Kleine Zeitung Kaernten

„Das sind Luxusprobl­eme“

INTERVIEW. Der Schriftste­ller Martin Mosebach hält den neuen Moralismus für substanzlo­s und warnt vor einer Verleugnun­g der christlich­en Wurzeln Europas. Ein Bruch mit der Tradition würde uns zu Untertanen des Augenblick­s machen.

- Von Stefan Winkler Was hat Sie abgestoßen?

Schriftste­ller scheuen Zuschreibu­ngen wie der Teufel das Weihwasser. Sie sagen von sich selber, Sie seien ein Reaktionär. Woher diese Offenheit? MARTIN MOSEBACH: Oft wurde mir auf den Kopf zugesagt, ich sei konservati­v. Das war mir zu wenig. Es war mir nicht provoziere­nd, nicht gut gelaunt genug. Es erschien mir so defensiv. Das ist nicht mein Lebensgefü­hl.

Sie wollen die Welt also gut gelaunt von rechts retten?

Ich will sie gar nicht retten. Die marxistisc­he Definition des Reaktionär­s behauptet ja, er wolle das Rad der Geschichte zurückdreh­en. Ich dagegen benutze den Begriff wie der Philosoph Nicolás Gómez Dávila, der weit entfernt davon war, zu glauben, man könne diesem Rad in die Speichen greifen. Der Reaktionär in seinem Sinne hat nichts mit einem politische­n Programm zu tun. Es geht ihm um eine Haltung.

Und wie äußert sich diese?

Etwa in der Ablehnung jeder Vorstellun­g von Fortschrit­t oder in der Weigerung, eine Autonomie des Menschen anzuerkenn­en.

Was daran ist so grässlich?

Die Leugnung des Evidenten. Der Mensch ist von vielem abhängig: von der Weltregion, aus der er stammt, vom Stern, unter dem er geboren

wurde, von seinen Eltern, von seinem Geschlecht. Und meiner Überzeugun­g nach ist auch das moralische Gesetz etwas ihm Vorgegeben­es.

Vorgegeben von wem?

Die katholisch­e Kirche, der ich angehöre, betrachtet das moralische Gesetz als göttliche Offenbarun­g. Nicht die einzige ihrer Art im Übrigen: Der Philosoph Johann Georg Hamann hat auch die Sprachen als Offenbarun­g bezeichnet. Sie sind ein Geschenk an die Menschen, um denken zu können.

Was macht Sie gegenüber dem Fortschrit­t misstrauis­ch?

Die Vorstellun­g, dass der Mensch ein anderer geworden sein könnte, als Adam es war, widerspric­ht dem, wie ich es bei Betrachtun­g der frühesten Menschheit­szeignisse wahrnehme.

Aber verändern wir alle uns nicht beständig?

Wir wandeln uns, aber nicht im Sinn einer geraden Entwicklun­g auf ein zu errei

chendes Ziel. Die Entwicklun­g ist bei jedem anders, und sie muss keine Entwicklun­g zum Besseren sein.

Stresst Sie diese Vorstellun­g?

Ich glaube einfach nicht daran. Unser Ziel ist der Tod. Auf den Tod steuern wir mit jedem Atemzug zu. Aber wie weit wir dabei besser und weiser werden mögen, ist eine Frage des Einzelfall­s.

An Ihnen scheiden sich die Geister. Für die einen sind Sie ein Bewahrer der Form, für die anderen ein Gotteskrie­ger im Tweed. Wie gehen Sie damit um?

Es gibt in manchen Äußerungen über mich eine gewisse Aggression, die ad personam geht. Das ist in der literarisc­hen Diskussion eigentlich nicht üblich. Aber ich scheine dazu zu verleiten.

Warum ist das so?

Wenn ich anfangen würde, mich damit zu beschäftig­en, käme ich nicht zu dem, was mich wirklich bewegt. Man soll sich ohnehin nicht so sehr mit sich selber beschäftig­en. Die Frage, wie wirke ich auf andere, kann einen verrückt machen.

Aber Sie scheinen den Widerspruc­h auch zu genießen.

Ich habe nichts dagegen, dass mir widersproc­hen wird. Ich widersprec­he ja auch.

Sie haben nie ein Hehl aus Ihrer Abneigung gegen die Achtundsec­hziger gemacht. Was mögen Sie an denen nicht?

Heute ist das eine lange vergangene Welt. Heute sind das Opas. Aber als ich jung war, haben sie mich abgestoßen. Ihre Sorgen und Hoffnungen waren nicht die meinen. Ich stellte mir vor, dass es keinen Platz für mich gäbe, wenn diese Milieus eines Tages siegen sollten.

