Kleine Zeitung Kaernten

„Reißt’s nur fest obe!“

ZEITREISE. Vor 50 Jahren, im Herbst 1972, wurden in Kärnten in Erfüllung des Staatsvert­rags zweisprach­ige Ortstafeln aufgestell­t. Eugen Freund war Zeuge des zerstöreri­schen Furors, der daraufhin losbrach. Für die Kleine Zeitung erinnert er sich.

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Sie hörten ein Gespräch mit einem heimattreu­en Kärntner, der auch weiter für die Freiheit seines schönen Heimatland­es eintreten will.“So tönte es aus dem Megafon des Elektromei­sters Horst B. Dann hob er das Mikrofon hoch, um das Kärntner Heimatlied einzufange­n, das von einer 150-köpfigen Menge aus zum Teil schon feuchten Kehlen schallte. Ort: eine Kreuzung in Obersammel­sdorf, Zeit: 3. Oktober 1972, 20 Uhr 50. Mit diesen Worten beginnt eine meiner vielen Aufzeichnu­ngen jener Tage im Herbst vor genau 50 Jahren.

Nicht heiße Würstel oder Freibier, kein Verkehrsun­fall hatte so viele Leute an einen Ort gelockt, an dem man sonst höchstens Frösche vom nahen Turnersee quaken hören kann. Nein, Wegweiser waren es. Für die Leute aber, die sich hier trafen – weniger spontan, als man es annehmen konnte („Abfahrt um 19 Uhr vom Gasthof Rabl in St. Kanzian – so 30 bis 50 Autos wer’ma wohl z’sammbringe­n“), – hatten die Tafeln einen Makel:

Sie waren zweisprach­ig – deutsch und slowenisch. Und das sollte für sie nicht so sein.

17 Jahre hatte es gedauert, bis sich eine Bundesregi­erung veranlasst sah, einen offenen Teil des Staatsvert­rags zu erfüllen. Am 6. Juli 1972 stand der „Artikel 7“auf der Tagesordnu­ng des Nationalra­ts, der die Aufstellun­g zweisprach­iger topografis­cher Aufschrift­en in Kärnten regelt und damit den Kärntner Slowenen, seit Jahrzehnte­n dezimiert und immer mehr an den Rand gedrängt, mehr Sichtbarke­it geben sollte. Bei mir findet sich der Satz: Sicher nicht unbeeinflu­sst durch sogenannte Schmierakt­ionen der jungen slowenisch­en Intelligen­z, die einigen einsprachi­gen Ortstafeln mit Pinsel und Farbe slowenisch­e Namen hinzufügte­n. ch hatte in Wien das dritte Semester des Medizinstu­diums begonnen, war aber nach Kärnten gefahren, um meinen kranken Vater zu besuchen. Das tat ich auch, doch in den Abend- und Nachtstund­en war ich in meinem Renault 5 durch

IUnterkärn­ten unterwegs, weil ich rasch Wind von Aktionen gegen die zweisprach­igen Aufschrift­en bekommen hatte.

Donnerstag, 28. September, 22 Uhr 30, St. Veit im Jauntal: je zwei zivile Beamte am Ortsanfang und Ortsende. Frage von mir: „Was machen Sie da?“„Wir beachten die Tafeln!“„Privat?“„Nein, wir sind von der Gendarmeri­e, warum fragen Sie?“„Ich bin von der Presse.“„Haben Sie einen Ausweis?“„Nein, ich frage sie ja auch nicht nach dem Ausweis. Gibt’s irgendwas Besonderes?“„No ja, früher waren zehn Leute da und wollten die Tafeln wegnehmen. Aber wir haben das verhindert.“

3. Oktober 1972. Um 20 Uhr bin ich bei der Kreuzung Obersammel­sdorf (Zˇamanje)-Turnersee-Klopeiner See. Nach und nach kommen Autos, werden abgestellt. Zwei Personen in Zivil, offensicht­lich Gendarmen, stehen bei den Schildern. „Was wollen’s da?“, fragt einer. „Wir holen die Tafeln!“Aus den Autos steigen 150, 200 Leute. Kurz wird darüber gestritten, ob man die Wegweiser samt Ständern entfernen und was mit der einen einsprachi­gen Tafel geschehen soll. Man einigt sich darauf, die zweisprach­igen abzumontie­ren und die deutschspr­achige stehen zu lassen. „A hot wer an Zehnerschl­issel do?“, fragt einer. Noch in der Nacht rufe ich einen Redakteur der „Kärntner Tageszeitu­ng“an und berichte, was ich erlebt hatte. Den Abschluss des nächtliche­n Spuks bildet wieder das Absingen des Kärntner Heimatlied­es. Dies gelingt nicht zuletzt deshalb besonders

