Teuerungsfrust kommt auf die Straße
Erstmals ruft die Gewerkschaft bundesweit zu Protestmärschen auf. Demonstriert wird gegen die Kostenexplosion und für weitere Maßnahmen gegen die Teuerung. Der Auftakt in einen heißen Herbst ist nicht unumstritten.
Ob vorm Hauptbahnhof in Wien, vor der ÖGB-Zentrale in Klagenfurt oder im Zentrum von Salzburg: In allen Landeshauptstädten finden am Samstag um 14 Uhr Demonstrationen gegen die Teuerung statt. Einzige Ausnahme ist Graz – weil dort am Wochenende „aufgesteirert“wird, weichen die Proteste nach Bruck/Mur aus.
Organisiert werden die „Preise runter“-Demos von der Gewerkschaft. Sie fordert von der Regierung mehr Anstrengungen im Kampf gegen die Teuerung: eine Streichung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel, einen Preisdeckel für Strom und Gas, eine Steuer auf Übergewinne von Energieunternehmen. Erstmals seit der letzten Großdemo gegen den 12-Stunden-Tag im Jahr 2017 wird wieder im großen Stil mobilisiert. Damals waren zwischen 80.000 und 100.000 Menschen dabei. Auch am Samstag rechnet die Gewerkschaft mit „Zehntausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern“, so Willi Mernyi, der Organisationschef des ÖGB. Erstmals soll zeitgleich in ganz Österreich aufmarschiert werden. Der Protestmarsch fällt zusammen mit den Lohnrunden der Sozialpartner und den Pensionsverhandlungen mit dem Sozialminister. Der Pensionistenverband ruft deshalb zur Teilnahme auf. Am Montag starten die Herbstlohnrunden mit den Metallern. Einen KV-Abschluss unter der Inflationsrate schließt die Gewerkschaft bereits aus.
Angekündigt wurde die „Preise runter“-Demo schon am 4. August. In der Zwischenzeit sind etliche Anti-Teuerungsmaßnahmen auf den Weg gebracht oder ausbezahlt worden: Die Strompreisbremse wurde beschlossen, für jedes Kind eine Extra-Familienbeihilden bezahlt, der Klimabonus wird gerade überwiesen und einkommensschwache Menschen bekommen 300 Euro extra. Die EU-Kommission legte außerdem Pläne zur Übergewinnbesteuerung vor, jenen der Gewerkschaft nicht unähnlich.
„Das reicht nicht“, sagt ÖGBPräsident Wolfgang Katzian, es gebe „noch viel Luft nach oben“. Die Menschen bräuchten „unmittelbare Hilfe durch ein Wärmepaket und insgesamt inflationsdämpfende Maßnahmen“. Für ihn sind Preisdeckel für den Grundbedarf, eine zentrale Forderung des ÖGB, die richtige Antwort in einer Situation, in der es eklatantes Marktversagen gebe. Ziel sei es, „den Grundbedarf zu leistbaren Preisen zu sichern“.
In Regierungskreisen hat man wenig Verständnis für eine „Demo um der Demo willen“, wie es heißt. Auch ÖVP-Klubobmann August Wöginger sieht
Protestaufruf kritisch: „Politik wird im Parlament gemacht, nicht auf der Straße“, sagt er. Die Regierung in Österreich unternehme alles, um den Menschen zu helfen, man bewege in den nächsten vier Jahren 50 Milliarden Euro. „Es wäre fair, wenn das auch die Gewerkschaft anerkennt“, sagt Wöginger. Man wisse, dass es viele Menschen derzeit schwer haben, und setzte genau deshalb all die Maßnahmen: „Bei der Strompreisbremse hat die Gewerkschaft 2000 subventionierte Kilowattstunden gefordert, wir haben 2900 daraus gemacht“, sagt Wöginger.
Vor einem „heißen Herbst“fürchtet er sich nicht, weil die Maßnahmen jetzt greifen würden: „Ich halte es in Zeiten wie diesen aber auch für wesentlich, dass Interessenvertretungen Menschen zum Zusammenhalt aufrufen, und nicht zum Protest.“
Unterstützung für die Demo kommt von der
SPÖ. „Es ist gut, dass die Gewerkschaft die Teuerung als massives
Problem erkannt hat und mit der Aktion die Regierung hoffentlich dazu bewegt, endlich etfe
was dagegen zu tun“, sagt der stv. Klubobmann Jörg Leichtfried. Dass Demonstrationen in den letzten Jahren auch von rechtsextremen Gruppierungen unterwandert wurden, lässt er nicht gelten: „Das Demonstrationsrecht in Anspruch zu nehmen ist eine linke Tradition. Wir können nicht mit Spenden Politik steuern. Bei uns sind es die Vielen.“Leichtfried wird in Bruck selbst mitmarschieren.
ÖGB-Chef Wolfgang Katzian kann sich vorstellen, nach den Demos am Samstag den Druck auf die Regierung noch weiter zu erhöhen: „Der Blumenstrauß der gewerkschaftlichen Maßnahmen ist groß.“