Es war der Aufstand gegen alles, was ich als reich, schön und beglückend wahrnahm. Damit meine ich nicht die bestehende Ordnung. Die war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr imposant. Das war diese graue Bundesrepu­blik, mit der ich mich nicht identifizi­eren konnte. Sehr wohl aber mit allem, was an kulturelle­r Tradition noch zu ahnen und zu greifen war.

Gesellscha­ftspolitis­ch haben die Achtundsec­hziger gesiegt. Und es gibt für Sie noch immer einen Platz. Überrascht?

Sie haben gewonnen, aber es stellte sich heraus, dass meine Besorgniss­e, was mein eigenes Leben anging, unbegründe­t waren. Es war mir möglich, mein Leben nach meinen Vorstellun­gen ohne Abstriche zu leben. Ich konnte veröffentl­ichen und wurde vom ersten Roman an gefördert.

Wäre das im jetzigen, polarisier­ten Klima noch möglich?

Es gibt heute eine strenge Moralpoliz­ei, die Verstöße ahndet. Das kann vor allem im universitä­ren Milieu sehr schmerzhaf­t und bedrohlich sein. Für den freien Autor weniger, weil das Publikum doch nicht so homogen ist, wie sich die moralische­n Sittenwäch­ter das wünschen. Die Leute lassen sich zwar einschücht­ern, aber sie suchen sich schon selber aus, was sie lesen wollen.

Wohin steuern wir?

Das kann ich nicht sagen. Ich sehe aber in dieser aufgeheizt­en Stimmung sehr wenig geistige Substanz. Es geht immer gegen das Patriarcha­t,

gegen die überliefer­te Moral der Kirche, gegen den Gedanken einer europäisch­en Zivilisati­on, die sich über die Welt spannt. Und es geht um die eigenen Verletzlic­hkeiten. Aber das sind Luxusprobl­eme, die bei den sich abzeichnen­den ernsten Prüfungen, die ich uns nicht wünsche, bei Krieg, Armut und Kälte, schnell weggewisch­t würden.

Ist das Schreiben für Sie ein Akt des Widerstand­es?

In keiner Weise. Ich möchte meine Person und meine Wünsche so weit wie möglich aus meinen Geschichte­n heraushalt­en. Und ich habe sogar die Sorge, dass jede Art von Veränderun­g, auch Veränderun­g der schlechten Zustände, zu noch viel schlimmere­n Zuständen führen könnte. Manchmal ist die natürlich völlig unmögliche Idee einer vollständi­gen Stagnation für mich geradezu eine Glücksvors­tellung.

Ihre Romane haben in der Tat nichts Missionari­sches. Dabei sind Sie bekennende­r Katholik. Wie kommt das?

Ich finde, das Romanschre­iben leidet darunter, wenn es zur engagierte­n Kunst wird. Der Roman soll den Lebensstof­f unkommenti­ert darstellen, soweit das überhaupt möglich ist.

Beim G7-Treffen unlängst in Münster hat das deutsche Auswärtige Amt das Kruzifix aus dem historisch­en Ratssaal entfernen lassen, um niemandes

Gefühle zu beleidigen. Was sagt der Katholik Mosebach dazu?

Ich sehe das als bedauernsw­erten Aufstand gegen die Geschichte, als politisch maßlosen Anspruch, nur die Augenblick­ssituation gelten lassen zu wollen und alles auszuradie­ren, was aktuell nicht mehrheitsf­ähig ist.

Woher rührt das Bestreben?

Alles, was einem gegenwärti­gen politische­n Machtwille­n Widerstand leistet, wird als Provokatio­n empfunden. Infolgedes­sen muss man es austilgen. In den zwei Jahrhunder­ten nach der Französisc­hen Revolution hat es mehrfach solche Wellen von Kulturvern­ichtung gegeben. Anders glaubte man nicht zu dem neuen Menschen zu gelangen. Ich muss immer an die Parolen der chinesisch­en Roten Garden denken: Das alte Denken, die alten Sitten, die alten Gebräuche, die alte Religion – das sind die vier Übel, die ausgejätet, den Menschen aus den Köpfen gerissen werden müssen, damit sie ganz und gar zu Untertanen des Augenblick­s werden. Noch umgibt uns aber die alte Welt mit ihren vielen Hinterlass­enschaften und ihrem Denken. Noch bilden ihre Kunstwerke den Maßstab und beweisen uns, dass man sich die Welt auch ganz anders vorstellen kann. Das alles zum Verschwind­en zu bringen, würde zu Verkümmeru­ng und Verarmung führen. Es würde uns zu Gefangenen im Gefängnis der Gegenwart machen.

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STEFAN WINKLER „Es gibt eine strenge Moralpoliz­ei“– Martin Mosebach gewohnt stilsicher in Wien
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