Ein Atomkraftwerk als Kriegsziel
REPORTAGE. Saporischschja ist das größte AKW Europas. Russen und Ukrainer beschuldigen einander, es beschossen zu haben.
beschossen haben. Diese Waffe dürfte zu den zielgenauesten zählen, über die die Ukraine verfügt.
Mit diesen Fakten enden die unstrittigen Punkte. Denn nun haben Moskau und Kiew einander binnen weniger Tage zwei Mal beschuldigt, das AKW mit Artillerie beschossen zu haben. Diese Vorwürfe nützen beide Seiten natürlich, um auf die Gefährdung zu verweisen, die der Beschuss bedeute. Die Internationale Atomenergiebehörde drängt auf Zugang zum AKW.
Während die Kriegsparteien schießen und einen Propagandakrieg führen, haben die Bewohner der Stadt Nikopol einen direkten Blick auf das Atomkraftwerk. Denn am anderen Ufer des Stausees, in etwa fünf Kilometer Entfernung, liegt die von ukrainischen Truppen gehaltene Stadt, deren Namen eine Zusammensetzung zweier griechischer Worte ist. „Polis“für die Stadt, „Nike“für die Siegesgöttin des alten Griechenlands. Vor Kriegsbeginn zählte Nikopol mehr als 100.000 Einwohner; ihre Zahl dürfte sich halraktar-Drohnen biert haben, seitdem die Stadt ab Ende Juni immer wieder mit Artillerie beschossen wird. Getroffen werden dabei auch zivile Objekte; und buchstäblich über Nacht stehen Familien vor dem Nichts. Überlebt haben die Bewohner, weil sie die Nacht regelmäßig im Keller verbringen. Dazu zählt der neunjährige Egor, der uns den Keller zeigt. Wird er am ersten September in die Schule gehen können? Egors Antwort macht traurig: „Ich weiß es nicht. Alle meine Schulsachen sind ebenso verbrannt wie meine Sportsachen für das Training.“
Am Markt der Stadt trifft man noch die meisten Bewohner.
Hier gibt es nicht nur Lebensmittel und insbesondere Gemüse, das Kleinbauern verkaufen, sondern auch gebrauchte Kleider und Schuhe. Betreiberin eines Geschäfts mit dem bezeichnenden Namen Second Hand ist die schwarzhaarige Tatjana; sie spricht mich bei einem Kiosk an und fragt, ob ich als Ausländer Nikopol helfen könne. Welche Hilfe braucht die Stadt, frage ich Tatjana: „Schließt den Luftraum über dem Atomkraftwerk; das ist das, was wir wirklich brauchen.“er Bürgermeister von Nikopol, Olexander Sajug, sagt über das AKW: „Tatsache ist, die Russen fahren heraus und beschießen uns dann. Doch was sollen wir tun? Wir müssen leben und arbeiten. Nicht alle Bewohner wollen weg, viele sind hiergeblieben.“
Auf ukrainischer Seite des Stausees liegt ein kleines Café. Die Atmosphäre könnte man fast idyllisch nennen, wüsste ich nicht, dass die Folgen furchtbar wären, sollte Beschuss das AKW tatsächlich massiv beschädigen.
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