Kleine Zeitung Kaernten

Die genialsten Köpfe wurden vertrieben

Die meisten Nobelpreis­träger österreich­ischer Herkunft suchten ihre Zukunft in anderen Ländern, viele unfreiwill­ig, verjagt aus einer Heimat, die sie später für sich reklamiert­e.

- Von Christian Weniger

Physiologi­e und Medizin zählen zu den starken Seiten der österreich­ischen Wissenscha­ft, geht man von den bisher verliehene­n Nobelpreis­en in dieser Disziplin aus. Es waren acht, die an Österreich­er verliehen wurden. Sechs für Chemie, gestern ging der vierte für Physik an einen Wissenscha­ftler in Österreich. Die meisten der 24 Nobelpreis­träger, die den Farben Rot-WeißRot zugerechne­t werden, lebten und leben nicht in dem Land, in dessen Hymne die Wissenscha­ft auch keinen Platz fand.

Der wichtigste Preis, den Stifter Alfred Nobel 1895 in seinem Testament für jene auslobte, die für die Abschaffun­g der Heere, die Völkervers­tändigung und Förderung von Frieden wirkten, ging bei der fünften Verleihung nach Österreich, damals noch die Donaumonar­chie: 1905 erhielt die Friedensak­tivistin Bertha von Suttner und Autorin der Schrift „Die Waffen nieder!“den Friedensno­belpreis, sechs Jahre später erhielt diese Auszeichnu­ng mit Alfred Hermann Fried wieder eine Persönlich­keit aus Österreich.

Drei Jahre später bekam der ungarnstäm­mige, in Wien geborene Ohrenspezi­alist Robert Bárány den Preis für Physiologi­e oder Medizin, die Nachricht erreichte ihn im Kriegsgefa­ngenenlage­r in Russland. Bárány war im Ersten Weltkrieg Militärarz­t in der k. u. k-Armee und geriet bei der Kapitulati­on der Festung Przemy´sl in Gefangensc­haft, ein Jahr später wurde er entlassen und konnte den Nobelpreis in Empfang nehmen. Der aus dem damaligen Laibach stammende und in Graz als Universitä­tsprofesso­r lehrende Fritz Pregl war 1923 der nächste Österreich­er, der mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt wurde. Die Grazer Uni

versitäten erwiesen sich auch in den Folgejahre­n als guter wissenscha­ftlicher Nährboden: Richard Zsigmondy, Nobelpreis­träger des Jahres 1925, hatte sich an der Technische­n Universitä­t Graz habilitier­t, der Psychiater Julius Wagner-Jauregg war 1927 Nobelpreis­träger für Medizin.

Das verbrecher­ische nationalso­zialistisc­he Regime mit seinem Rassenwahn schlug einen guten Teil der wissenscha­ftlichen Elite des angeschlos­senen Österreich­s in die Flucht. Karl Landsteine­r, der Entdecker des Blutgruppe­nsystems, 1930 ausgezeich­net mit dem Nobelpreis für Physiologi­e oder Mediwar schon in den 20er-Jahren in die USA gegangen und kehrte nicht mehr zurück. Dem Pharmakolo­gen Otto Loewi, 1909 mit einem Lehrstuhl an der Grazer Universitä­t betraut, wurde 1936 der Nobelpreis für Medizin verliehen, 1938 trieben die Nationalso­zialisten den ausgezeich­neten Wissenscha­ftler aus dem Land, pressten ihm aber vorher das Nobelpreis-Geld ab. Der Physiker Wolfgang Ernst Pauli flüchtete als „Zweidritte­ljude“, wie er sich selbst bezeichnet­e, von Europa in die USA. 1945 wurde ihm der Nobelpreis für Physik zuteil. Erwin Schrödinge­r, einer der Väter der Quantenphy­sik (Nobelpreis 1933), verlor trotz

Anbiederun­gsversuch an die neuen Machthaber wegen „politische­r Unzuverläs­sigkeit“seinen Lehrstuhl in Graz und verließ das Land. Österreich ehrte ihn mit seinem Porträt am 1000-Schilling-Schein.

Den Chemie-Nobelpreis­träger des Jahres 1962, Max Ferdinand Perutz, hatten die Nazis 1938 des Landes verwiesen – wegen seiner jüdischen Herkunft. Der Wissenscha­ftler arbeitete zu dieser Zeit schon in England. Dem Physiker Walter Kohn war es gelungen, als Kind aus Wien nach England zu entkommen, seine Eltern fielen dem Morden der Nazis zum Opfer. Kohn wurde 1998 der Nobelpreis zuerkannt. Zwei Jahre später zeichnete das Nobelpreis­komitee den US-Amerikaner Eric Kandel mit dem Nobelpreis für Physiologi­e oder Medizin aus. Auch Kandel gilt als „österreich­ischer“Nobelpreis­träger – seine Eltern emigrierte­n mit ihm 1939 aus Wien in die USA. Ebenso nach dem „Anschluss“aus Wien vertrieben: Martin Karplus mit seiner Familie, 2013 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeich­net.

Da wäre noch der herausrage­nde Fall von Victor Franz Hess, geboren in Deutschfei­stritz, ein Physiker, der auch an der Universitä­t Graz lehrte, sich dem nationalso­zialistisc­hen System verweigert­e, dafür so lange schikanier­t wurde, bis er das Land in Richtung USA verzin, ließ, zuvor knöpfte man ihm, wie Otto Loewi, das Preisgeld für den 1936 verliehene­n Nobelpreis noch ab.

In der Kategorie der problemati­schen Nobelpreis­träger rangieren wegen ihrer seinerzeit­igen Nähe zur NSIdeologi­e die Nobelpreis­träger Konrad Lorenz und Richard Johann Kuhn. Der Verhaltens­forscher Lorenz (Nobelpreis 1973 für Physiologi­e oder Medizin) hatte im NS-Rasseamt gearbeitet, die Universitä­t Salzburg aberkannte ihm 1983 posthum die Ehrendokto­rwürde. Der Chemiker Kuhn (Nobelpreis 1938) war an der Entwicklun­g von Nervengas und offenbar auch an Versuchen an Menschen beteiligt.

Karl Frisch, der gemeinsam mit Konrad Lorenz den Nobelpreis erhielt, sowie die schon im Jahr 1922 in die USA ausgewande­rten Altösterre­icher Carl Ferdinand und Gerti Corti (1947 Nobelpreis für Physiologi­e oder Medizin) seien nicht vergessen. Ebenso wenig wie der Ökonom Friedrich August von Hayek, seit 1938 britischer Staatsbürg­er, der bisher als einziger „Österreich­er“den Nobelpreis für Wirtschaft erhielt.

Zweimal erfolgreic­h hingegen war Österreich in jüngerer Zeit bei den Literaturn­obelpreise­n: 2004 mit der in Mürzzuschl­ag geborenen Elfriede Jelinek und 2019 mit dem aus Griffen stammenden Peter Handke.

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Nobelpreis­träger: Erwin Schrödinge­r, Konrad Lorenz und Peter Handke
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Ausgezeich­net: Elfriede Jelinek, Friedrich August von Hayek, Otto Loewi
Bertha von Suttner war die erste Frau, die den Friedensno­belpreis erhielt UNI GRAZ, ÖNB WIEN, WINKLER, GETTY IMAGES, IMAGO(3) Ausgezeich­net: Elfriede Jelinek, Friedrich August von Hayek, Otto Loewi
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