Kleine Zeitung Kaernten

Auf der Suche nach dem Grundton

Der Pfarrer stellte Bananenkis­ten voller Bücher vor die Tür. Und aus Alois Hotschnig wurde erst ein Viel-Leser und dann ein Autor. Morgen wird er mit dem Lavantprei­s ausgezeich­net.

- Von Marianne Fischer

Ich glaube, er hat einen Vogel in mir gesehen, wollte mich hochschmei­ßen und genug Luft unter meinen Flügeln ausbreiten“, sagt Alois Hotschnig. Das ist eine – selbstrede­nd – literarisc­he Beschreibu­ng, wie aus dem Ministrant­en in Oberdraubu­rg dank des Pfarrers ein hochgelobt­er Autor wurde. Und die Geschichte geht so: Pfarrer Josef Gabrucˇ, der sich sehr für die Jugend einsetzte, stellte eines Tages eine Bananensch­achtel voller Bücher vor die Tür von Hotschnigs Elternhaus: „Er hat gesagt: Lies das. Und wenn dir etwas gefällt: Von allem gibt es mehr. Und in einem Jahr bekommst du eine neue Bananensch­achtel mit Büchern.“Hotschnig hat dann diese Bananensch­achtel unter das Bett geschoben und ignoriert. „Nach einem Jahr fragte er mich wirklich nach den Büchern und ich musste zugeben, dass ich nichts davon gelesen hatte. Er meinte nur: ,Macht nichts, ich habe wie versproche­n eine neue Schachtel mit Büchern dabei.‘ Und aus lauter Scham habe ich begonnen zu lesen.“Und er hat nie wieder aufgehört: „Dass man mithilfe der Literatur dem gelebten Leben ins Auge schauen kann, war für mich eine Entdeckung“, erzählt der Kärntner Autor, der morgen mit dem Christine-Lavant-Preis ausgezeich­net wird.

Dieser Preis würdigt Autorinnen und Autoren, deren Werk einen hohen ästhetisch­en Anspruch mit humaner Haltung und gesellscha­ftskritisc­hem Blick vereint. Oder, wie es die Jurorin und ORF-Literaturc­hefin Katja Gasser formuliert: „Alois Hotschnigs Werk nimmt sich der Menschen ungeschütz­t und zärtlich an.“

Dafür hat der 63-Jährige, der in Innsbruck und Landskron lebt, sich durchaus Christine Lavant als eine Inspiratio­n genommen. Er hat zwar die Autorin nie persönlich kennengele­rnt, aber sie war in seinem Leben schon früh präsent. Und auch das hat mit Pfarrer Gabrucˇ zu tun. Dieser war nämlich mit dem Künstler Werner Berg befreundet, den wiederum eine enge Beziehung mit Christine Lavant verband: „Im Pfarrhof habe ich erstmals seine Holzschnit­te gesehen und war fasziniert von diesen tiefen, dunklen Augen. Und weil ich so beeindruck­t war, hat mir der Pfarrer Lavants ,Bettlersch­ale‘ in die Hand gelegt, wo auf dem Buchcover ein Holzschnit­t der Autorin abgebildet war“, erinnert sich Hotschnig. Damals war er vielleicht zwölf Jahre alt und konnte mit dieser Literatur wenig anfangen: „Aber der Pfarrer hat mir daraus vorgelesen und über den Rhythmus der Sprache und die Melodik gesprochen. Ohne ihn wäre ich heute kein Autor“, ist er überzeugt.

Sondern womöglich Arzt. Denn nach dem Gymnasium in Lienz („Ich hatte immer

Lehrer, die mich gefördert haben“) ging Hotschnig nach Innsbruck, warf allerdings das Medizinstu­dium dann ziemlich schnell hin: „Das ist eine Entscheidu­ng, die ich nie bereut habe.“

Kein Wunder, der Autor von hochgelobt­en Romanen („Leonardos Hände“, „Ludwigs Zimmer“), Erzählbänd­en („Die Kinder beruhigte das nicht“), Theaterstü­cken und Hörspielen ist vielfach ausgezeich­net, unter anderem 1992 mit dem Preis des Landes Kärnten beim Bach

mann-Wettlesen und 2011 mit dem Gert-Jonke-Preis. Für ihn war dieses ständige „Herabniese­ln“auch deshalb ein Glück, weil die Preisgelde­r und Stipendien es ihm ermöglicht haben, als freier Autor zu leben. Zuletzt hat sein Roman „Der Silberfuch­s meiner Mutter“begeistert­e Kritiken bekommen und sich über Monate auf der ORFBestenl­iste gehalten. Darin erzählt der genaue Beobachter vom österreich­ischen Schauspiel­er Heinz Fitz, dessen Lebensgesc­hichte ihn sehr berührt hat: Fitz wurde

während des Zweiten Weltkriegs als Sohn einer Norwegerin und eines österreich­ischen Soldaten geboren, fühlte sich zeit seines Lebens als „Lebensborn“-Kind (eine Nazi-Organisati­on zur Erhöhung der Geburtenzi­ffer „arischer“Kinder) ausgegrenz­t und heimatlos. „Dieses Schicksal hat in mir etwas zum Klingen gebracht“, sagt Hotschnig, für den Musik wesentlich für das Schreiben ist: „Ich bin immer auf der Suche nach einem Grundton. Aus jedem Geräusch heraus kann eine Geschichte wachsen.“Und wenn die Geschichte – wie im Fall von Fitz – schon da ist, wendet er ein anderes musikalisc­hes Verfahren an: Dann übernimmt er das „Zuawisinge­n“. Und macht aus der Melodie große Literatur.

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ACHATZ Das „Waltzwerk“hat Hotschnigs „Im Sitzen läuft es sich besser davon“auf die Bühne gebracht
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Hotschnig APA
Ein genauer Beobachter: Alois Hotschnig APA

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