Abhilfe aus Albanien
REPORTAGE. Österreich gehen die Arbeitskräfte aus. Mit Auslandsschulen will Bildungsminister Polaschek junge IT-Experten in unser Land locken. Szenen einer „Bildungsreise“nach Albanien.
Die Fundamente stehen. Vor dem „Canadian Kindergarten“kurz vor Tirana wird emsig gebaut, die Tafel über dem Eingangstor ist bereits angebracht, der Rest des Gemäuers lässt sich erahnen. Einige Kilometer weiter breitet sich der „Mercato Italiano“, ein italienischer Markt, fußballfeldgroß aus. Auf einem Schild in der Hauptstadt steht wiederum stolz: „International School“geschrieben. Die Welt, sie scheint hier zu Gast zu sein. Oder zum Greifen nah – eine Frage der Perspektive.
Hier, in Albanien, will Österreich die Ausbildung von dringend benötigten Fachkräften ins Rollen bringen. Wie akut das Thema ist, darauf deutet auch die vielköpfige Delegation hin, die dieser Tage mit Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) nach Albanien reiste. „Wir haben es nicht mit einem Fachkräfte-, sondern einem Arbeitskräftemangel zu tun“, findet Mariana Kühnel, stellvertretende Generalsekretärin der Wirtschaftskammer, klare Worte. Alleine 25.000 IT-Experten fehlen in Österreich. Ein Lösungsweg? – Nach Ansicht des Bildungsministers der Ausbau von Auslandsschulen. Nun sollen neue Standorte im Westbalkangebiet geprüft werden. Acht Bildungseinrichtungen gibt es bisher. Als Beispiel gelungener Zusammenarbeit dient die IT-HTL Shkodra im Norden des Landes. inter meterhohen Mauern und abgekratzten Zaunspitzen wird hier seit 15 Jahren unterrichtet. Netzwerktechnik, Verschlüsselungen, Web-Development. Von 47 Lehrern, 23 davon aus Österreich. Am Ende der Ausbildung wartet auf die Absolventen ein Maturazeugnis, das sowohl in ihrem Heimatland als
Hin Österreich anerkannt wird. Der Frauenanteil in der Computerbranche ist hierzulande verschwindend gering (2–3 Prozent). Nicht so in Albanien. „Hier liegt er bei 40 Prozent“, weiß der Schuldirektor Thomas Douschan. 500 Schülerinnen und Schüler zählt die HTL, die nun, im Beisein unzähliger Wirtschaftsdelegierter, ihr Jubiläum feiert. In einem Festzelt, das sonst als Turnplatz dient, werden Lobeshymnen angestimmt. Zahlreiche österreichische Firmen hadieser ben ihre Stände aufgebaut, um das Interesse der Jungen zu wecken, sie abzuwerben. So auch die 20-jährige Edra. Sie arbeitet nach ihrem Abschluss nun für die Wiener Software-Firma „Motrada“in Albanien. „Meine Eltern hatten die Idee, dass ich diese Schule besuchen soll. Jetzt bin ich ihnen dankbar.“Zuvor verschlossene Türen würden sich für sie öffnen. Auch im eigenen Land. nders als in der glühendmodernen Hauptstadt Tirana offenbart der Weg in die nördliche Kleinstadt Shkodra eine andere Facette des Landes. Hier weiß man nicht, ob Fundamente im Entstehen begriffen oder vielmehr Relikte vergangener Häuser sind. Da breiten sich zwar große Mercedes-Händler, aber noch größere Schrottplätze in der Landschaft aus. Die Anzahl an zerstörten Polizeiautos sticht schnell ins Auge. Da entsteht aufregende neue Architektur in der Hauptstadt – in Shkodra bleiben die Auslagen aber oft leer.
Im Inneren noch immer eine diffuse Parallelwelt, soll Albanien künftig als Blaupause für weitere Auslandsschulprojekte gelten. Eine durchaus bizarre Rolle, die einem Land zuteilwird, in dem man noch immer von Blutrache spricht und maauch
A
fiöse Verstrickungen um sich greifen. Jahrzehntelang litt das Land unter dem stalinistischen Regime Enver Hoxhas. Bunkeranlagen erinnern noch an diese Zeit. Tausende unterirdische Tunnelsysteme durchziehen das gesamte Land wie Blutgefäße, sagen die Leute hier. en Absprung im eigenen Land hat Orens geschafft. „Schüsse hör ich jeden Tag. Aber die Kriminellen bleiben mittlerweile unter sich“, so der Absolvent der HTL Shkodra in makellosem Deutsch. Zuvor hatte er Minister Polaschek mit verschmitztem Lächeln erklärt, dass er zunächst Hacker werden wollte. Nun arbeitet er als IT-Experte. „Albanien hat noch ein Imageproblem“, betont die stellvertretende Wirtschaftskammer-Generalsekretärin Kühnel und meint damit wohl ebenfalls Probleme mit Kriminalität. Diese würden mittlerweile der Vergangenheit angehören. Das Land verfüge über eine stabile Regierung, sei innovationsfreudig.
Geführt wird die HTL als Privatschule. 19 Millionen Euro Personalkosten deckt Österreich. Für die Schule müssen Eltern rund 1000 Euro pro Jahr zahlen. Nicht wenig in Albanien. Das durchschnittliche Einkommen beläuft sich auf
D400 Euro. Auch deshalb wird rund ein Fünftel der Schüler mit Stipendien, die der albanische Staat bezahlt, unterstützt. Oder, wie es ein Lehrer in einer Nebenbemerkung beschreibt: „Es kommt auch vor, dass wir Lehrer die Ausbildung mitbezahlen. Aber das wissen die betroffenen Schüler dann nicht“. Im Land bleiben die wenigsten, 80 Prozent der Absolventen zieht es ins Ausland. Den Vorwurf des „Braindrain“will der Bildungsminister nicht gelten lassen. Nicht wenige Schüler würden – auch aufgrund der geografischen Nähe – irgendwann mit viel Erfahrung in ihr Heimatland zurückkehren. Theoretisch. Bis dahin nehme man „alle Fachkräfte mit Handkuss“, so Kühnel von der WKO. Und auch Albanien scheint Freude an dem „Bildungsdeal“zu haben, wie Gespräche zeigen. Das Land ist einerseits energieautark, andererseits im Tourismus unterentwickelt. Mit dem sozialistischen (aber durchaus umstrittenen) Edi Rama strebt das Land den EUBeitritt an, möchte sich reformieren – wenn auch zunächst nur für eine gewisse Bevölkerungsschicht. Die Fundamente dafür stehen. Viel Arbeit steht bevor. Immerhin auf diesem Gebiet gibt es keinen Mangel.