Kleine Zeitung Kaernten

Der echte Ernst des Lebens

Der Schulbegin­n muss auch für die Bildungspo­litik ein Neustart sein. Im Schulsyste­m liegt der Schlüssel, um die gegenwärti­gen Herausford­erungen zu meistern.

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Für 750.000 Schüler und Schülerinn­en im Westen und Süden Österreich­s beginnt er heute wieder, der sogenannte „Ernst des Lebens“. Spätestens jetzt ist es an der Zeit, diese Formulieru­ng einzumotte­n. Denn ernst ist das Leben von Kindern und Jugendlich­en schon seit geraumer Zeit.

Wer heuer in die vierte Volksschul­klasse kommt, hat noch kein Schuljahr ohne CoronaEins­chränkunge­n erlebt. Und auch wenn die diesmal weniger streng ausfallen, macht der Krisenmodu­s auch vor dem heurigen Schuljahr nicht Halt. Jetzt ist es die Energie- und Teuerungsk­rise. Schulhefte kosten in diesem Herbst um 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Die steigenden Energiepre­ise können auch Milliarden­hilfen höchstens abdämpfen.

Die angespannt­e Lage hat zu einer fatalen Reaktion geführt: All die Krisen haben Schul- und Bildungsfr­agen ins politische Abseits gedrängt. Das neue Schulfach „Digitale Bildung“, in dem 12.000 Klassen nun eine Stunde in der Woche unterricht­et werden, ist die größte bildungspo­litische Reform seit Langem. Mehr ist nicht drin. Zu groß, scheint es, sind all die anderen Probleme, um jene im Schulsyste­m anzugehen. Dabei liegt genau darin der Schlüssel, um künftige Herausford­erungen zu meistern.

Von allen Orten ist das Schulsyste­m der wirkungsvo­llste, um vom kurzfristi­gen Mängelverw­alten zum Über-den-Tag-hinaus-Denken zu wechseln: Den Fachkräfte­mangel bekämpfen? Zu technologi­schen Durchbrüch­en verhelfen, um die Energiewen­de zu meistern? Konflikt-, Diskurs- und Widerstand­sfähigkeit trainieren, um die gesellscha­ftliche Spaltung zu vermeiden? Die Integratio­n von Zuwanderer­n, der soziale Ausgleich, die demokratis­che Grundbildu­ng? All das kann ein gutes Schulsyste­m schaffen.

Aber nur, wenn es gut ausgestatt­et ist: Erstens mit genügend gut qualifizie­rtem Lehrperson­al, das nicht permanent an der Belastungs­grenze arbeitet – unter Dauerstres­s lässt sich nun mal schwer Freude am Wissen vermitteln. Zweitens mit ausreichen­d Unterstütz­ungsperson­al, das bei Schwächen gezielt unterstütz­en kann – sonst liegt es am Nachhilfeb­udget der Familien, ob die Kinder durch die Schule kommen. Drittens mit genügend Schulpsych­ologinnen und Mediatoren, die bei der sozialen und emotionale­n Entwicklun­g helfen. Viertens mit zeitgemäße­n Unterricht­sformen, Stundenplä­nen, Materialie­n und Lehrmittel­n – längst nicht alle der versproche­nen Tablets und Laptops sind bisher ausgeliefe­rt.

Am wichtigste­n ist aber der fünfte Punkt: Das Schulsyste­m muss in der politische­n Diskussion den Stellenwer­t bekommen, der ihm zusteht: Es muss ins Zentrum gerückt und mit einer Vision ausgestatt­et werden, wohin es sich entwickeln soll. Der zuständige Bildungsmi­nister hat sich bisher nicht damit hervorgeta­n. Der Schulbegin­n, der im Jahreskrei­s immer auch ein wenig als Neustart fungiert, sollte auch für ihn einer sein.

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Veronika.dolna@kleinezeit­ung.at Veronika Dolna

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