„Ermittlungen brauchen eine Deadline“
INTERVIEW. Der neue Präsident der Anwälte, Armenak Utudjian, fordert mehr Rechte für Beschuldigte. Etwa Handy-Durchsuchung nur mit Gerichtsbeschluss. In der WKStA entstehe „der Eindruck, dass kriminalisiert wird“.
Herr Präsident, Sie haben sich zum Amtsantritt kritisch über die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft geäußert. Was ist der Kern Ihrer Kritik?
ARMENAK UTUDJIAN: Die Beschuldigtenrechte müssen ausgebaut werden. In der WKStA laufen viele medienwirksame Verfahren. Dabei kommt es immer wieder zu Aktenleaks, es werden also geheime Aktenteile an die Öffentlichkeit gebracht, was dazu führt, dass Beschuldigte in der Öffentlichkeit vorverurteilt werden. Weiters kritisieren wir die zu lange Dauer von Ermittlungsverfahren und fordern eine Verfolgungsverjährung ab einem bestimmten Zeitpunkt.
Die Rechtsanwälte tragen nicht selten zu Verschleppungen bei, indem sie immer wieder neue Anträge einbringen.
Natürlich vertreten Anwälte ihre Klienten nach den Regeln der Kunst. Dennoch müssen die Staatsanwaltnicht schaften effizient arbeiten. Manchmal vermisst man das. Daher ist es notwendig, eine maximale Ermittlungsdauer einzuführen. Es braucht diese Deadline, damit nicht ein Beschuldigter zu lange im ungewissen Zustand bleiben muss.
Welche Frist wäre das?
Grundsätzlich sollte man bei drei Jahren bleiben. In komplexen Verfahren – etwa mit Auslandsbezug – könnte man um ein Jahr verlängern. Dann sollte Schluss sein.
Wie kann man verhindern, dass sich Anwälte durch schikanöse Ausschöpfung des Rechts über diese Grenze drüberhangeln und es deshalb zu keiner Anklage kommt?
Das liegt in der Hand der Staatsanwaltschaft. Anwälte können in dieser Phase zwar Anträge stellen, aber sie können diese Anträge nicht durchsetzen. Es liegt an der Anklagebehörde, durch Ermittlungen ein Substrat zu beschaffen, das anklagereif Wenn das Substrat ausreicht, können Anwälte die Anklage nicht verhindern.
Wäre nicht der Preis dieser Regel, dass Anklagen schlampig vorbereitet werden?
Die Staatsanwaltschaften wurden im Justizbudget gut ausgestattet, zuletzt wurden die Planstellen erhöht. Ich glaube schon, dass es zumutbar ist und erwartet werden kann, dass ein Ermittlungsverfahren in schicklicher Zeit abgeschlossen wird. Und wenn bis dahin eben nicht festgestellt werden kann, dass ein Verdacht auf Strafbarkeit vorliegt, dann muss eingestellt werden.
Sie klagen darüber, dass häufig geheime Aktenteile an die Öffentlichkeit kommen. Es steht im Raum, dass das durch Anwälte passiert, die im Rahmen der sogenannten „Litigation PR“Akten weitergeben, um via Medien Stimmung für Ihre Mandanten zu machen.
In der Regel werden es nicht die Anwälte sein. Weil sie gar
daran interessiert sind, dass ihre Klienten mit Vorwürfen in die Öffentlichkeit gezerrt werden.
Ihre eigenen Klienten nicht, aber vielleicht Mitbeschuldigte im gemeinsamen Verfahren. Wäre es ein taugliches Mittel gegen Aktenleaks, die Verfahren öfter zu trennen?
Das kann man nicht generalisierend sagen. Es ist Sache der Justiz und ihrer Organisation, dafür zu sorgen, dass solche Aktenleaks nicht vorkommen. Wir können hier keine Vorschläge machen.
Ein naheliegender Vorschlag wäre die Beschränkung der Akteneinsicht.
Das ist zwar naheliegend, würde aber zu einer weiteren Einschränkung der Beschuldigtenrechte führen. Dadurch wird das Problem nicht gelöst. Schon jetzt werden Beschuldigte oftmals sehr lange gar nicht darüber informiert, dass gegen sie ermittelt wird. Es soll auch Fälle geben, wo Anklage erhoist.
wird, ohne dass der Beschuldigte überhaupt einvernommen worden ist.
