„Das ist keine depperte Flause vom Heini“
INTERVIEW. Heinrich Staudinger würde sich als Bundespräsident weigern, ein Impfpflichtgesetz zu unterschreiben, und er würde Putin in Wien empfangen. Hier gibt er Einblick in sein Verständnis vom höchsten Amt im Staat.
Herr Staudinger, Sie sagen über sich, Sie seien „Christenmensch und Kommunist“. In welchem kommunistischen Land würden Sie gern leben? HEINRICH STAUDINGER: Ihre Frage ist nicht fair. Sie könnten auch fragen, in welchem christlichen Land ich leben will. Schließlich gibt es Länder in Europa, wo christliche Parteien den Kanzler stellen, vom Christlichen aber nicht viel zu merken ist. Ich will weder in China noch in Nordkorea oder Kuba leben. Aber nur auf andere zeigen, was dort alles grauslich ist, da landen wir rasch bei der Bibel: Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?
Nordkorea ist das kommunistische Regime auf der Welt, das Christen am brutalsten verfolgt.
Bitt’ di gar schön, mit diesen Geschichten hab’ ich nichts zu tun! Mir geht’s um Gerechtigkeit. Das ist eine Schlüsselfrage auf der Welt. Schon Aristoteles hat vom rechten Maß geredet, das wichtig ist fürs gute Leben. Die kapitalistischen Systeme wären gut beraten, darüber ernster nachzudenken, als es der Fall ist.
Sie sagen, Sie rechnen nicht damit, Bundespräsident zu werden. Warum kandidieren Sie dann?
Weil ich fest davon überzeugt bin, dass ich eine eigenwillige Stimme unter den sieben Bewerbern habe, die einen Sinn hat.
Welchen denn?
Mein Thema ist Mutter Erde. Der Welterschöpfungstag für Österreich war der 6. April 2022. Das heißt, unser Lebensstil braucht vier Erden, und wir können es drehen und wenden, wie wir wollen. Der Wandel wird kommen. Oft schaut es so aus, als könnten wir nur durch Katastrophen lernen. Ich gehöre zu denen, die hoffen, dass wir durch Nachdenken, Probieren und Gestalten den Wandel beeinflussen können. Weitere Anliegen von mir sind die Kleinund Mittelbetriebe, die unter unfairen Rahmenbedingungen leiden, und das Thema Armut.
Kann es sein, dass Sie für das falsche Amt kandidieren?
Das sehe ich nicht so. Ich spüre es an der Post, die ich kriege. Das sind weit über 1000 Briefe. Die Leute bedanken sich, dass ich antrete. Es gibt heute schon Tausende, die vormachen, wohin wir müssen. Biobauern, die den Boden nicht auslaugen. Wirte, die in den Dörfern die letzte soziale Bastion halten. Greißler, die Nahversorgung
leisten. Die Wirtschaft muss wieder regionaler werden. Dass man jeden Dreck kreuz und quer durch die Welt schickt, ist eine ungeheure Energieverschwendung. Die Reregionalisierung der Wirtschaft ist keine depperte Flause vom Heini, sie ist eine Notwendigkeit, wenn wir ökologisch wieder in ein Gleichgewicht kommen wollen.
Mag sein, aber welchen Einfluss hat der Bundespräsident darauf?
Seine Stimme kann einen großen Einfluss auf die Stimmung im Volk haben.
Haben Sie da ein Vorbild?
Pepe Mujica aus Uruguay, sagt Ihnen der etwas? Der war als Präsident radikal aufseiten der Armen. Bei einem Staatsbankett in Deutschland hat ihn ein Journalist gefragt, ob er einen Anzug hat. Er hat gesagt, er hofft, dass sie ihn auch so reinlassen. Pepe Mujica. Ein Supertyp! Aber auch Václav Havel. Spektakulär! Die Kommunisten
wollten ihn mundtot machen und haben ihn in den Häf ’n gesteckt. Aber das hat seine Stimme nur verstärkt.
Havel wurde gehört, weil er genau wusste, was er wann wie sagen muss. Sie tragen ihr Herz auf der Zunge. Ein Problem für die Hofburg?
Nicht problematischer als das diplomatische Getue, das oft in nichtssagenden Phrasen endet.
Sie sind gegen die Corona-Restriktionen zu Felde gezogen. Würden Sie als Präsident ein Gesetz für die Impfpflicht unterzeichnen? Nein.
Warum nicht?
Ich bin bald 70 Jahre alt. Zeit meines Lebens war die Bevölkerung nicht so gespalten wie jetzt. Die Pandemie hat schlimme Kollateralschäden von Einsamkeit, Verwerfungen in den Familien hinterlassen. Offenbar ist das alles wurscht. Jedes fünfte Mädchen denkt jeden zweiten Tag an Selbstmord. Hallo, in
welcher Gesellschaft leben wir? Ich möchte nicht in dem Land leben, wo Zweifeln verboten ist.
Gibt der Zweifel einem Recht, andere zu gefährden?
das
Die Schweiz und Schweden sind mit derselben Bedrohung nennenswert anders umgegangen als Österreich – mit besseren Ergebnissen. Auch die Mediziner waren durchaus geteilter Meinung, während die herrschende Meinung sich nicht gescheut hat, alle dissidenten Stimmen zu diskreditieren und mit Praxisverboten zum Schweigen zu bringen.
Würden Sie sich als Präsident über gültiges Recht hinwegsetzen?
Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht. Die Einsicht etwa, dass wir auf Kosten der kommenden Generationen leben, haben wir Fridays for Future zu verdanken. Ich bin wahnsinnig froh, dass die Jungen auf die Straßen gehen. Weil die Herrschenden kümmern sich nur um die Verteidigung der eigenen Pfründe.
Würden Sie Putin empfangen? Ja.
Warum?
Horst Teltschik, der Ex-Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, sagt, dass der Dialog mit Moskau unausweichlich ist. Die Amerikaner haben sogar mit Mao verhandelt, obwohl sie wussten, dass er 40 Millionen Menschen auf dem Gewissen hat. „Einer muss den Frieden beginnen, wie den Krieg“, hat Stefan Zweig gesagt.
Das klingt so, als ob es einerlei wäre, wer in der Ukraine der Aggressor und wer das Opfer ist?
Ich sage nicht, dass der Krieg super ist. Und ich sage nicht, dass Putin super ist.
Was würden Sie sagen, wenn Putin Ihre Waldviertler Fabrik zu russischem Mutterland erklärte?
Das fände ich auch nicht super. Natürlich ist Putin ein Kriegsverbrecher. Da gibt es nicht den geringsten Zweifel. Aber es gibt seit der Antike auch das geflügelte Wort: Im Krieg stirbt die Wahrheit als Erstes. Und ich glaube nicht, dass unsere Berichterstattung über den Krieg die Wahrheit ist.