Attacke mit dem Buttermesser
Die Ankündigung etwaiger programmlicher Veränderungen bei FM4 und Ö 1 ist nicht so harmlos, wie sie beim ersten Hinhören möglicherweise klingt.
Auch wenn das nicht jeder glaubt: Journalistinnen und Journalisten sind üblicherweise nicht naiv. Der Job erfordert Denkvermögen und eine gewisse Geistesgegenwart; unwahrscheinlich also, dass Ingrid Thurnher, als ZiB-2-Moderatorin und Diskussionsleiterin am „Runden Tisch“in bester Erinnerung, zuletzt Chefredakteurin des Info- und Kulturspartensenders ORF III und neuerdings Radiodirektorin des ORF, sich im Interview mit dem „Standard“vertat, als sie laut über Veränderungen bei den ORF-Radiosendern FM4 und Ö 1 nachzudenken begann.
Der durch intellektuelle Struppigkeit wohltuend auffallende Jugendsender FM4, sagte sie da, müsse für seine Community ja nicht täglich rund um die Uhr senden – eventuell könne der Sender künftig verschiedene Zielgruppen zu unterschiedlichen Zeiten bedienen. Und Ö 1 dürfe seine Aufgabe als Kulturproduzent zwar nicht aufgeben, aber „vielleicht geht nicht mehr alles, was bisher gegangen ist.“Sparvorgaben von 900.000 Euro würden eher wenig gehörte Sendungen und programmliche Randzonen treffen – darunter „Kunstradio“, „Jazznacht“, „Kinderuni“. Eine AudiomarktStudie solle helfen zu entscheiden, „mit welchen Zielgruppen wir wo hineingehen“.
Auch wenn die Radiodirektorin mit solchen Aussagen noch nicht mit dem Schlachtbeil gegen eine heilige Kuh ausholt, sondern sie, sagen wir, mit dem Buttermesser bewirft, ist das Aggression gegen klar öffentlich-rechtliches Programm.
Umgehend reagierten prominente Kulturschaffende auf die Spekulationen und fordern per offenem Brief, etwaige Veränderungen der Senderprogramme seien „nach öffentlichrechtlichen und kulturellen statt nach rein marktwirtschaftlichen Kriterien umzusetzen.“FM4 dürfe kein „Ö 3 für die Jungen“, Ö 1 kein „CNN Radio für Arme“werden. Aha, Österreichs Kulturschaffende können also auch plakativ kommunizieren. Aber recht haben sie.
Denn mit derartigen Ideen an die Öffentlichkeit zu gehen, und sei Thurnhers Ton da auch eher vage, lässt sich durchaus als Test verstehen, mit dem geprüft wird, wie die interessierte Öffentlichkeit reagiert. In diesem Fall: heftig. Und das ist gut so. Empirisch betrachtet bringen ORF-Umbauten immer inhaltliche Verflachung. Das weiß eine Szene, die oft genug jenes qualitätsvolle Kulturprogramm produziert, dem der ORF ohnehin nur eine Nischenexistenz gewährt. Aber es gibt und gilt eben nicht nur Massenpublikum. Insofern trifft die Forderung nach auftragsgemäßer Nutzung von Gebühren für Bildung, Kunst und Kultur den Punkt. Und sie ist nicht nur Selbstzweck, wie passionierte Hörerinnen und Hörer von Ö 1 und FM4 wissen.
RF-Chef Weißmann hat mittlerweile reagiert: Der öffentlich-rechtliche Auftrag und der Umfang der Radioangebote stünden „in keinster Weise zur Disposition“, teilte er mit. Buttermesser etc. sind also vorerst weggesteckt. Ob das so bleibt, wird sich zeigen. Der aktuelle ORF-Umbau kommt ja erst in Gang.
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