Wären die Anwälte damit einverstanden, dass man Akteneinsicht nur in kontrollierten Datenräumen gewährt?
Wenn die Beschuldigtenrechte eingehalten werden, kann man einem solchen Vorschlag zustimmen. Wir sind generell dafür, den Strafakt elektronisch zu führen. Damit kann man vielleicht Missbrauch besser verhindern.
Immer öfter werden Chatverläufe aus Handys öffentlich, die Privatsphäre wird verletzt. Was kann man tun?
Es wäre notwendig, dass die Anordnung eines Staatsanwalts nicht ausreicht, um ein Handy oder einen sonstigen elektronischen Datenträger sicherstellen zu lassen. Das ist heutzutage ein viel massiverer Eingriff als eine Hausdurchsuchung. Als die Gesetze geschrieben wurden, hat es diese exzessive Nutzung von Datenträgern noch nicht gegeben. Daher fordern wir als Voraussetzung einen richterlichen Beschluss, der keinesfalls eine bloße Stempelerledigung sein darf wie bei sonstigen richterlichen Beschlüssen. Wir fordern eine echte richterliche Begründung, warum das – bei einem hinreichenden Tatverdacht – notwendig ist.
Schon heute kann der Beschuldigte Beschwerde einlegen, dann entscheidet ein Richter über die Zulässigkeit der Maßnahme.
Das ist richtig, ändert aber nichts daran, dass dann diese Datenträger schon im Gewahrsam der Staatsanwaltschaft sind.
Man könnte Ihnen vorhalten, dass Sie potenziell schuldige Täter über Gebühr vor Verfolgung schützen wollen.
Das weise ich zurück. Es geht darum, dass man nicht von vornherein davon ausgeht, dass jemand schuldig ist. So lange jemand nicht rechtsben kräftig verurteilt ist, muss man davon ausgehen, dass er unschuldig ist.
Werfen Sie der WKStA vor, diesen Grundsatz zu missachten?
Es entsteht manchmal der Eindruck, dass sofort, wenn Ermittlungen beginnen, kriminalisiert wird. Diesen Eindruck kann man von außen haben. Ich hoffe, dass es nicht so ist.
Was muss sich ändern an der Arbeit der WKStA? Glauben Sie, dass dort voreingenommene Personen sitzen?
Das kann ich nicht beurteilen. Die WKStA steht im besonderen Fokus der öffentlichen Wahrnehmung, weshalb die Probleme dort am deutlichsten sichtbar werden. Ihre Ressourcen sollten effizienter eingesetzt und Ermittlungsverfahren gestrafft werden. Der Reformbedarf beschränkt sich aber nicht auf die WKStA. Es braucht grundsätzlich eine Stärkung der Beschuldigtenrechte.
Die WKStA führt viele Ermittlungen gegen ÖVP-Politiker, musste aber bisher die Mehrzahl ohne Anklage einstellen. Ist das normale Rechtspflege? Oder spielt Parteipolitik in der Justiz eine Rolle?
Richtig ist, dass der Eindruck entsteht, dass dort relativ viele Verfahren wieder eingestellt werden. Aber ich gehe nicht davon aus, dass das politisch motiviert ist.
Auch Zivilprozesse dauern oft ungebührlich lange, die Prozesse werden über Monate und Jahre anberaumt. Könnte das schneller gehen?
In manchen Verfahren haben wir den Eindruck, dass es schneller gehen könnte. Wir wollen schnelle Zivilverfahren und einen angemessenen Kostenersatz.
Die Anwälte fordern eine Anpassung der Tarifsätze.
Das Justizministerium ist hier seit eineinhalb Jahren säumig. Außerdem ist nicht einzusehen, dass Freiberufler im Gegensatz zu gewerblich Tätigen keinen Energiekostenersatz erhalten.
Ist das Zufall oder Absicht?
Ich befürchte, dass es System hat. Man hat die Freiberufler vergessen, weil man sie nicht als gleichberechtigten Teil der Wirtschaft sieht.