Ausnahme als neue Regel
Von der Idee des Schengenraumes ist nicht mehr viel übrig – eine Folge gescheiterter EU-Asylpolitik. Um das zu ändern, müssen Länder wie Österreich die Blockade aufgeben.
Lange bevor sich die Autorin dieser Zeilen mit EU-Politik beschäftigt hat, prägte diese bereits ihr Leben. Als Kärntnerin war Italien nie weit, die Staus an der Grenze jedoch umso länger. Als 1998 der Grenzbalken zu Italien in die Höhe ging und das Familienauto zum ersten Mal an den verwaisten Hüttchen vor Tarvis vorbeibrauste, ohne von gestrengen Beamten beäugt zu werden, wurde das Konzept Europäische Union greifbar.
Bald zweieinhalb Jahrzehnte später ist von der Grundidee des Schengen-Abkommens, das freies Reisen innerhalb der Mitgliedsstaaten garantieren sollte, nicht mehr viel übrig. Mit der „Migrationskrise“2015 setzten zahlreiche Länder – unter anderem Österreich – wieder auf Binnengrenzkontrollen, um mögliche Gefahren durch die großen Fluchtbewegungen in den Ländern eindämmen zu können. Bei Reisen in die Nachbarländer musste daraufhin wieder entsprechende Zeit für den Grenzübertritt eingeplant werden, während der Pandemie bildeten sich kilometerlange Schlangen. Die Ausnahme ist zur Regeln geworden.
Ein Grund für das neue, alte Misstrauen an den Grenzübergängen liegt am Umstand, dass auch das zweite zentrale Schengen-Ziel – eine gemeinsame, gesicherte Außengrenze – nicht der Realität entspricht. Die Mittel für Frontex, Grenzmanagement und Co. werden seit Jahren aufgestockt, dennoch werden mitten in der EU tausende Flüchtlinge und Migranten aufgegriffen, die nirgendwo registriert wurden.
Dabei sollte genau das mit Ausbau des „Eurodac“-Systems, einem zentralen Register, in dem Asylwerber mit Fingerabdruck und biometrischen Daten erfasst werden, nicht passieren. Da laut Dublin-Verordnung jenes EU-Land, in dem ein Asylwerber erstmals EU-Boden betritt, für dessen Verfahren zuständig wäre, haben es die Länder an den Außengrenzen oft nicht besonders eilig mit der Registrierung.
Auch von der im Juni in Paris vollmundig verkündeten „historischen Einigung“für einen stärkeren Außengrenzschutz und einen „Solidaritätsmechanismus“bei der Verteilung ist heute nicht mehr viel zu hören. Und mit den Berichten über illegale, gewaltsame Push-Backs und ertrunkene Geflüchtete im Meer scheint man sich längst abgefunden zu haben. ass die Schengen-Idee kränkelt, ist eine Folge gescheiterter EU-Asylpolitik. Solange sich Mitglieder wie Österreich auf ihrer Blockadehaltung ausruhen, anstatt aktiv an einer Lösung zu arbeiten, wird die EU Schleppern weiterhin eine Geschäftsgrundlage bieten. Ein gemeinsames Vorgehen bedeutet auch für uns mehr Kosten, mehr Verantwortung, mehr Übernahmen und mehr Koordination. Für die EU wäre es aber eine Möglichkeit, endlich aus der Ohnmacht in die Handlungsfähigkeit zu kommen. Auch sieben Jahre nach Beginn der Flüchtlingskrise haben wir noch immer nicht verstanden, dass die Union das nur gemeinsam bewältigen kann. Wie damals, als die Grenzhüttchen zugesperrt wurden.
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