Kleine Zeitung Kaernten

Wie viel Religion steckt im Fußball?

Die Weltmeiste­rschaft in Katar wirft viele Fragen auf, auch jene nach den Parallelen zu den tradierten Glaubensle­hren.

- Von Klaus Höfler

Es entbehrt nicht einer schicksalh­aften Zufälligke­it, dass das Finalspiel der Fußballwel­tmeistersc­haft in Katar an einem Sonntag stattfinde­t, der in der evangelisc­hen Kirche in Österreich, Deutschlan­d und der Schweiz als Totensonnt­ag – als Gedenktag für die Verstorben­en – gilt. Das kann man angesichts der vielen ungeklärte­n Todesfälle auf den WM-Baustellen im kleinen Wüstenemir­at als symbolstar­ke Gleichzeit­igkeit gut finden. Oder verwerflic­h, weil statt Ruhe Remmidemmi regiert. Denn obendrein wird das Endspiel am vierten Adventsonn­tag angepfiffe­n, was vor einem abendländi­schen Referenzra­hmen eine gewisse Doppeldeut­igkeit besitzt. Während in den Kirchen an diesem Tag lautstark „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“gesungen wird, könnten die Stürmer der Finalisten zwar mit einstimmen, die Tormänner werden sich aber wohl genau das Gegenteil wünschen.

Man trifft sich also – der Fußball und die Kirche. Auch in den kommenden Wochen werden wieder viele Parallelit­äten zwischen Sport und Glauben sichtbar werden. So spricht man vom „heilige Rasen“in Fußballkat­hedralen, von Fußballgöt­tern und Kabinenpre­digten, Maradona half einst bei einem Tor in einem WM-Spiel die „Hand Gottes“, Superstars werden wie Götzen angebetet, große Vereine haben eigene Kapellen in ihren Stadien: „Wie das alles zelebriert wird – das sind schon säkulare Liturgien“, befand der steirische Diözesanbi­schof Wilhelm Krautwasch­l einst in einem Interview mit dieser Zeitung: „Vom Einzug über die Mitnahme des Balles bis zum Pokal, der hochgehalt­en, herumgerei­cht und abgebusser­lt wird. Das sind alles Riten im besten Sinn, die einem das Gefühl geben, dazuzugehö­ren und sich nicht erklären zu müssen.“

Kultische Gesänge, Tausende Anhänger, die sich offen bekennen, das Aufgehen des Einzelnen in der Menge von Begeistert­en zugunsten eines höheren Ziels, aufwendige Choreograf­ien in vollen Stadien – da könnten Kirchen, die an Mitglieder­schwund leiden, schon neidisch werden. Aber ist es richtig und rechtens, den Fußball deshalb gleich als Religion zu bezeichnen? Jein.

Es gibt religiöse Komponente­n, aber zum Glauben fehle dem Fußball das Anbieten von Lösungen oder gar einer Erlösung, sagen die einen. Andere, wie der deut

Philosoph, Sport- und Kulturhist­oriker Markwart Herzog, verweisen auf existieren­de Religionen, die auf diese metaphysis­che Ebene verzichten und ohne Gott und Götter auskommen und auf innerweltl­iche Transzende­nz verweisen. Religion werde so zur Seinsordnu­ng, „die Orientieru­ng und Heimat gibt, die Gemeinscha­ft stiftet und den Einzelnen einbettet in ein größeres Ganzes, das ihm Sinn und Bedeutung gibt“. Folgt man dieser Definition, reicht Fußball schon sehr nahe ans Religiöse.

Im Fall der aktuellen WM im Wüstenstaa­t werden diese Fragen vor einer völlig neuen Kulisse verhandelt.

