Die genialsten Köpfe wurden vertrieben
Die meisten Nobelpreisträger österreichischer Herkunft suchten ihre Zukunft in anderen Ländern, viele unfreiwillig, verjagt aus einer Heimat, die sie später für sich reklamierte.
Physiologie und Medizin zählen zu den starken Seiten der österreichischen Wissenschaft, geht man von den bisher verliehenen Nobelpreisen in dieser Disziplin aus. Es waren acht, die an Österreicher verliehen wurden. Sechs für Chemie, gestern ging der vierte für Physik an einen Wissenschaftler in Österreich. Die meisten der 24 Nobelpreisträger, die den Farben Rot-WeißRot zugerechnet werden, lebten und leben nicht in dem Land, in dessen Hymne die Wissenschaft auch keinen Platz fand.
Der wichtigste Preis, den Stifter Alfred Nobel 1895 in seinem Testament für jene auslobte, die für die Abschaffung der Heere, die Völkerverständigung und Förderung von Frieden wirkten, ging bei der fünften Verleihung nach Österreich, damals noch die Donaumonarchie: 1905 erhielt die Friedensaktivistin Bertha von Suttner und Autorin der Schrift „Die Waffen nieder!“den Friedensnobelpreis, sechs Jahre später erhielt diese Auszeichnung mit Alfred Hermann Fried wieder eine Persönlichkeit aus Österreich.
Drei Jahre später bekam der ungarnstämmige, in Wien geborene Ohrenspezialist Robert Bárány den Preis für Physiologie oder Medizin, die Nachricht erreichte ihn im Kriegsgefangenenlager in Russland. Bárány war im Ersten Weltkrieg Militärarzt in der k. u. k-Armee und geriet bei der Kapitulation der Festung Przemy´sl in Gefangenschaft, ein Jahr später wurde er entlassen und konnte den Nobelpreis in Empfang nehmen. Der aus dem damaligen Laibach stammende und in Graz als Universitätsprofessor lehrende Fritz Pregl war 1923 der nächste Österreicher, der mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt wurde. Die Grazer Uni
versitäten erwiesen sich auch in den Folgejahren als guter wissenschaftlicher Nährboden: Richard Zsigmondy, Nobelpreisträger des Jahres 1925, hatte sich an der Technischen Universität Graz habilitiert, der Psychiater Julius Wagner-Jauregg war 1927 Nobelpreisträger für Medizin.
Das verbrecherische nationalsozialistische Regime mit seinem Rassenwahn schlug einen guten Teil der wissenschaftlichen Elite des angeschlossenen Österreichs in die Flucht. Karl Landsteiner, der Entdecker des Blutgruppensystems, 1930 ausgezeichnet mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Mediwar schon in den 20er-Jahren in die USA gegangen und kehrte nicht mehr zurück. Dem Pharmakologen Otto Loewi, 1909 mit einem Lehrstuhl an der Grazer Universität betraut, wurde 1936 der Nobelpreis für Medizin verliehen, 1938 trieben die Nationalsozialisten den ausgezeichneten Wissenschaftler aus dem Land, pressten ihm aber vorher das Nobelpreis-Geld ab. Der Physiker Wolfgang Ernst Pauli flüchtete als „Zweidritteljude“, wie er sich selbst bezeichnete, von Europa in die USA. 1945 wurde ihm der Nobelpreis für Physik zuteil. Erwin Schrödinger, einer der Väter der Quantenphysik (Nobelpreis 1933), verlor trotz
Anbiederungsversuch an die neuen Machthaber wegen „politischer Unzuverlässigkeit“seinen Lehrstuhl in Graz und verließ das Land. Österreich ehrte ihn mit seinem Porträt am 1000-Schilling-Schein.
Den Chemie-Nobelpreisträger des Jahres 1962, Max Ferdinand Perutz, hatten die Nazis 1938 des Landes verwiesen – wegen seiner jüdischen Herkunft. Der Wissenschaftler arbeitete zu dieser Zeit schon in England. Dem Physiker Walter Kohn war es gelungen, als Kind aus Wien nach England zu entkommen, seine Eltern fielen dem Morden der Nazis zum Opfer. Kohn wurde 1998 der Nobelpreis zuerkannt. Zwei Jahre später zeichnete das Nobelpreiskomitee den US-Amerikaner Eric Kandel mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin aus. Auch Kandel gilt als „österreichischer“Nobelpreisträger – seine Eltern emigrierten mit ihm 1939 aus Wien in die USA. Ebenso nach dem „Anschluss“aus Wien vertrieben: Martin Karplus mit seiner Familie, 2013 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.
Da wäre noch der herausragende Fall von Victor Franz Hess, geboren in Deutschfeistritz, ein Physiker, der auch an der Universität Graz lehrte, sich dem nationalsozialistischen System verweigerte, dafür so lange schikaniert wurde, bis er das Land in Richtung USA verzin, ließ, zuvor knöpfte man ihm, wie Otto Loewi, das Preisgeld für den 1936 verliehenen Nobelpreis noch ab.
In der Kategorie der problematischen Nobelpreisträger rangieren wegen ihrer seinerzeitigen Nähe zur NSIdeologie die Nobelpreisträger Konrad Lorenz und Richard Johann Kuhn. Der Verhaltensforscher Lorenz (Nobelpreis 1973 für Physiologie oder Medizin) hatte im NS-Rasseamt gearbeitet, die Universität Salzburg aberkannte ihm 1983 posthum die Ehrendoktorwürde. Der Chemiker Kuhn (Nobelpreis 1938) war an der Entwicklung von Nervengas und offenbar auch an Versuchen an Menschen beteiligt.
Karl Frisch, der gemeinsam mit Konrad Lorenz den Nobelpreis erhielt, sowie die schon im Jahr 1922 in die USA ausgewanderten Altösterreicher Carl Ferdinand und Gerti Corti (1947 Nobelpreis für Physiologie oder Medizin) seien nicht vergessen. Ebenso wenig wie der Ökonom Friedrich August von Hayek, seit 1938 britischer Staatsbürger, der bisher als einziger „Österreicher“den Nobelpreis für Wirtschaft erhielt.
Zweimal erfolgreich hingegen war Österreich in jüngerer Zeit bei den Literaturnobelpreisen: 2004 mit der in Mürzzuschlag geborenen Elfriede Jelinek und 2019 mit dem aus Griffen stammenden Peter Handke.