„Wie Suppe aus Gummibären“
Quallen-Boom in Europas Meeren. Für Urlauber oft schmerzhaft, für das Ökosystem verheerend. Wie der Mensch das Problem befeuert.
Sie können einen Urlaubstag am Meer verderben: Am Mittelmeer quälen immer öfter apfelgroße lila Feuerquallen die Badegäste. Die Berührung ist schmerzhaft. Seit Mitte Juni hat sich die Feuerqualle Pelagia noctiluca vor den Küsten Korsikas und der Côte d’Azur explosionsartig vermehrt und vergällt Ur- laubern an vielen Strän- den das Baden.
Feuerquallen schießen aus Nesselkapseln an ihren Tentakeln winzig kleine Harpunen mit einem giftigen Cocktail ab. „Quallen sind blind und stechen daher alles, was ihnen begegnet, um zu probieren, ob sie fressen können. Sie injizieren Nervengift, um ihre Beute zu lähmen, und Enzyme, um sie zu verdauen“, erklärt Ozeanograf Fabien Lombard.
Aber auch in der italienischen Adria oder in der deutschen Ostsee tummeln sich in diesem Jahr besonders viele Quallen. Bereits im April wurde der Hafen von Triest von einem dichten Teppich aus Lungenquallen, eine der größten ihrer Art in Europa, bevölkert.
Forscher führten das Problem auf Bora-Winde, die die Tiere in den Golf schwemmen, zurück. Hinter dem Phänomen steckt nicht zuletzt der Klimawandel. Das Meer erhitzt sich seit Jahren.
So wurden auf der spanischen Insel Mallorca bereits Wassertemperaturen von 28 Grad gemessen. Dabei vermehren auch gewisse Bakterien, die bei immunschwachen Personen schwere Infektionen auslösen können.
Der Grazer Biologe Stephan Koblmüller erklärt: „Die steigende Wassertemperatur führt zu einer längeren Fortpflanzungszeit. Deshalb gibt es auch ein schnelleres Wachstum“.
Der Weltklimarat IPCC warnte in einem 2019 veröffentlichten Bericht vor einem weiteren damit verbundenen Problem: Es komme zu einer „Gelifizierung“, also einer Art Verschleimung, der Meere. Koblmüller macht in diesem Zusammenhang auf die Verbreitung der Meerwalnuss aufmerksam. Die invasive Rippenqualle (sie neses selt nicht) dringt vor allem in kroatische Gewässer sukzessive ein. „Das fühlt sich an, als ob man in einer Gummibärensuppe schwimmen würde“, schildert der Biologe.
Ein weiteres Problem: Überfischung. Dadurch bleibt mehr Nahrung in Form von Plankton im Meer. Die Quallen fressen den Fischlarven die Nahrung weg. Laut Koblmüller gibt es Anhaltspunkte, wonach Fischlarven von Quallen gefressen werden. Auch für Lovina Fullgrabe vom korsischen Meeresforschungsinstitut Stareso ist die Überfischung, etwa von Thunfischen und Meeresschildkröten, die beide normalerweise Quallen fressen, ein Grund für den derzeitigen Quallen-Boom.
Quallen bevölkern schon seit etwa 600 Millionen Jahren die Meere und ihnen sind zahlreiche wissenschaftliche Durchbrüche zu verdanken. Etwa bei der Visualisierung von Zellprozessen bei Alzheimer. Dafür gab es 2008 sogar einen Nobelpreis. Zudem wird daran geforscht, wie Quallen bei der Knorpelbildung im menschlichen Körper helfen können.
Künftig könnten Quallen als Nahrungsquelle in der Fischzucht dienen oder in der Landwirtschaft dabei helfen, Bodenfeuchtigkeit zu erhalten. Schon jetzt werde Kollagen der Quallen mitunter in Windeln oder Tampons verwendet, um Feuchtigkeit zu binden, oder um Beton flexibler und damit erdbebenfester zu machen, so der Forscher Lombard.