Furchtlos gegenüber Geld und Macht
Venedig-Siegerin Laura Poitras (58): erst ein Oscar, jetzt der Löwe.
Eine Ausstellungseröffnung in New Yorks berühmtem GuggenheimMuseum. Im Foyer drängen sich die Besucher, als von oben plötzlich hunderte weiße Zettel heruntersegeln. Was erst wie eine künstlerische Intervention wirkt, entpuppt sich rasch als politischer Aktionismus: Die Zettel sind nachgeahmte Rezepte für das stark suchterzeugende Schmerzmittel Oxycontin. Mit ihm hat die Pharmazeuten-Familie Sackler, im Kunstbetrieb lange Zeit für ihr großzügiges Mäzenatentum hofiert, Milliarden verdient – aber, so argumentieren die Aktivistinnen und Aktivisten, in den USA auch bereits den Tod von mindestens 400.000 Schmerzmittelsüchtigen verantwortet. Laura Poitras hat die erregte Szene mit der Kamera festgehalten, sie ist nun in ihrem Film „All the Beauty and the Bloodshed“zu sehen.
Überraschend hat die Doku am Wochenende den Goldenen Löwen für den besten Film im Wettbewerb gewonnen. Oder vielleicht doch kein bisschen überraschend: Poitras, 58, zählt zu den wichtigsten US-Dokumentaristinnen unserer Zeit. Mit „Citizenfour“, ihrem Porträt des Whistleblowers Edward Snowden, der die digitalen Abhörpraktiken der USA offenlegte, gewann sie 2015 einen Oscar. „All the Beauty and the Bloodshed“, porträtiert die Fotografin und Aktivistin Nan Goldin und ist – erst – Poitras’ sechster Langfilm. Wohl auch ein Indiz dafür, wie sorgfältig die Investigationsexpertin recherchiert. Und noch mehr für die Schwierigkeiten, unter denen sie arbeitet: Schon seit ihrem Film „Irak – Mein fremdes Land“(2006) gilt sie vor dem USHeimatschutz als „terrorverdächtig“und wird von den Behörden ihres Landes entsprechend kujoniert. Seit Langem lebt sie in Berlin. „Reporter ohne Grenzen“rechnet die gegenüber Geld- und Machthabern so furchtlose Filmemacherin zu den Helden des Journalismus. Poitras selbst ist lieber Grenzgängerin: „Dokumentarfilme sind Kino“, sagte sie in Venedig. Der Goldene Löwe ist dafür eine Bestätigung mehr.