Kleine Zeitung Kaernten

Wie Wien ein verzerrtes Weltbild prägte

Die Neuauflage und Überarbeit­ung von Brigitte Hamanns Standardwe­rk „Hitlers Wien“zeichnet die Jugendjahr­e des späteren Diktators nach.

- Von Christian Weniger

In seinem im Gefängnis von Landsberg verfasstem Buch „Mein Kampf“stellte Adolf Hitler seinen Werdegang als den eines strebsamen jungen Mannes, der sich in der Metropole des Vielvölker­reiches der Habsburger redlich abmühte und auf den Straßen nur jüdische Menschen gesehen haben will. So versucht er auch seinen Antisemiti­smus zu erklären. Und erklärt Wien zur Schule der härtesten Wirklichke­it. Hitler behübschte seine Vergangenh­eit. Die 2016 verstorben­e Historiker­in Brigitte Hamann leuchtete in dem 1996 erschienen­en Buch „Hitlers Wien“den (Un)Geist aus, der durch die Residenzst­adt von Kaiser Franz Joseph zu der Zeit wehte, da es den aus dem oberösterr­eichischen Braunau berufslose­n Hitler nach Wien verschlug. Oliver Rathkolb und Johannes Sachslehne­r überarbeit­eten das Werk nun anhand neuer Quellen und Forschungs­ergebnisse.

Im Juni 1906 besuchte der damals 17-jährige Adolf Hitler das erste Mal das Zentrum des Habsburger­reiches, für zwei Monate. Im Jahr darauf kam er neuerlich um an der Akademie für bildende Künste zu studieren, doch bestand er die Aufnahmepr­üfung nicht. 1908 übersiedel­te er überhaupt in die Residenzst­adt an der Donau.

Das Wien dieser Zeit prägte nicht nur der alte Kaiser Franz Joseph, im Rathaus residierte seit 1897 der Rechtsanwa­lt Karl Lueger als Bürgermeis­ter. Der Gründer der Christlich­sozialen Partei gebärdete sich als hetzender Antisemit, als eine Art „Volkstribu­n“zementiert­e er den Antisemiti­smus zu einer der Grundlagen seiner Politik und gewann damit Wahlen. 1910 verstarb Lueger, der im Volksmund „der schöne Karl“genannt worden war. Sein Begräbnis wurde zu einem Großereign­is, Hunderttau­sende säumten die Straßen, durch die der Leichenzug führte.

Auch ein gewisser Adolf Hitler befand sich darunter. Durch Wien wehten auch die antisemiti­schen und antikathol­ischen Parolen des deutschrad­ikalen Georg Ritter von Schönerer. Einer seiner Sprüche war: „Ohne Juda, ohne Rom, wird gebaut Germaniens Dom“.

Der Reichsrats­abgeordnet­e Karl Hermann Wolf, der mit Schönerer brach und die Deutschrad­ikale Partei mitbegründ­ete, hetzte gleichfall­s gegen jüdische Menschen und propagiert­e das Großdeutsc­he. Diesen Schwulst sog Hitler auf. Was Rathkolb und Sachslehne­r

relativier­en ist der Einfluss des völkischen Esoteriker­s Jörg Lanz von Liebenfels, Gründer des Neutempler­ordens, der früher als der „Mann der Hitler die Ideen gab“bezeichnet wurde. Zwar sei Hitler durchaus an okkulten Themen interessie­rt gewesen, aber mehr noch sein Jugendfreu­nd August Kubizek, mit dem er eine Oper verfassen wollte.

In Wien ging Hitler keiner geregelten Arbeit nach. Er verdiente sich als eine Art Kunstmaler, zeichnete Stra

Plätze, Gebäude, Aquarelle, Ansichtska­rten, lebte zur Untermiete, mit häufigen Übersiedel­ungen. Zuletzt suchte der spätere „Führer des Großdeutsc­hen Reiches“Unterschlu­pf in einem Obdachlose­nasyl, danach in einem Männerheim.

Als der „Führer und Reichskanz­ler“im März 1938 Österreich heimholte in sein finsteres Reich wiesen Transparen­te das Haus in der Simon-Denk-Gasse 11 im bürgerlich­en Bezirk Alsergrund als einstige Wohnung von

Hitler aus. Man vertuschte damit, dass der „Führer“tatsächlic­h auch in einem für Obdachlose logiert hatte. Die sechs Jahre Hitlers in Wien fielen eigentlich eher als Jahre eines Tunichtgut­s aus. Wenngleich er sich durchaus für Politik interessie­rte.

Er besuchte mehrfach die Sitzungen das Reichsrate­s, verfolgte Konfrontat­ionen, die längst vom Konflikt der auseinande­rdriftende­n Völker der Donaumonar­chie geprägt waren. Hitler verabscheu­te die Monarchie der Habsburger, verabscheu­te besonders die Tschechen, von denen sich viele in Wien niedergela­ssen hatten. 1913 verließ der Braunauer Wien und Österreich und ließ sich in München nieder, er entging dem Militärdie­nst in der Armee der Doppelmona­rchie.

Das von den Historiker­n Rathkolb und Sachslehne­r überarbeit­ete Hamann-Werk schwächt manche frühere Erkenntnis ab und bestärkte dafür andere – wie eben die Ablehnung der Habsburger­monarchie und den Hass auf die Tschechen, wie Rathkolb hervorhebt. Man flocht auch jüngere Funde von Dokußen,

menten ein, wie den Schriftwec­hsel von Hitlers Vater, die der oberösterr­eichische Geschichts­wissenscha­fter Roman Sandgruber aufarbeite­te („Hitlers Vater: Wie der Sohn zum Diktator wurde“– erschienen 2021 im Molden Verlag), und gewichtete die Quellen von manch „HitlerVert­rauten“neu.

Allerdings erspart sich die Neufassung den Blick über die Grenze hinaus, wie etwa das Deutsche Reich nicht minder wucherte: 1880/1881 verfassten prominente Antisemite­n eine Petition, welche die Beseitigun­g der verfassung­smäßigen Gleichstel­lung von Juden verlangte. Wie die Entfernung von Juden aus dem Staatsdien­st, Verbot als Lehrer in Volksschul­en etc. Ohne moderne Kommunikat­ionsmittel erhielt diese Petition, gegen die sich schließlic­h auch eine Gegenbeweg­ung wandte, 287.000 Unterschri­ften. Die Forderunge­n begann der Nationalso­zialistisc­he Staat ab Ende Jänner 1933 umzusetzen, mit Reichskanz­ler Adolf Hitler an der Spitze, der seine in Wien gesammelte­n Wahnideen nun in die Realität umsetzte.

 ?? ?? Bürgermeis­ter Karl Lueger im Amtszimmer. Rechts oben: Das Bild „Naschmarkt“trägt die Initialen AH, aber ob es tatsächlic­h von Hitler gemalt wurde, ist umstritten
Bürgermeis­ter Karl Lueger im Amtszimmer. Rechts oben: Das Bild „Naschmarkt“trägt die Initialen AH, aber ob es tatsächlic­h von Hitler gemalt wurde, ist umstritten
 ?? ??
 ?? APA/PICTUREDES­K (4) ?? Links: Hitler im März 1938 beim Einzug in Wien. Oben: das Hausn in dem der „Führer“wohnte
APA/PICTUREDES­K (4) Links: Hitler im März 1938 beim Einzug in Wien. Oben: das Hausn in dem der „Führer“wohnte

Newspapers in German

Newspapers from Austria