Späte Ruhe nach dem Sturm
REPORTAGE. Der Ortstafel-Kompromiss von 2011 hat Frieden in die zweisprachige Region Kärntens gebracht. Die Angst der Slowenen vor dem Verschwinden blieb.
Mitten in der Wiese steckt eine Blechtafel zwischen Obstbäumen. Sie sieht aus wie ein Ortsschild, nur der Text passt nicht zum Zweck: „Liebe deinen Nächsten!“, fordert sie und darunter „Ljubi svojega blizˇnjega“. Im Jauntal, wo die Tafel steht, hatten vor fünfzig Jahren erbitterte Kämpfe um zweisprachige Ortsbezeichnungen getobt.
Im nahen Bildungshaus Sodalitas in Tainach/Tinje lädt Rektor Josef Kopeinig zur Diskussion über den Stand der Dinge elf Jahre nach dem schwer errungenen Ortstafel-Kompromiss und 50 Jahre nach dem Sturm. Der Historiker Hellwig Valentin spricht gar von einem Ortstafel-Krieg. Schon die Zusammensetzung des Podiums zeigt, was sich geändert hat. Auf dem Podium sitzen einige Bürgermeister und eine Bürgermeisterin aus Orten, die über den 2011 ausgehandelten Minimalkompromiss hinaus für ihre Orte zweisprachige Tafeln durchgesetzt haben. Ganz ohne Zwang.
Zum Beispiel Sonya Feinig. Sie ist seit 18 Jahren Bürgermeisterin in Feistritz im Rosental, zuletzt mit fast 90 Prozent wiedergewählt. Ortskaiserin könnte man sie nennen, aber das weist sie brüsk von sich. Es passt auch nicht zu ihrer Art. „Ich bin halt immer da“, erklärt sie bescheiden in ihrem Büro in Feistritz den Erfolg. Und dass sie für fast jede Familie schon etwas tun konnte.
Auch heikle Wünsche erfüllte sie. Vor gut einem Jahr brachte eine Gemeinderätin der slowenischen Volilna Skupnost den Antrag ein, die im Gemeindegebiet liegenden Ortschaften Suetschach und Matschach mit zweisprachigen Ortsschildern auszustatten. Knapp vor der Abstimmung knallten vier Männer der Bürgermeisterin eine Unterschriftenliste mit über 200 Namen auf den Tisch. Eine Volksbefragung in den Orten sollte entscheiden. Die Abstimmung im Gemeinderat fand trotzdem statt. Mit 16 zu drei Stimmen ging der Antrag durch, nur die FPÖ und ein Abgeordneter ihrer Fraktion, der SPÖ, stimmten dagegen. Anonyme Drohbriefe folgten: „Du musst aufpassen, wenn Du in der Nacht rausgehst“. Oder „Werst sehn, die wird ka Nacht stehn.“Seit einem Jahr steht Macˇe neben Matschach und Svecˇe neben Suetschach. Passiert ist nichts und die Bürgermeisterin ist froh, dass wieder Ruhe eingekehrt ist. onya Feinig hat aus dem Gurktal hierher geheiratet, die Spannungen der Vergangenheit sind ihr fremd. Unbekümmert steckte sie zwei Metallskulpturen in den Trog der Zypresse am Eingang zum Gemeindeamt: „Grüß Gott“, steht auf dem Herz, auf der anderen Tafel „Dober Dan“, guten
S
Auf dem Gebäude der zweisprachigen Volksschule springt der Willkommensgruß auch Englisch und Italienisch ins Auge. chon der Kindergarten der Gemeinde pflegt beide Sprachen. Lisa Doujak leitet ihn seit acht Jahren. „Ich hab in Slowenisch maturiert“, erzählt sie, umdrängt von einer der drei Gruppen mit insgesamt 68 Kindern. „Meine Uroma hat Windisch geredet, dadurch hab’ ich viel gelernt.“Nun gibt sie es weiter, liest mit den Kindern Gedichte und gestaltet die Alltagsroutine in der Sprache der Minderheit. „Wir lernen mit ihnen auch Slowenisch.“
Da hilft es, dass ein paar Kinder in der Gruppe sind, deren Eltern aus Slowenien zugezogen sind, wegen der vielen neuen Firmen, die Feinig in den Ort geholt hat. „Kinder, die in Österreich geboren und slowenischer Herkunft sind, haben wir nicht“, sagt Doujak. Gibt es Gegenwind? „Gar nicht.“
Ein paar Hundert Meter wei
Ster westlich zweigt die Straße nach Suetschach ab. Svecˇe steht nun drunter. Hier wohnt Valentin Inzko, der Berufsdiplomat und Vorsitzende des Rats der Kärntner Slowenen. Enttäuscht hat er dem Ortstafelkompromiss 2011 nicht zugestimmt. Was ihm das späte Hinweisschild in seiner Muttersprache bedeutet? „Heimat“, sagt er, ohne lange nachdenken zu müssen. „Ich komm’ nach Hause und seh’, ich bin willkommen.“
Am Podium in Tainach hatte er sehr pessimistisch geklungen. Bitter listete er die Traumata seiner Volksgruppe auf, gebrochene Versprechen eines Jahrhunderts. Ein abgekartetes Spiel sei auch der Kompromiss von 2011 gewesen, vor Beginn der Verhandlungen schon mit den Heimatverbänden ausgehandelt. „Und wir müssen noch dankbar sein für diese minimalistische Lösung.“
Manuel Jug, der neue Vorsitzende des Zentralverbandes slowenischer Organisationen, saß am anderen Ende des TiTag. sches und widersprach, ohne das bittere Faktum des Schwindens der Volksgruppe wegzureden. Er sei nur halb so alt wie der Ortstafelsturm, und stelle sich folgende Frage: „Trauern wir immer allem nach, was uns genommen wurde? Oder versuchen wir aus der Gegenwart das Beste herauszunehmen und das Beste daraus zu machen?“as Beste daraus macht auch Valentin Inzko aus der Situation. Aus eigenen Mitteln hat er ein altes Bauernhaus samt Scheune erworben und sorgfältig erneuert. Ein Kulturzentrum soll es werden, ist es schon. Der Bundespräsident war da zur Einweihung. Im Jänner wird Thomas Quasthoff hier einen Jazz-Abend geben. Nun hofft er auf Unterstützung – auf Dauer lässt sich so etwas nicht privat betreiben.
Zu Hause erinnert Inzko an die fast vergessene Diözesansynode, die auch vor 50 Jahren stattfand. Deren Dokument zum Zusammenleben der beiden Völker in Kärnten legte das
DFundament für die Zweisprachigkeit in der Kirche, das bis heute hält. Sein Vater Valentin hatte gemeinsam mit Ernst Waldstein gegen alle Widerstände den Weg gebahnt. Heute ist mit Josef Marketz ein Kärntner Slowene sogar Bischof.
Auch der Kärntner Heimatdienst, einst erbitterter Gegner der Volksgruppe, spricht heute anders: „Gehen wir bitte den Konsens- und Verständigungsweg weiter, reden wir miteinander, nur so werden wir weiterkommen“, sagte Franz Jordan vom KHD zu den Vertretern der Slowenen in Tainach. Er erinnert an den Historiker Stefan Karner, der einst von den „menschlichen Tragödien auf beiden Seiten“gesprochen und damit das Eis zwischen den Kontrahenten gebrochen hatte.
„Was einmal passiert ist, kann immer wieder passieren, im Guten wie im Schlechten“, schloss Hellwig Valentin die Runde. „Es kommt darauf an, alles zu tun, dass sich die guten Dinge wiederholen, nicht die schlechten.“