame Ringen um eine Entscheidung.
Manchmal denke ich mir am Abend, wenn ich in den Spiegel schaue: Heute war ich umsonst.“– Dieser Satz ihrer Ich-Erzählerin aus dem Text „Wechselkröte“wird der 42-jährigen slowenischen Schriftstellerin Ana Marwan gestern Abend wohl nicht in den Sinn gekommen sein. Sie war nicht umsonst, sondern sie war der Star, die Gewinnerin des 46. Ingeborg-BachmannPreises (25.000 Euro). Das machte sie bei der Preisverleihung zu Mittag vorerst sprachlos. Überwältigt sagte sie nur: „Das habe ich nicht erwartet. Hvala! Danke!“
Begeisterte Worte fand hingegen Juror Klaus Kastberger, der Marwan eingeladen hatte, in seiner Laudatio: „Sie schreibt, als hätte sie niemals in einer anderen Sprache gelebt. Diese Geschichte einer Selbstermächtigung gehört vielleicht zum Besten, was Literatur erreichen kann.“In dem feministischen Text fragt sich eine Frau, die sich in ein Haus auf dem Land zurückgezogen hat, ob sie sich für oder gegen ein Kind entscheiden soll. Der „Gänsehauttext“(Kastberger), in dem „sprachlich getanzt“wird (Insa Wilke), ist der innere Monolog einer Eremitin, depressiv, melancholisch, aber auch witzig.
„Alles droht, sofort in Horror abzugleiten.“(Kastberger).
Die 1980 in Murska Sobota geborene Slowenin war erst mit 25 Jahren nach Österreich gekommen, wo sie mit ihrem Mann im niederösterreichischen Wolfsthal nahe der slowakischen Grenze lebt. Sie schreibt in beiden Sprachen: Vor ihrem in Slowenisch verfassten Roman „Zabubljena“erschien 2019 mit „Der Kreis des Weberknechts“ihr deutsches Debüt beim Otto Müller Verlag in Salzburg. Verleger Arno Kleibel fieberte in Klagenfurt mit, seine Reaktion auf den Sieg seiner Autorin: „Jetzt freuen wir uns einfach total!“Besorgter Nachsatz mit Lachfältchen um die Augen: „... und hoffen, dass sie uns nicht abgeworben wird!“
doppelt freuen konnte sich Klaus Kastberger. Denn auch der zweite von ihm nominierte Autor findet sich unter den Preisträgern. Der Wiener
Gleich
Elias Hirschl, mit 28 Jahren jüngster Teilnehmer des Bewerbes, gewann den BKS-Publikumspreis. Mit seinem lakonischen Text „Staublunge“wurde er, obwohl am Samstag letzter Auftretender im Lesereigen, zum Liebling des Publikums.
Juan S. Guse, von Mara Delius eingeladen und lange als Favorit für den Hauptpreis gehandelt, erschrieb sich mit einer kuriosen Expedition in den Taunus, wo angeblich der Frankfurter Flughafen nachgebaut wird, den Kelag-Preis.
Nicht nur die Arbeit der Autoren wurde gewürdigt. Umgekehrt gab es auch von Autoren Lob für die Jury. So sagte der in Wien lebende Deutsche Leon Engler, der von Philipp Tingler eingeladen worden war und für „Liste der Dinge, die nicht so sind, wie sie sein sollten“den 3sat-Preis erhielt: „Die Juroren haben vieles entdeckt.“Und der gebürtige Rumäne Alexandru Bulucz erzählte von den Vorurteilen, mit denen er angereist sei. Die hätten sich alle in Luft aufgelöst. „Ich konnte zu jedem
Einzelnen von Ihnen eine Beziehung aufbauen.“Der mit dem Deutschlandfunk-Preis ausgezeichnete, von Insa Wilke eingeladene Autor, sprach in seinem professionellen Vortrag („Einige Landesgrenzen weiter östlich, von hier aus gesehen“) über Heimat und Herkunft. So wie bei Ana Marwan ist auch seine Muttersprache nicht Deutsch.
Alle Texte zum Nachlesen sowie die Jury-Diskussionen zum Nachschauen gibt es unter