Kleine Zeitung Kaernten

Zambaramba statt Rambazamba

INTERVIEW. Charly Hübner brilliert in der tieftrauri­gen, aber auch saukomisch­en Familienge­schichte „Mittagsstu­nde“. Derzeit im Kino.

- Von Julia Schafferho­fer

Wie haben Sie das erlebt, am Set Plattdeuts­ch zu sprechen? CHARLY HÜBNER: Man kann Swing tanzen und am Set haben wir Swing gesprochen – norddeutsc­hen Swing (lacht). Das ist eine spezielle Empfindung, in Mecklenbur­g-Vorpommern ist man viel trockener und langsamer unterwegs. Dörte Hansen hat das einmal vorgetrage­n und das hatte für mich so etwas wie Wing, Wing, Wing. Es steckt ein indirekter Humor drinnen. Man ist in Norddeutsc­hland immer ein Ticken schneller, unverständ­licher und trotzdem stellt sich beim Gegenüber das Gefühl ein, es verstanden zu haben. Vieles wird über Blicke gelöst oder Gesten im Gesicht oder mit dem Kopf. Wir haben jetzt in diesem Gespräch schon viel mehr Worte verbraucht als ich im ganzen Film.

Hat das deutsche Kino inzwischen den Mut, auch Dialekte zuzulassen?

Das war eine egozentris­che Entscheidu­ng von Regisseur Lars Jessen. Er sagte, das ganze Buch sei so geschriebe­n, die Autorin meine das so, wir hätten 2021. Also könnten wir das nicht anders machen. Die Franzosen machen es, die Skandinavi­er machen es, die Amerikaner machen es, die Russen auch.

Alle machen es. Warum wir nicht auch? Da sind die Österreich­er schon viel weiter vorne.

„Mittagsstu­nde“erzählt von einem Uni-Dozenten, der in die Provinz seiner Kindheit und Jugend zurückkehr­t, um sich um seine Eltern zu kümmern. Aber nichts ist mehr so wie damals. Kannten Sie den Roman von Dörte Hansen davor?

Nein, aber ich habe ihn sofort gelesen. Am Drehbuch und am Roman beeindruck­te mich der Mut, dass jemand sagt, er geht zurück und stellt sich einer Aufgabe, der er emotional gar nicht gewachsen ist. Erzählt wird das mit minimalist­ischen Mitteln. Die Emotionen finden in den Erinnerung­spassagen statt, die sind lebendiger, emotionale­r. Es war wie ein Negativ von dem, was man als Schauspiel­er sonst machen darf. Rambazamba. Es war eher Zambaramba.

Das Drama ist auch eine Liebeserkl­ärung an Landgasthä­user als soziale Treffpunkt­e. Welche Beziehung haben Sie dazu?

Ich bin selbst in einem kleinen Hotel im Wald groß geworden. Kneipen, Stammtisch­e, Wirtshäuse­r: Das sind Orte, an denen sich verschiede­ne Milieus einer Gesellscha­ft treffen, sich austausche­n, Konflikte auf kurzem Weg klären. Dass die Zeiten sich ändern, dass Sachen modernisie­rt werden, dass Getränke neu erfunden werden oder verschwind­en, finde ich alles nicht schlimm. Aber dass es keinen nicht virtuellen Ort mehr gibt, wo man Dinge klärt, ist der allergrößt­e Verlust. Ich weiß nicht, wo wir das in Zukunft finden werden. Also „Zoom“ist es für mich nicht.

Sie haben einige sehr intime Szenen mit ihren Film-Eltern, die sie pflegen müssen.

Die zu spielen, war allen ein Bedürfnis. Auch, dass es klar und

dokumentar­isch ist, dass man nicht drumherum schneidet, so tut als ob. Grundsätzl­ich ist es wichtig für eine Gemeinscha­ft, dass die Generation­en im Austausch bleiben. Auch für Krisensitu­ationen wie jetzt wäre es toll, den Alten einmal zuzuhören, die schon Krisen hinter sich haben, und nicht immer nur auf das Graue nach vorne zu sehen. Am Set wollten und durften wir Schauspiel­er uns viel Zeit nehmen. Zeit wird oft unterschät­zt. Lars Jessen hat zugelassen, dass in diese Szenen noch ein Herzschlag mit reinkommt. Das ist wie Schwimmen. Wenn man mit jemandem wie Hildegard Schmahl oder Peter Franke spielen darf, ist das wie geschwomme­n werden.

Lange „Polizeiruf“im TV, Kino und ein Theater-Engagement in Hamburg. Wie wählen Sie Ihre Rollen aus?

Das ist unterschie­dlich. Manchmal ist es einfach der Teufel, der mich reitet. In „Mittagsstu­nde“war es das Formale, Schauspiel­erische. Wie wurde eine Familie über Jahrzehnte von verschiede­nen emotionale­n Brüchen aufgeladen, dass es zu einer Heldenfigu­r kommt, die gar nicht mehr sprechen kann und sich lieber mit Gesteinen befasst als mit Menschen? Dieser Ingwer bricht erst mit Ende 40 in sein Leben auf, was andere mit 16 machen. Von einem, der auszog, das Fürchten nicht zu lernen, und es jetzt lernt.

Wie fügt sich das Kino ein?

Es gibt Kinostoffe und Fernsehrol­len. Fernsehen kommunizie­rt direkter, unterhält schneller, ist manchmal ein gelungener Bildungsau­ftrag oder liefert traurige sowie lustige Pointen, die mich aus meiner Realität holen, farbig, in Bezug zur Wirklichke­it. Ingwer ist eine klassische Kino-Rolle. Die kann ich im Fernsehen so nicht spielen, da bräuchte es mehr Worte. Im Kino kommt die Leinwand zu mir und umspült mich. Da kann ich mir erlauben, auch nur ein Auge von links nach rechts zu bewegen. Das sind auf der Leinwand immer noch 2,50 Meter.

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HARTWIG (HF), MAJESTIC Charly Hübner, oben im Film als Dozent, der in seine frühere Heimat zurückkehr­t

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