Ein Versuch, der scheitern darf
Thorsten Lensings „Verrückt nach Trost“ist Welterklärung mit Oktopus und Kugelfisch.
Das Stück eröffnet mit den Kindern Felix und Charlotte am Badestrand (Devid Striesow und Ursina Lardi), die ihre verstorbenen Eltern aus der Perspektive ihrer infantilen Beobachtungen nachahmen: vertraute Kosenamen, familiäre Rituale, zärtliche Berührungen. Erinnerung durch irritierende Imitation bis zur Selbstvergessenheit. Die starke Einstiegsszene von „Verrückt nach Trost“geht alsbald über in eine Szenenfolge, die den Anspruch auf Linearität aufgibt: Episodenhaft folgt das Publikum den Geschwistern durch den Lauf ihres Lebens mit Abstechern in die Fauna. Das Dasein erzählt als Rückkoppelung auf ein traumatisches Kindheitserlebnis, die Interferenzen sind unübersehbar.
Regisseur Thorsten Lensings universeller Versuch über das Leben hat den Charakter einer Nummernrevue, in der die Darstellenden alle Register ihrer Schauspielkunst ziehen dürfen. Nehmen wir Striesow, der Baby,
Vater, Kugelfisch und einiges mehr auf sich vereint. Grandios auch Lardi, insbesondere als tragisch kluge Krake, sowie Sebastian Blomberg und André Jung, die kauzig-rätselhaft unter anderem einen Affen, einen poesieversessenen Taucher und eine weltabgewandte Schildkröte verkörpern. Alles was es zum Spiel braucht, fällt von der Oberbühne. Einziges Bühnenelement ist ein quer über mannshohe Metallzylinder mit dem Charme einer rigorosen, alles vernichtenden Lebenswalze.
Die vier Charakterdarstellenden, die in selber Konstellation schon in Lensings umjubeltem „Unendlicher Spaß“(2019) reüssierten, feiern die Bühnenkunst mit Witz, aber ohne tatsächlich den Irrwitz zu tangieren: Schnöde Ironie oder plumper Slapstick liegen dem Regisseur fern, was das Publikum erhält, ist die pure und deswegen nicht weniger absurde Essenz alles Menschlichen.
Leicht im Spiel, gewichtig im Unterton und kompromisslos gegenüber der Logik münden die großen Themen des Lebens in „Verrückt nach Trost“in eine düstere und auch deswegen zeitgeistige Taubheit: Das Schweigen, die Dunkelheit und die Halt(ungs)losigkeit sind
Ankerpunkte dieser Uraufführung. Die Empathie wird zur Unmöglichkeit, augenscheinlich gemacht in Felix, der Durchfall bekommt, wann immer er weinen möchte.
Am Ende muss Thorsten Lensings melancholischer Versuch über das Leben scheitern. Es ist ein feierliches und lustvolles Scheitern, eines das nach dreieinhalb, großteils intensiven Stunden des Kochens in der menschlichen Ursuppe im Posthumanismus und einer doch noch hoffnungsgebietenden Botschaft endet: „Alle werden erlöst.“Herzhafter Applaus, insbesondere für eine grandiose Schauspielleistung.