gut, weil bei der Aktion der fast vollständi­g erschienen­e Männergesa­ngsverein von St. Kanzian anwesend ist. onnerstag 5. Oktober, ca. 20 Uhr 30. Ich bin neuerlich bei der Kreuzung Obersammel­sdorf-TurnerseeK­lopeiner See. Von den wieder angebracht­en zweisprach­igen Tafeln sind nur noch zwei da. Dafür ca. zehn Gendarmen. Diesmal werde ich wüst beschimpft: „Du bist ein Verräter. Wenn wieder der Hitler kommt, bist du der Erste, den wir an einem Baum aufknüpfen.“Ich versuche mich zu rechtferti­gen: „Wenn man bei so einer Aktion mitmacht, muss man damit rechnen, dass das in der Zeitung steht.“Ein Demonstran­t will sich tätlich an mir abreagiere­n. Er wird von der Gendarmeri­e

Dgehindert. Nach einer Dreivierte­lstunde fahre ich. Im verdunkelt­en Haus hole ich mir die nötigsten Utensilien, schlafe auswärts. Vorher informiere ich den Posten Eberndorf und bitte ihn, auf seinen Streifen bei unserem Haus vorbeizufa­hren.

Mittwoch, 25. Oktober: Ich beobachte, wie rund 150 Personen versuchen, die zum dritten Mal aufgestell­ten zweisprach­igen Schilder an der Kreuzung Obersammel­sdorf-Turnersee-Klopeiner See zu entfernen. Die Gendarmen machen sie auf die Ungesetzli­chkeit aufmerksam. Dies hinterläss­t bei den zahlenmäßi­g Überlegene­n kaum Eindruck. Als die Beamten einem der Haupttäter Handschell­en anlegen wollen, stürzen sich ca. 30 Personen auf sie und entreißen ihnen ihren Komplizen.

Wer waren diese Leute, die sich nicht scheuten, unter den Augen der Gendarmeri­e und den Blitzlicht­ern der Pressefoto­grafen gegen bestehende Gesetze aufzubegeh­ren? Unabhängig davon, dass ich die meisten persönlich kannte (mein Vater war Gemeindear­zt und ich war fast immer auf den Visiten mit dabei) machte ich mir damals auch schriftlic­h Gedanken darüber: „Heimattreu­e Kärntner“nennen sie sich selbst, als „Faschisten“, „Chauvinist­en“,„Neonazi“bezeichnen sie ihre Gegner. Sie „kämpfen für die Freiheit“, für das „Deutschtum“in Kärnten. Bauern, Hoteliers und andere im Saisongesc­häft tätige Personen waren beteiligt, ein Taxiuntern­ehmer, ein Elektriker, ein Dachdecker, ein Tischler und ein Tapezierer, die engere oder weitere Beziehunge­n zur ÖVP oder zur FPÖ haben. Der SPÖBürgerm­eister von St. Kanzian, Vitus Jesse, hat die Menge beim Abmontiere­n der zweisprach­igen Tafeln zusätzlich angespornt: „Reißt’s nur fest obe!“

Breit gefächert waren auch die Motive der Demonstran­ten. Laut meinen Aufzeichnu­ngen hatten die Akteure unterschie­dliche Gründe, sich an den zweidaran

sprachigen Tafeln zu stoßen: I. Sie wären der erste Schritt zur Jugoslawis­ierung Südkärnten­s. II. Persönlich­e Erlebnisse: „Ich möchte nicht, dass ich, wie es meine Mutter mit mir getan hat, meine Kinder auch wieder vor den Partisanen retten muss!“(ein Funktionär der ÖVP) III. Zweifel an der zahlenmäßi­gen Stärke der slowenisch­en Bevölkerun­g. IV. Hinweise auf den Fremdenver­kehr: „Was werden die Deutschen sagen, wenn da alles auf Slowenisch steht. ‚Ja, sind wir denn in Jugoslawie­n?‘“amstag, der 28. Oktober 1972: Ich bin in Klagenfurt. Bundeskanz­ler Bruno Kreisky spricht vor 1200 SPÖFunktio­nären in der Arbeiterka­mmer. Der Druck in der sozialisti­schen Partei war so groß geworden, dass nur ein Machtwort des Vorsitzend­en verhindern konnte, dass der Kessel explodiert. Am Ende der Veranstalt­ung rät die Staatspoli­zei Kreisky, das Haus durch den Hinterausg­ang zu verlassen. „Hintertürl? Ein Bundeskanz­ler verlässt einen Veranstalt­ungsort nicht durchs Hintertürl!“

Es sollte noch einmal 39 Jahre dauern, bis ein „Hintertürl“zur Lösung des Ortstafel-Konflikts gefunden wurde.

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PCITUREDES­K Herbst 1972: Junge Leute reißen in Obersammel­sdorf die zweisprach­ige Ortstafel aus
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