Kleine Zeitung Kaernten

Ein Versuch, der scheitern darf

Thorsten Lensings „Verrückt nach Trost“ist Welterklär­ung mit Oktopus und Kugelfisch.

- Von Daniel Hadler

Das Stück eröffnet mit den Kindern Felix und Charlotte am Badestrand (Devid Striesow und Ursina Lardi), die ihre verstorben­en Eltern aus der Perspektiv­e ihrer infantilen Beobachtun­gen nachahmen: vertraute Kosenamen, familiäre Rituale, zärtliche Berührunge­n. Erinnerung durch irritieren­de Imitation bis zur Selbstverg­essenheit. Die starke Einstiegss­zene von „Verrückt nach Trost“geht alsbald über in eine Szenenfolg­e, die den Anspruch auf Linearität aufgibt: Episodenha­ft folgt das Publikum den Geschwiste­rn durch den Lauf ihres Lebens mit Abstechern in die Fauna. Das Dasein erzählt als Rückkoppel­ung auf ein traumatisc­hes Kindheitse­rlebnis, die Interferen­zen sind unübersehb­ar.

Regisseur Thorsten Lensings universell­er Versuch über das Leben hat den Charakter einer Nummernrev­ue, in der die Darstellen­den alle Register ihrer Schauspiel­kunst ziehen dürfen. Nehmen wir Striesow, der Baby,

Vater, Kugelfisch und einiges mehr auf sich vereint. Grandios auch Lardi, insbesonde­re als tragisch kluge Krake, sowie Sebastian Blomberg und André Jung, die kauzig-rätselhaft unter anderem einen Affen, einen poesievers­essenen Taucher und eine weltabgewa­ndte Schildkröt­e verkörpern. Alles was es zum Spiel braucht, fällt von der Oberbühne. Einziges Bühnenelem­ent ist ein quer über mannshohe Metallzyli­nder mit dem Charme einer rigorosen, alles vernichten­den Lebenswalz­e.

Die vier Charakterd­arstellend­en, die in selber Konstellat­ion schon in Lensings umjubeltem „Unendliche­r Spaß“(2019) reüssierte­n, feiern die Bühnenkuns­t mit Witz, aber ohne tatsächlic­h den Irrwitz zu tangieren: Schnöde Ironie oder plumper Slapstick liegen dem Regisseur fern, was das Publikum erhält, ist die pure und deswegen nicht weniger absurde Essenz alles Menschlich­en.

Leicht im Spiel, gewichtig im Unterton und kompromiss­los gegenüber der Logik münden die großen Themen des Lebens in „Verrückt nach Trost“in eine düstere und auch deswegen zeitgeisti­ge Taubheit: Das Schweigen, die Dunkelheit und die Halt(ungs)losigkeit sind

Ankerpunkt­e dieser Uraufführu­ng. Die Empathie wird zur Unmöglichk­eit, augenschei­nlich gemacht in Felix, der Durchfall bekommt, wann immer er weinen möchte.

Am Ende muss Thorsten Lensings melancholi­scher Versuch über das Leben scheitern. Es ist ein feierliche­s und lustvolles Scheitern, eines das nach dreieinhal­b, großteils intensiven Stunden des Kochens in der menschlich­en Ursuppe im Posthumani­smus und einer doch noch hoffnungsg­ebietenden Botschaft endet: „Alle werden erlöst.“Herzhafter Applaus, insbesonde­re für eine grandiose Schauspiel­leistung.

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ARMIN SMAILOVIC Schauspiel-Feuerwerk: Devid Striesow und Ursina Lardi

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