Wie Wien ein verzerrtes Weltbild prägte
Die Neuauflage und Überarbeitung von Brigitte Hamanns Standardwerk „Hitlers Wien“zeichnet die Jugendjahre des späteren Diktators nach.
In seinem im Gefängnis von Landsberg verfasstem Buch „Mein Kampf“stellte Adolf Hitler seinen Werdegang als den eines strebsamen jungen Mannes, der sich in der Metropole des Vielvölkerreiches der Habsburger redlich abmühte und auf den Straßen nur jüdische Menschen gesehen haben will. So versucht er auch seinen Antisemitismus zu erklären. Und erklärt Wien zur Schule der härtesten Wirklichkeit. Hitler behübschte seine Vergangenheit. Die 2016 verstorbene Historikerin Brigitte Hamann leuchtete in dem 1996 erschienenen Buch „Hitlers Wien“den (Un)Geist aus, der durch die Residenzstadt von Kaiser Franz Joseph zu der Zeit wehte, da es den aus dem oberösterreichischen Braunau berufslosen Hitler nach Wien verschlug. Oliver Rathkolb und Johannes Sachslehner überarbeiteten das Werk nun anhand neuer Quellen und Forschungsergebnisse.
Im Juni 1906 besuchte der damals 17-jährige Adolf Hitler das erste Mal das Zentrum des Habsburgerreiches, für zwei Monate. Im Jahr darauf kam er neuerlich um an der Akademie für bildende Künste zu studieren, doch bestand er die Aufnahmeprüfung nicht. 1908 übersiedelte er überhaupt in die Residenzstadt an der Donau.
Das Wien dieser Zeit prägte nicht nur der alte Kaiser Franz Joseph, im Rathaus residierte seit 1897 der Rechtsanwalt Karl Lueger als Bürgermeister. Der Gründer der Christlichsozialen Partei gebärdete sich als hetzender Antisemit, als eine Art „Volkstribun“zementierte er den Antisemitismus zu einer der Grundlagen seiner Politik und gewann damit Wahlen. 1910 verstarb Lueger, der im Volksmund „der schöne Karl“genannt worden war. Sein Begräbnis wurde zu einem Großereignis, Hunderttausende säumten die Straßen, durch die der Leichenzug führte.
Auch ein gewisser Adolf Hitler befand sich darunter. Durch Wien wehten auch die antisemitischen und antikatholischen Parolen des deutschradikalen Georg Ritter von Schönerer. Einer seiner Sprüche war: „Ohne Juda, ohne Rom, wird gebaut Germaniens Dom“.
Der Reichsratsabgeordnete Karl Hermann Wolf, der mit Schönerer brach und die Deutschradikale Partei mitbegründete, hetzte gleichfalls gegen jüdische Menschen und propagierte das Großdeutsche. Diesen Schwulst sog Hitler auf. Was Rathkolb und Sachslehner
relativieren ist der Einfluss des völkischen Esoterikers Jörg Lanz von Liebenfels, Gründer des Neutemplerordens, der früher als der „Mann der Hitler die Ideen gab“bezeichnet wurde. Zwar sei Hitler durchaus an okkulten Themen interessiert gewesen, aber mehr noch sein Jugendfreund August Kubizek, mit dem er eine Oper verfassen wollte.
In Wien ging Hitler keiner geregelten Arbeit nach. Er verdiente sich als eine Art Kunstmaler, zeichnete Stra
Plätze, Gebäude, Aquarelle, Ansichtskarten, lebte zur Untermiete, mit häufigen Übersiedelungen. Zuletzt suchte der spätere „Führer des Großdeutschen Reiches“Unterschlupf in einem Obdachlosenasyl, danach in einem Männerheim.
Als der „Führer und Reichskanzler“im März 1938 Österreich heimholte in sein finsteres Reich wiesen Transparente das Haus in der Simon-Denk-Gasse 11 im bürgerlichen Bezirk Alsergrund als einstige Wohnung von
Hitler aus. Man vertuschte damit, dass der „Führer“tatsächlich auch in einem für Obdachlose logiert hatte. Die sechs Jahre Hitlers in Wien fielen eigentlich eher als Jahre eines Tunichtguts aus. Wenngleich er sich durchaus für Politik interessierte.
Er besuchte mehrfach die Sitzungen das Reichsrates, verfolgte Konfrontationen, die längst vom Konflikt der auseinanderdriftenden Völker der Donaumonarchie geprägt waren. Hitler verabscheute die Monarchie der Habsburger, verabscheute besonders die Tschechen, von denen sich viele in Wien niedergelassen hatten. 1913 verließ der Braunauer Wien und Österreich und ließ sich in München nieder, er entging dem Militärdienst in der Armee der Doppelmonarchie.
Das von den Historikern Rathkolb und Sachslehner überarbeitete Hamann-Werk schwächt manche frühere Erkenntnis ab und bestärkte dafür andere – wie eben die Ablehnung der Habsburgermonarchie und den Hass auf die Tschechen, wie Rathkolb hervorhebt. Man flocht auch jüngere Funde von Dokußen,
menten ein, wie den Schriftwechsel von Hitlers Vater, die der oberösterreichische Geschichtswissenschafter Roman Sandgruber aufarbeitete („Hitlers Vater: Wie der Sohn zum Diktator wurde“– erschienen 2021 im Molden Verlag), und gewichtete die Quellen von manch „HitlerVertrauten“neu.
Allerdings erspart sich die Neufassung den Blick über die Grenze hinaus, wie etwa das Deutsche Reich nicht minder wucherte: 1880/1881 verfassten prominente Antisemiten eine Petition, welche die Beseitigung der verfassungsmäßigen Gleichstellung von Juden verlangte. Wie die Entfernung von Juden aus dem Staatsdienst, Verbot als Lehrer in Volksschulen etc. Ohne moderne Kommunikationsmittel erhielt diese Petition, gegen die sich schließlich auch eine Gegenbewegung wandte, 287.000 Unterschriften. Die Forderungen begann der Nationalsozialistische Staat ab Ende Jänner 1933 umzusetzen, mit Reichskanzler Adolf Hitler an der Spitze, der seine in Wien gesammelten Wahnideen nun in die Realität umsetzte.