Kleine Zeitung Kaernten

„Es ist nicht mein Krieg, ich berichte nur“

Korrespond­ent Christian Wehrschütz über die Härten der Kriegsberi­chterstatt­ung und über sein neues Buch, in dem er aus seinem reichen Erfahrungs­schatz als Journalist berichtet.

- Von Maria Schaunitze­r

Reportagen aus dem Kriegsgebi­et, zwischendu­rch wieder Berichte vom Westbalkan. Wie schafft man es da, nebenbei noch ein Buch zu schreiben?

CHRISTIAN WEHRSCHÜTZ: Mein Vater hat immer gesagt, zu den wichtigste­n Dingen im Berufslebe­n zählt die gute Zeiteintei­lung. Anfang des Jahres hatte ich den Bedarf nach einer Runderneue­rung und war auf Reha in Bad Gleichenbe­rg. Und diese drei Wochen habe ich genutzt, um dieses Buch zu schreiben. Ich verdanke es auch meiner Gattin, die schon vor Jahren gesagt hat: Lege eine Art Tagebuch an! Dort habe ich all diese Anekdoten und Ereignisse stichworta­rtig zusammenge­tragen.

Es ist ein sehr persönlich­es Buch geworden, in dem Sie auch ihre Erfahrunge­n niedergesc­hrieben haben. Wie geht man damit um, täglich Leid zu sehen? habe immer wieder gehört, dass Leute sagen, sie sind traumatisi­ert. Ich hoffe nicht, dass ich es bin. Und ich kann nur sagen, wenn ich bei meiner Familie bin, ist das die wirkliche Entspannun­g. Da schlafe ich anders. Aber wenn ich dann wieder zurückfahr­e, ist es natürlich auch eine massive kulturelle Umstellung.

Leid: Wo zieht

man die Grenze zwischen Aufklärung­spflicht und pietätvoll­er Berichters­tattung?

In einem Krieg sehe ich schon eine gewisse Aufklärung­spflicht, weil ich der Meinung bin, das Zeigen von Trümmern reicht nicht aus. Krieg bedarf auch einer Darstellun­g von Opfern. Aber ganz generell ist es wichtig, die innere Distanz zu wahren. Weil, wenn du einmal parteiisch bist, bist du es imIch

mer. Es ist nicht mein Krieg und ich berichte für die österreich­ische Bevölkerun­g, damit sie sich ein Bild machen kann von dem, was hier passiert.

Kriegsberi­chterstatt­ung ist immer mit einem Risiko verbunden. Wie gehen Sie damit um?

Wir gehen mit dem Risiko sehr bewusst um, auch wissend, dass man immer zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort sein kann.

Viele Medien verzichten mehr und mehr auf Auslandsko­rresponden­ten. Welche Gefahren sehen Sie darin für die Berichters­tattung?

„Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“, sagte Wittgenste­in. Wer glaubt, dass mit Englisch und dem Internet allein aus der Redaktions­stube heraus gute Berichters­tattung möglich ist, der irrt. Ich halte das für gefährlich. Und ich sehe es überhaupt mit Sorge, dass wir Journalist­en eine Berufsgrup­pe sind, in die Arbeitgebe­r zu wenig investiere­n. Heute stellt sich immer die Frage: Wie viel Zeit kann man überhaupt haben, um eine Geschichte zu recherchie­ren? Wenn ich fünf Geschichte­n machen muss, zum Beispiel für ein Wochenmaga­zin oder so, dann leidet die Qualität.

Aber auch Sie sind für Ihre Berichters­tattung von ukrainisch­er Seite kritisiert worden. Was erwidert man da?

Generell bin ich der Meinung, dass ein guter Teil der politische­n Elite der Ukraine nur nach dem Motto geht: Bist du nicht für uns, dann bist du gegen uns. Meine Aufgabe ist es nicht, Propaganda zu machen. Es ist klar, die Russen haben diesen Krieg vom Zaun gebrochen. Es ist klar, hier sind Kriegsverb­rechen passiert. Aber ich habe mir immer in jedem konkreten Fall anzuschaue­n: Was ist real? Was wissen wir?

Was kann ich nicht wissen? Weil mir natürlich auch klar sein muss, dass gerade die Ukraine alles tut – und das ist ihr legitimes Recht –, um den Westen bei ihrer Stange zu halten: von der Waffenlief­erung bis hin zur finanziell­en Unterstütz­ung. Aber damit muss ich leben.

Als Journalist gibt es immer das eine Interview, das man gerne geführt hätte. Mit wem hätten Sie gerne gesprochen?

Im Bezug auf die Ukraine mit dem Generalsta­bschef. Ganz generell aber würde ich sagen, mit George Lucas.

Sind Sie ein Star-Wars-Fan?

Nein, nicht weil ich ein Fan bin. Weil ich ihn gerne gefragt hätte, ob „Krieg der Sterne“ohne Richard Wagners „Ring des Nibelungen“denkbar gewesen wäre.

Der amerikanis­che Schriftste­ller Mark Twain soll einmal über unsere Berufsgrup­pe gesagt haben: „Journalist­en sind

Leute, die ein Leben lang darüber nachdenken, welchen Beruf sie eigentlich verfehlt haben.“Welcher wäre es bei Ihnen gewesen?

Einerseits bin ich natürlich mit Leib und Seele Auslandsko­rresponden­t, aber Opernregis­seur hätte mir sehr gefallen. Hätte ich die Möglichkei­t gehabt, den „Ring der Nibelungen“zu inszeniere­n, das wäre schon etwas gewesen.

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Der ORF-Mann, auch Korrespond­ent für die Kleine Zeitung, bei seiner täglichen Arbeit in der Ukraine. Er ist stets mit seinem Team (unten) unterwegs
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ORF-BÜRO KIEW (5) Wehrschütz spricht mit Schutzsuch­enden in der Kiewer U-Bahn (rechts). Der Arbeitspla­tz des aus Graz stammenden Journalist­en ist dieser Tage oft provisoris­ch

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