„Wir sind in Europa viel zu langsam“
INTERVIEW. Hohe Energiekosten bedrohen Wettbewerbsfähigkeit Europas, warnt Stefan Borgas, der CEO von RHI Magnesita. Österreich müsse über Atomkraft reden.
Die Auftragslage von RHI Magnesita ist bis in den Herbst hinein gut. Womit rechnen Sie im Winter und im kommenden Jahr?
STEFAN BORGAS: Unser Basisszenario ist mittlerweile die Rezession in Europa und Nordamerika. Die große Frage ist nicht mehr, ob sie kommt, sondern wann und wie tief sie sein wird. Das schwächt die Auftragslage. Das Wachstum in China wird tiefer, als man es gewohnt ist. In anderen Regionen wie Südamerika und Südostasien gibt es keine Anzeichen von Rezession.
Werden Sie angesichts dieser Aussichten Strukturen zurückbauen oder tauchen Sie durch?
Nein, das ist eine Rezession und kein struktureller Abbau des Marktes. Da muss man halt sechs, acht, zwölf oder 15 Monate die Zähne zusammenbeißen und – wenn das in einem inflationären Umfeld geht – den Gürtel enger schnallen. Und die Zeit nützen, um nach der Rezession noch stärker zu sein.
Wie sehr besorgt Sie die aktuelle Lage der Gasversorgung?
Da gibt es zwei große Aspekte. Der eine ist die Versorgungssicherheit. Da haben wir Vorkehrungen getroffen, damit wir selbst bei einem vollständigen Abschalten der Versorgung aus Russland durchkommen. Wir können 30 bis 40 Prozent des Gases durch andere Brennstoffe ersetzen. Als Puffer bauen wir in enger Abstimmung mit der Regierung eigene Gasreserven im Gasspeicher in Haidach auf. Für die aktuelle Versorgungslage sind wir also gut aufgestellt.
Und der zweite Aspekt?
Der hat mit Wettbewerbsfähigkeit zu tun und die macht uns echt Sorgen ...
... gegenüber Nordamerika, wo Energie viel günstiger ist?
Ja, aber vor allem gegenüber China, das strukturell und konsequent die Energieversorgung für die Industrie subventioniert. China hat nur ein Drittel oder ein Viertel der Energiekosten. Europa ist bei den Energiekosten jetzt abgekoppelt vom Rest der Welt. Das bereitet uns in der energieintensiven Industrie echt Kopfzerbrechen.
Was, wenn das so bleibt?
Dann müssen wir über Strukturmaßnahmen, Produktionsverlagerungen und solche Themen nachdenken. Energie ist einer der großen Kostenfaktoren – und zwar doppelt: in der Erzeugung unserer Rohstoffe und der Feuerfestprodukte. Wenn die Schere zu lange zu weit auseinandergeht, werden sich unsere Kunden mit Feuerfestprodukten aus China versorgen.
Wann ist das so weit?
Jetzt noch nicht. Aber wenn es keine klare Energiestrategie gibt, wie wir in Europa wieder wettbewerbsfähig werden, müssen wir im nächsten Jahr in diese Diskussion einsteigen.
Was bedeutet es für Europa, wenn die Energie so teuer bleibt?
Dass Europa nicht mehr wettbewerbsfähig Stahl, Zement, Kupfer etc. herstellen kann und größere Anlagen in Europa stilllegt. Damit fehlt uns der Großteil der Basis-Eigenversorgung ziemlich wichtiger Materialien. Wir machen uns abhängig von anderen Regionen. Wir müssen die Energieversorgung daher komplett neu denken.
Was bedeutet „neu denken“?
Wir brauchen einen Cocktail neuer Energiequellen und -formen für Europa. Wir brauchen grünen Strom für wettbewerbsfähigen Wasserstoff. Dafür brauchen wir eine massive Erhöhung von Fotovoltaik sowie Windkraft und Wasserstoff aus Gasspaltung. Es braucht Pipelines, schnelle Stromleitungen und Genehmigungen. Wir müssen auch die Atomkraft mit allen Möglichkeiten und Gefahren neu diskutieren. Wenn wir den Kopf in den Sand stecken, werden halt unsere Nachbarn an den Grenzen AKW bauen – und wir haben keine Kontrolle über Sicherheit und Betrieb.
