Die Pendeluhr Arbeitsmarkt
Enormer Arbeitskräftebedarf drängt viele Betriebe in die Bittstellerposition. Ihnen tut es gut, sich zu bewegen. Auch, wenn das Pendel bald wieder anders ausschlagen könnte.
Lassen Sie mich etwas technisch beginnen und versuchen, einen bemerkenswert widersprüchlichen Wesenszug des Jobmarktes aufzuzeigen: Die Suche nach Arbeit gilt allgemein als Prozess, an dessen Ende der möglichst ideale Job stehen soll. Also eine Arbeit, die zeitlich flexibel einteilbar ist, gut bezahlt und möglicherweise noch nahe dem privaten Lebensmittelpunkt. Nun lehrt uns der Alltag, dass eine Suche erfolgversprechender ist, desto länger sie andauert. Am Arbeitsmarkt aber gilt exakt das Gegenteil. Je länger ich suche, also arbeitslos bin, desto geringer wird die Chance auf den Traumjob. Je länger ich arbeitslos bin, desto seltener stellen mich nämlich Betriebe ein.
In den letzten Monaten und als Zeugnis eines bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwungs begann dieses Verständnis zu bröckeln. Selbst bei Gruppen, die es für gewöhnlich besonders schwer haben, wieder Arbeit zu finden, sank die Arbeitslosigkeit deutlich. Das starke Wachstum sorgte für Perspektiven. Langzeitarbeitslose und Über-50-Jährige fanden vermehrt Jobs, ebenso Ausländer oder Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung.
Debattierten wir am Höhepunkt der Coronakrise noch über Rekordarbeitslosigkeit, dominierte nur kurz später das Phänomen, bei sehr hoher Arbeitslosigkeit zugleich eine Vielzahl offener Stellen nicht besetzen zu können. Die letzten Monate wiederum waren geprägt von der Feststellung, dass eine Rekordanzahl an vakanten Jobs auf historisch niedrige Arbeitslosenraten trifft. Der Zeitraum, in welchem diese bemerkenswerte Transformation geschah? Zweieinhalb Jahre.
Das Pendel schlug in die andere Richtung. In vielen Branchen wurde aus einem Arbeitgebermarkt ein Arbeitnehmermarkt. Potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekamen dort Oberwasser. Bewerbungsgespräche avancierten zu Anwerbungsgesprächen, Unternehmen begannen all jene mit Boni zu locken, die neues Personal an Bord holen. Die (Un-)Möglichkeit einer 4-Tage-Woche wurde täglicher Gesprächsstoff, Arbeitszeitreduktion schien maximal begehrt. Unter diesem Druck begannen sich Betriebe zu bewegen. Was vor allem jenen guttat, die Digitalisierung und daraus resultierende Bedürfnisse zu lange als vorüberziehendes Phänomen abtaten. Sie stellten vieles neu auf und wurden zu attraktiveren Arbeitgebern. Ein Weg, der allen nützt. Anderswo uferten Forderungen künftiger Belegschaft aus. Was für eine Volkswirtschaft mindestens so schädlich sein kann wie stocksteife Unternehmen. etzt ist ein entscheidender Punkt erreicht. Der die Nachhaltigkeit der Transformation auf die Probe stellt. Stimmen die Prognosen, flaut der Aufschwung ab. Mit sinkender Nachfrage geht der Bedarf an Arbeitskräften zurück. Was die Wünsch-dir-was-Kultur mit Sicherheit dezimiert. Dennoch deutet einiges darauf hin, dass die Arbeitslosigkeit nicht schlagartig steigen wird, das Pendel nicht ruckzuck umschlägt. Stärkstes Argument dafür ist unsere alternde Gesellschaft.
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