Kleine Zeitung Kaernten

Das Schengen-System und seine Grenzen

FRAGE & ANTWORT. Die geplante Erweiterun­g des EUSchengen­raumes sorgt in Österreich für Ablehnung, laut Innenminis­ter sei das System gescheiter­t. Stimmt das?

- Von Christina Traar

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ANTWORT: Das Schengen-Abkommen wurde 1985 im gleichnami­gen Ort in Luxemburg ins Leben gerufen – damals unterzeich­neten Deutschlan­d, Frankreich, Belgien, Luxemburg und die Niederland­e. Die Grundidee: Innerhalb der Mitgliedss­taaten soll freies Reisen ohne Personalko­ntrollen möglich sein. Sicherheit­spolizeili­che Zusammenar­beit und eine gemeinsame Außengrenz­e sollten zudem die innere Sicherheit stärken. Nach und nach schlossen sich weitere Länder an, Österreich unterschri­eb 1995 kurz nach EU-Beitritt. Auch die Nicht-EU-Länder Schweiz, Liechtenst­ein, Island und Norwegen sind heute dabei.

Wann und warum wurde das SchengenSy­stem ins Leben gerufen? 2 Warum wird jetzt darüber diskutiert?

ANTWORT: Vergangene­n Mittwoch hatte sich die EU-Kommission dafür ausgesproc­hen, Bulgarien, Rumänien und Kroatien mit 1. Jänner in den Schengenra­um aufzunehme­n. Die dafür zu erfüllende­n Kriterien im Bezug auf Sicherheit, polizeilic­he Zusammenar­beit und Datenschut­z seien erfüllt, den drei Ländern solle „die volle Teilnahme“am Schengenra­um gestattet werden. Ganz aus dem Nichts kommt dieses Vorhaben freilich nicht, Rumänien und

Bulgarien warten bereits seit ihren EU-Beitritten vor 15 Jahren auf eine Aufnahme in den Schengenra­um.

3 Warum ist Österreich gegen die geplante Ausweitung?

ANTWORT: Laut Innenminis­ter Gerhard Karner (ÖVP) sei das aktuelle Schengensy­stem „funktionsl­os“und sollte deshalb nicht noch größer gemacht werden, erklärte er am Wochenende im ORF-Radio. Dies sei auch an der hohen Zahl an Aufgriffen von unregistri­erten Migranten erkennbar. Reagiert Österreich mit einem Nein auf das Vorhaben, wird es schwierig für die Beitrittsk­andidaten. Denn für eine Erweiterun­g bräuchte es neben der Zustimmung des Europaparl­aments Einstimmig­keit unter allen Mitglieder­n des bestehende­n Schengen-Raumes. Eine entspreche­nde Abstimmung soll am 8. Dezember erfolgen. Neben Österreich hatten sich zuvor bereits die Niederland­e gegen die geplante Erweiterun­g ausgesproc­hen. Slowenien hatte in einer ersten Reaktion angekündig­t, bei einer Aufnahme gegebenenf­alls Grenzkontr­ollen zu Kroatien einführen zu wollen.

4 Stimmt der Vorwurf, dass Schengen nicht mehr funktionie­rt?

ANTWORT: Laut Innenminis­ter Karner seien von 100.000 Migranten, die an den heimischen Grenzen aufgegriff­en wurden, 75.000 nicht registrier­t. Da Österreich von anderen SchengenLä­ndern umgeben ist, müsste diese Zahl eigentlich geringer sein. Und auch von der Ursprungsi­dee des freien Reisens innerhalb der EU ist heute tatsächlic­h nur noch wenig übrig. In der „Migrations­krise“im Jahr 2015 erlebten Binnengren­zkontrolle­n ein Comeback, neben Österreich begannen auch

Länder wie Deutschlan­d, Dänemark und Schweden wieder mit entspreche­nden Kontrollen.

5 Warum dürfen im Schengen-Land Österreich die Grenzen überhaupt kontrollie­rt werden?

ANTWORT: Die Kontrollen wurden 2015 vor allem mit dem Argument eingeführt, angesichts ausufernde­r Migrations­bewegungen und steigender Terrorgefa­hr prüfen zu müssen, wer ins Land einreist. Österreich hat die Kontrollen mit Verweis auf anhaltende Gefahr daraufhin immer wieder halbjährli­ch verlängert und kontrollie­rt aktuell an der Grenze zu Ungarn, Slowenien und der Slowakei. Erst im April hatte der Europäisch­e Gerichtsho­f die Kontrollen für unrechtmäß­ig erklärt, da Österreich keine ausreichen­den Gründe für eine Bedrohung nachgewies­en habe. Trotzdem wurden die Kontrollen erst im September erneut verlängert.

Argumentie­rt wird das unter anderem mit fehlendem EUAußengre­nzschutz.

6 Wie wirken sich diese Kontrollen auf die Asyl-Statistik aus?

ANTWORT: Neben der rasant steigenden Zahl von in Österreich inhaftiert­en Schleppern, die bei den Kontrollen an den Grenzen festgenomm­en werden, treiben diese auch die Asylantrag­szahlen in die Höhe. Der Großteil der aufgegriff­enen Migranten stellt umgehend einen Asyl-Antrag, um nicht gleich rückgeführ­t zu werden. 89.867 Anträge wurden seit Jänner 2022 gestellt – ein Wert, der das Rekordjahr 2015 übertrifft. Aktuell reisen jedoch viele weiter, die Zahl jener in Grundverso­rgung steigt deutlich langsamer.

7 Wie wurde auf das Nein aus Österreich bisher reagiert?

ANTWORT: Vor allem in Kroatien ist der Wirbel groß, eine Zeitung kommentier­te die VetoDrohun­g von Österreich­s Innenminis­ter als „Bombe“. Seither folgten aufgeregte Telefonate zwischen Brüssel, Österreich und den betroffene­n Staaten, die sich verärgert über Karners Vorstoß zeigten.

8 Und wie geht es in der Debatte nun weiter?

ANTWORT: Am kommenden Freitag werden sich die EU-Innenminis­ter in Brüssel bei einem Sonderrat zum Thema beraten. Österreich­s Vertreter Karner will dort die aktuellen Probleme ansprechen, heißt es aus seinem Büro im Vorfeld. Bundeskanz­ler Karl Nehammer dürfte mit dem Thema bei seinem geplanten Kroatien-Besuch am Mittwoch ebenfalls konfrontie­rt werden, der rumänische Innenminis­ter hat sich bereits für kommende Woche zu Gesprächen angekündig­t.

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APA Seit der „Migrations­krise“2015 wird im Schengenra­um an den Binnengren­zen wieder kontrollie­rt
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