„Es wurde alles totgeschwiegen“
INTERVIEW. San Francisco, Sydney, Goa: Nun kommt „Schächten“bei uns ins Kino. Regisseur Thomas Roth über die Relevanz von Nazi-Geschichten heute.
Schächten“erzählt vom jüdischen Unternehmersohn Victor Dessauer, der als Bub Zeuge wird, wie seine Großeltern von Nazischergen ermordet, seine Mutter und Schwester verschleppt werden. Ende der 1960er scheitert er, den NS-Peiniger vor Gericht einer gerechten Strafe zuzuführen. Er beschließt, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen. Was hat Sie daran interessiert?
THOMAS ROTH: Angefangen hat alles mit dem Buch „Recht, nicht Rache“von Simon Wiesenthal, in dem akribisch Prozesse gegen Nazi-Verbrecher aufgearbeitet werden. Als ich das las, war ich schockiert, dass nur wenige der unzähligen Prozesse von 1950 bis Mitte der 1970er-Jahre hierzulande mit Schuldsprüchen endeten. Ich war erschüttert, dass Menschen mit derart verbrecherischen Viten in ein normales, ruhevolles Leben zurückkehren konnten. Obwohl sie das Leben und die Familien anderer über Generationen hinaus zerstört haben. Der Fall des Johann Gogl, im Film Kurt Gogl, hat mich besonders interessiert.
Warum?
Es war der letzte Nazi-Prozess, der in Österreich stattfand. Gogl stand zwei Mal vor Gericht. Zuerst wurde er in Linz verurteilt, danach freigesprochen – trotz massiver Beschuldigungen durch Zeugen. Aufgrund eines Verfahrensfehlers, wohl weil auch die ausländische Presse darauf schaute, wurde der Prozess in Wien noch einmal aufgenommen. Viele der Zeugen von damals erschienen nicht mehr, weil sie in Linz so behandelt wurden, wie ich es in „Schächten“zeige. Die Verhandlungsszenen sind fast gänzlich aus dem Transkript des Gerichts; sie entsprechen der Wahrheit.
Dazu kommt noch die wahre Geschichte eines jüdischen Filmproduzenten aus München, der Sie kontaktierte. Michael Wagner rief mich an und fragte, ob ich Interesse hätte, mir seine Familiengeschichte anzuhören. Sein Großvater floh vor den Nazis nach Paris, ging dort in die Widerstandsbewegung, kam nach dem Krieg zurück und kämpfte sich hier sein Unternehmen in drei Jahren wieder zurück. Das kam mir sehr besonders vor. Ich habe auch lange mit seinem Vater gesprochen. Und aus diesen beiden Teilen habe ich die Geschichte zusammengebaut, der Rest ist Fiktion.
Nach der Recherche: Wie ist Ihr Blick auf die 1960er?
Es wurde einfach alles totgeschwiegen. Keiner war dabei, keiner hat etwas gewusst und wenn jemand etwas gewusst hätte, hat er nicht darüber geredet. Österreich hat versucht, sich als Opfer darzustellen. Aus diesem Schweigen ist ein Vakuum entstanden.
Den ehemaligen Mauthausen-Kommandanten Gogl, der danach unbehelligt in Ihrem Film als Volksschuldirektor im Salzkammergut lebte, haben Sie mit Theaterwüterich Paulus Manker besetzt. Warum? Ich finde, er ist ein herausragender Schauspieler. Ich bewundere ihn für seine Theater-One-Man-Show, wo er nicht nur inszeniert und auftritt, sondern auch an der Abendkassa steht. Leute, die in ihrer Kunst so aufgehen, verdienen großen Respekt. Ich wollte nicht, dass diese Nazi-Figur zu einem Klischee verkommt. Also suchte ich nach einem Schauspieler, der auch den Intellekt hat, das darstellen zu können. Dafür erschien er mir ideal.
Wie wichtig ist es, dass man nicht aufhört, Geschichten aus der Nazi-Zeit zu erzählen?
Für mich ist es nicht nur ein Nazi-Aufarbeitungsfilm. „Schächten“befasst sich mit vielen Themen, die auch für die Gegenwart relevant sind: Es geht um Rassismus, Diskriminierung, Ausgrenzung von Minderheiten, Glaubenskriege, Rache und Gewalt. Und: Mir ist im Moment kein Film gegenwärtig, der sich in den 1960ern mit den wenigen Juden in Wien beschäftigt. Da gab es nicht mehr viele. Ich würde die Zuschauerinnen und Zuschauer gerne dort abholen, wo man sich fragt: Was würde ich machen, wenn meine sechsjährige Schwester und meine Mutter von jemandem im KZ erschossen werden und derjenige dann vor Gericht freikommt.
Was wünschen Sie diesen Film?
sich für
Publikum natürlich! Es wird nicht ganz einfach werden, aber ich hoffe trotzdem, dass „Schächten“sich sein Publikum erarbeiten wird.