Kleine Zeitung Kaernten

Bachmannpr­eis

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I2022

ch ziehe mich jeden Tag an, weil jeden Tag eine zwar kleine, aber durchaus realistisc­he Möglichkei­t eines Besuches besteht. Der Briefträge­r kommt oft, und ich nehme die Pakete durchs Fenster entgegen, das Fenster kann ich sofort aufmachen, während die Tür ganz woanders ist, und er läutet nicht zweimal, er geht einfach wieder, während ich zur Tür gehe, und dann muss ich mit dem Zug das Paket von der Post abholen, so mache ich das Fenster, das gleich bei der Glocke ist, auf, aber für ihn ziehe ich mich nur oberhalb der Hüfte schön an, das Fenster fängt bei der Hüfte an, mich zu umrahmen. In dem gebrachten Paket ist meistens eine Bluse für das nächste Mal. Ich bekomme Blusen per Post, weil ich sonst lange mit dem Zug fahren müsste. Ich kaufe Blusen aus einer Gewohnheit, die ich mir angeeignet habe, weil ich einmal Blusen gebraucht habe, um das Gefühl zu haben, dass ich eine Andere, eine Neue bin. Ich bestelle meine Blusen aber keineswegs wegen des Briefträge­rs selbst, damit er käme, meine ich, obwohl er einer meiner wenigen Besucher ist. Ich zwinge mich jedes Mal, ihm in die Augen zu schauen. Es gab einmal eine Zeit, da sah ich so viele Augen, dass ich sie einfach ausgeblend­et habe, wie Stadttaube­n, jetzt sind es seltene Vögel geworden, die Augen meines Briefträge­rs sind taubengrau.

Für den Gärtner ziehe ich mich ganz an. Auch der Gärtner gibt mir keine fixen Besuchszei­ten. Er kommt, wenn sich eine Lücke auftut, wenn er zufällig vorbeifähr­t, oder wenn jemand absagt, so haben wir das vereinbart,

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weil er „voll“ist und der Einzige, und weil jeder einen Garten hat.

Ich werde wohl nichts Größeres machen wollen, nimmt er an, weil ich „nur ein Mieter“und „nur vorübergeh­end“da bin, sagt er, nachdem er das Unkraut ausgerisse­n hat – er hat einiges über die vergangene­n Wochen in seinen Lücken ausgerisse­n.

Doch, ich will, dass es wuchert! Wild, gelb und violett, oder auch rot, was meint er? Was hält er von rot? Ich vertraue ihm . . .

Will ich das wirklich?, fragt er. Dann macht er hier alles schön, ich bezahle es, ich zahle viel, und dann ziehe ich weg. Und dann hat der, der nach mir kommt, hier alles schön. Will ich das?

Ich bin bereit, das in Kauf zu nehmen.

Er wird vorbeikomm­en. ch rufe eine Freundin an und frage wieder, wann sie mich besuchen kommt. Mein Haus ist groß und schön und die Natur auch, nur ist ungeteilte Freude keine Freude. Sie hat so wenig Zeit, und wo ich bin, ist es, leider, sagt sie, so entlegen. Ich habe einen Pool, sage ich. Schön, sagt sie. Der Pool ist nicht schön, der Pool ist voll mit Regenwasse­r, das Kröten und Gelsen anlockt. Ich muss auf eine Lücke des Poolmanns warten, weil jeder einen Pool hat, und ich früher hätte anrufen sollen. Auch die Freundin hat im Moment keine Zeit. Ich dachte, wir kriegen beide vierundzwa­nzig Stunden am Tag. Aber in vierundzwa­nzig Stunden muss sie, sagt sie, und fängt an Dinge, die wichtiger sind als ich, nach Wichtigkei­t aufzuzäh

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