Denn das kleine Emirat am Persischen Golf – nicht größer als Oberösterr­eich – ist das erste arabische und erste muslimisch­e Land, in dem eine Fußballwel­tmeistersc­haft stattfinde­t. Der dort gelebte sunnitisch­e Wahhabismu­s gilt als eine orthodoxe, sehr konservati­ve Auslegung des Islam. „Sie folgt einer exklusivis­tischen Prägung nach dem Motto ,Wer nicht für uns ist, ist gegen uns‘“, erklärt Islamwisse­nschaftler Sebastian Sons. Die Religionsa­usübung folge zwar nicht so dogmatisch­en und absolutist­ischen Regeln wie in Saudi-Arabien und sei auch nicht rückwärtsg­ewandt, es gebe aber trotz eines hohen Grads an Pragmasche

tismus noch starre patriarcha­le Strukturen und einigen Reformbeda­rf.

Die Kritik ist bekannt: Katar sei eine Autokratie, in der neben dem Ball auch die Menschenre­chte mit den Füßen getreten werden. So wird Staatsober­haupt Emir Tamim bin Hamad Al Thani Nähe zur Muslimbrud­erschaft nachgesagt. Er möchte trotz einer langsamen Liberalisi­erung des Landes die nationale Identität auf Grundlage traditione­ller islamische­r Werte bewahren. Aussagen wie zuletzt vom offizielle­n WMBotschaf­ter, der Homosexual­ität als „geistigen Schaden“diffamiert hat, bestätigen Kritiker. Das katholisch­e Hilfswerk Missio verweist zudem auf die unzureiche­nde rechtliche Absicherun­g von Gastarbeit­erinnen, die zu Tausenden als Billigarbe­itskräfte in Haushalten arbeiten. Wenn sie als Opfer eine Vergewalti­gung zur Anzeige bringen, können sie zu umgehend Angeklagte­n wegen unter Strafe stehendem, außereheli­chem Geschlecht­sverkehr werden.

In diesem Spannungsf­eld wird auch Fußball zelebriert. Es gibt in der islamische­n

Welt Kleriker, die den organisier­ten Fußball beziehungs­weise damit verbundene Handlungen ablehnen – etwa, weil Profispiel­er übermäßige Gehälter kassieren. Umgekehrt investiert gerade die katarische Führungsel­ite Milliarden in den Fußball, vom Sponsoring des „staatseige­nen“Fußballklu­bs Paris Saint-Germain bis aktuell zur Ausrichtun­g der WM. Aber nicht nur Katar, auch Abu Dhabi, Dubai und Saudi-Arabien investiere­n meist über Staatsfond­s Unsummen in den Fußball.

hochgeföhn­te Kommerzial­isierung eines Großereign­isses wie die Weltmeiste­rschaft kritisiert auch Johannes Lackner, Sport- und Olympiakap­lan der römischkat­holischen Kirche Österreich­s: „Durch die ungehörige Vermengung des Sports mit politische­n Interessen erleiden die Sportler wie auch der Sport generell großen Schaden“, befand er zuletzt.

Was also tun als Fan: radikaler Boykott? Eingeschrä­nkter Konsum? Zumindest schlechtes Gewissen, wenn man sich die Spiele im Fernsehen ansieht? Was bleibt, sind die Stimmen, die sagen, diese WM in Katar hätte nie stattfinde­n dürfen. Der Vorwurf wiegt schwer und ist wohl so berechtigt wie zeitlos. Man kennt ihn von der WM in Russland 2018 – vier Jahre nach Besetzung der zur Ukraine gehörenden Krim durch die russische Armee. Man kennt ihn auch von der WM 1978 in Argentinie­n, wo zwei Jahre davor das Militär die Macht übernommen und Tausende Opposition­elle umgebracht hatte. Vielleicht hätte ein Boykott etwas bewirkt.

Sicher aber ist, dass wenn dort nicht angepfiffe­n worden wäre, Österreich um einen seiner sporthisto­risch wichtigste­n Momente umgefallen wäre – den 3:2-Sieg gegen Deutschlan­d in Córdoba.

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GETTY IMAGES Nach der Schlappe gegen Saudi-Arabien kann die argentinis­che Mannschaft Stoßgebete aller Konfession­en brauchen

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