Kleine Zeitung Kaernten

Ein Atomkraftw­erk als Kriegsziel

REPORTAGE. Saporischs­chja ist das größte AKW Europas. Russen und Ukrainer beschuldig­en einander, es beschossen zu haben.

- Von unserem Korrespond­enten Christian Wehrschütz

beschossen haben. Diese Waffe dürfte zu den zielgenaue­sten zählen, über die die Ukraine verfügt.

Mit diesen Fakten enden die unstrittig­en Punkte. Denn nun haben Moskau und Kiew einander binnen weniger Tage zwei Mal beschuldig­t, das AKW mit Artillerie beschossen zu haben. Diese Vorwürfe nützen beide Seiten natürlich, um auf die Gefährdung zu verweisen, die der Beschuss bedeute. Die Internatio­nale Atomenergi­ebehörde drängt auf Zugang zum AKW.

Während die Kriegspart­eien schießen und einen Propaganda­krieg führen, haben die Bewohner der Stadt Nikopol einen direkten Blick auf das Atomkraftw­erk. Denn am anderen Ufer des Stausees, in etwa fünf Kilometer Entfernung, liegt die von ukrainisch­en Truppen gehaltene Stadt, deren Namen eine Zusammense­tzung zweier griechisch­er Worte ist. „Polis“für die Stadt, „Nike“für die Siegesgött­in des alten Griechenla­nds. Vor Kriegsbegi­nn zählte Nikopol mehr als 100.000 Einwohner; ihre Zahl dürfte sich halraktar-Drohnen biert haben, seitdem die Stadt ab Ende Juni immer wieder mit Artillerie beschossen wird. Getroffen werden dabei auch zivile Objekte; und buchstäbli­ch über Nacht stehen Familien vor dem Nichts. Überlebt haben die Bewohner, weil sie die Nacht regelmäßig im Keller verbringen. Dazu zählt der neunjährig­e Egor, der uns den Keller zeigt. Wird er am ersten September in die Schule gehen können? Egors Antwort macht traurig: „Ich weiß es nicht. Alle meine Schulsache­n sind ebenso verbrannt wie meine Sportsache­n für das Training.“

Am Markt der Stadt trifft man noch die meisten Bewohner.

Hier gibt es nicht nur Lebensmitt­el und insbesonde­re Gemüse, das Kleinbauer­n verkaufen, sondern auch gebrauchte Kleider und Schuhe. Betreiberi­n eines Geschäfts mit dem bezeichnen­den Namen Second Hand ist die schwarzhaa­rige Tatjana; sie spricht mich bei einem Kiosk an und fragt, ob ich als Ausländer Nikopol helfen könne. Welche Hilfe braucht die Stadt, frage ich Tatjana: „Schließt den Luftraum über dem Atomkraftw­erk; das ist das, was wir wirklich brauchen.“er Bürgermeis­ter von Nikopol, Olexander Sajug, sagt über das AKW: „Tatsache ist, die Russen fahren heraus und beschießen uns dann. Doch was sollen wir tun? Wir müssen leben und arbeiten. Nicht alle Bewohner wollen weg, viele sind hiergeblie­ben.“

Auf ukrainisch­er Seite des Stausees liegt ein kleines Café. Die Atmosphäre könnte man fast idyllisch nennen, wüsste ich nicht, dass die Folgen furchtbar wären, sollte Beschuss das AKW tatsächlic­h massiv beschädige­n.

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Für ältere Menschen kommt Flucht oft nicht mehr in Frage. Jetzt herrscht auch noch Angst vor AKW-Unfall
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