Sollen wir Schiefergas fördern?
Ja, wir müssen für die nächsten 15, 20 Jahre unser Schiefergas nutzen. Wir wollten ja unsere Vorkommen in Österreich aus
Gründen nicht antasten. Aber wir müssen uns das anschauen, mit vernünftiger Risikoanalyse.
Wie ersetzen Sie bei RHI Magnesita in Österreich Gas?
In Hochfilzen feuern wir mit Kohle, in der Breitenau stellen wir auf Öl um, das ist im Dezember fertig. In Radenthein und Veitsch werden wir 30 bis 40 Prozent der Gasmenge durch Liquefied Petroleum Gas ersetzen, auch das ist im Dezember fertig.
Energie ist für RHI Magnesita mit 10 Prozent Anteil zweithöchster Kostenfaktor – doppelt so hoch wie vor einem Jahr. Ist das das Ende der Fahnenstange?
Nein, die Gaspreise haben sich in den letzten vier Wochen nochmals verdoppelt, es geht also Richtung 13, 14 Prozent. Bei zwölf Prozent Profitmarge ist der ganze Profit weg.
Da wird einem die Fragilität dieses Systems bewusst?
Man sieht, wie unglaublich wichtig Energie für Stabilität und Wohlstand einer Bevölkerung ist. Wir müssen nicht nur Gesetze zur Gender Equality erlassen, die ist schon auch wichtig, sondern dürfen auch unsere Basisinfrastruktur nicht vernachlässigen.
Nicht nur die Energiekosten steigen, auch die Rohstoffe werden teurer. Welche Ihrer Kosten treibt es jetzt noch nach oben?
Die Ozean-Transportkosten haben sich in drei Jahren versechsbis verachtfacht. Jetzt wird auch der Lastwagentransport teurer, getrieben durch Kraftstoff und die höheren Kosten für die Fahrer. Der nächste Kostenblock sind die Personalkosten. Wir haben jedes Jahr rund 15 bis 20 Millionen höhere Personalkosten gehabt. In diesem Jahr sind es 35, im nächsten Jahr 50 Millionen Euro.
Wo steht jetzt der Wirtschaftsstandort Europa insgesamt?
Wir müssen schnell einige Bequemlichkeiten, an die wir uns gewöhnt haben, abschaffen. Wir müssen viel schneller entscheiden und umsetzen. Wir können uns Genehmigungsverökoreligiösen fahren über Jahre nicht mehr leisten. Wir müssen wieder Geschwindigkeit lernen, das wird überlebenswichtig – wir sind viel zu langsam.
Sie setzen im Konzern auf Recycling – mit welchem Effekt?
Zwei bis drei Prozent Recyclinganteil galten lange als der maximale Prozentsatz. Jetzt sind wir bei zehn Prozent. Die technische Grenze liegt sicher nicht bei 10, auch nicht 15, sondern vielleicht bei 20 Prozent oder darüber. Österreich hat hier große Kompetenz.
In Radenthein entsteht um 50 Millionen Euro eine „Digital Flagship Plant“. Wie weit sind Sie?
Wir sind mit Kapazitätsausweitung und Digitalisierung in drei Monaten fertig. Ein Beispiel: Wir haben einen Teil der Gabelstapler durch autonom fahrende Fahrzeuge ersetzt. Wenn alles fertig ist, müssen wir lernen, mit diesem hochautomatisierten Werk zu arbeiten.
Sie sparen Mitarbeiter ein?
Ja, natürlich. Aber keiner fühlt sich bedroht. In Europa gehen doppelt so viele Leute in Pension, wie neu in den Arbeitsmarkt kommen. Einsparen ist kein Jobkiller, sondern hochwillkommene Möglichkeit, schwere und unattraktive Arbeitsplätze mit attraktiveren zu ersetzen.