Kleine Zeitung Kaernten

Die Hoffnung ist weiblich

Proteste, Gefangene und Tote sind im Iran leider nichts Neues. Neu ist aber der Mut, mit dem sich die Frauen gegen die Kontrolle über ihre Körper zur Wehr setzen – und die weltweite Solidaritä­t.

- Nava Ebrahimi, 1978 in Teheran geboren, ist Schriftste­llerin und lebt mit ihrer Familie in Graz. Sie ist Bachmann-Preisträge­rin 2021.

Zwei junge Frauen sitzen in einem Café und frühstücke­n so, wie es Frauen in den Metropolen rund um den Globus jeden Morgen tun. Eine der beiden heißt Donya Rad. Sie hat sich dabei fotografie­ren lassen und das Foto in den sozialen Medien geteilt. Dieses Foto, auf den ersten Blick völlig unspektaku­lär, verbreitet­e sich wie ein Lauffeuer. Warum? Donya Rad ist Iranerin und die Metropole Teheran – doch sie sitzt da ohne Kopftuch. Mit diesem kurzen Akt der Selbstbest­immung schenkte sie vor wenigen Tagen Millionen Menschen, auch mir, Hoffnung auf eine Zukunft, in der das normal sein könnte. Sie zahlt dafür einen hohen Preis, und sie wird sich dessen bewusst gewesen sein: Medienberi­chten zufolge hat das MullahRegi­me sie inzwischen in das Evin-Gefängnis einkerkern lassen. Allein der Name „Evin“löst bei Iranerinne­n und Iranern einen Schauer des Schreckens aus.

Ich könnte etliche solcher Geschichte­n erzählen, ich könnte etliche Namen junger Menschen nennen, die sich den staatliche­n Schlägertr­upps entgegenst­ellten und jetzt tot sind, viele von ihnen wurden erschossen. Seit die Proteste vor zwei Wochen begannen, ausgelöst durch den Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Jina Amini mutmaßlich in Gewahrsam der Sittenpoli­zei, haben laut der Organisati­on Iran Human Rights mehr als 80 Menschen ihr Leben gewaltvoll verloren. Geschätzt Tausende wurden inhaftiert. s sind nicht die ersten Proteste, Toten und Gefangenen im Iran. Es ist nicht das erste Mal, dass Menschen wie ich weltweit hoffen, dass sich etwas verändert, dass wir morgen unsere Koffer packen und in ein freies Land reisen können – ohne Angst und Schikane. 1999 hofften wir, als die Studenten auf die Straßen gingen. 2009 hofften wir, als die städtische Mittelschi­cht nach Mahmud Ahmadineds­chads gestohlene­m Wahlsieg ihre Stimme erhob. 2019 hofften wir, als die armen Bevölkerun­gsschichte­n gegen die Benzinprei­serhöhunge­n aufbegehrt­en.

Doch während ich in der Vergangenh­eit hoffte, ahnte ich bereits, dass es wieder nicht reichen würde. Das ist dieses Mal anders, dieses Mal haben sich die iranischen Frauen quer durch die Gesellscha­ft zusam

Emengeschl­ossen und, wichtig, die Männern stehen ihnen zur Seite. Denn als die Iranerinne­n 1979 kurz nach der Islamische­n Revolution gegen den Kopftuchzw­ang auf die Straße strömten, winkten diese noch ab. Das sei jetzt nicht das Hauptprobl­em, sagten sie.

Doch inzwischen wissen sie: Wenn Politik, wenn eine Regierung ihre Macht manifestie­rt, indem sie sie auf die Körper von Frauen ausdehnt, in welcher Form auch immer, dann ist das ein Hauptprobl­em. Weil es darauf hinweist, dass etwas an der Politik, an der Regierung massiv krankt. Das gilt überall auf der Welt, und das spüren oder erahnen zumindest Frauen überall auf der Welt. Das erklärt die große Solidaritä­tswelle, die die Iranerinne­n dieses Mal erfahren – auch das ist anders als bei den bisherigen Protesten. estern haben Menschen von Quito bis Tokio, von Perth bis Izmir, in mehr als 150 Städten demonstrie­rt. Und sie haben das Bild von Mahsa Jina Amini in die Höhe gehalten, einer unpolitisc­hen, kurdischen Iranerin, die mutmaßlich sterben musste, weil Männer fanden, dass eine Haarsträhn­e zu viel aus ihrem Kopftuch hervorlugt­e. Es könnte keine bessere Gelegenhei­t für die deutsche Außenminis­terin Annalena Baerbock geben, zu zeigen, was sie unter feministis­cher Außenpolit­ik versteht.

Menschen von Quito bis Tokio, von Perth bis Izmir haben protestier­t gegen das Mullah-Regime.

G

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria