Mehr oder weniger öffentlich-rechtlich
Die Versuche zur Rettung der „Wiener Zeitung“pendeln zwischen Entlassung auf den freien Markt und öffentlich-rechtlicher Stärkung. Denn der Gesetzesentwurf für das Blatt der Republik bedeutet das Ende des tagesaktuellen Papiers. Nur digital aber sei die Zeitung nicht marktfähig, sagt Medienwissenschaftler Josef Trappel. Den Wettbewerb mit ORF.at könne sie nicht gewinnen.
Diese „blaue Seite“steht aber im Visier der Mitbewerber ohne Rundfunkgebühr. Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter forderte ihre Abschaffung. ORF-Chef Roland Weißmann will die Texteinheiten halbieren. Brandstötter aber legt nach und stellt auch die Zahl der TV- und Radiosender infrage. Vor der Finanzierung will sie die Aufgaben des ORF diskutieren. Diese Grundsatzfrage wirkt notwendig. Denn die zeitgemäße Definition von öffentlich-rechtlichem Rundfunk (das Wort zeigt den Reformbedarf ) ist überfällig und kann nicht ihm selbst überlassen bleiben, weil er Gemeingut ist.
D ie Neuerfindung darf aber auch kein bloßer Parteienstreit sein. Dass die Neos vorpreschen, liegt am
System. Noch hat jede Partei, die an ORF-Schalthebel kam, ihre zuvor hehre Medienpolitik der Machtausübung geopfert. Die Grünen sind das aktuelle Beispiel. Es braucht massive zivilgesellschaftliche Einmischung, deren Druck bis zur Volksabstimmung führen könnte – wie sie in der Schweiz die SRG überraschend gut gemeistert hat. Allein die Vorbereitung darauf wäre der beste Selbstreformschub für den ORF. erartige Gedankenspiele bleiben seit Jahrzehnten eine Illusion. Die jeweilige Parteienmehrheit wird den ORF so lange als ihre Medienbastion betrachten, bis er eine solche Stärke – trotz respektabler journalistischer Widerständigkeit – aufgrund überholter Rahmenbedingungen nicht mehr hat. Dabei geht es nicht um Ausweitung, sondern Schärfung des öffentlichen Auftrags – und allenfalls auch um Verschlankung und Synergien: Wenn die „Wiener Zeitung“nur digital vor allem wegen ORF.at nicht wettbewerbsfähig ist: Warum übernimmt dann nicht sie die „blaue Seite“? Doch solche Ideen gelten bei den öffentlichen Hütern von Rundfunk und Papier geradezu als Blasphemie.
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