Das Königreich der zerplatzten Illusionen
Die Briten sind vom Brexit nicht mehr überzeugt, werden daran aber noch lange schlucken. Eine Insel wurde zum Sanierungsfall.
Großbritannien in der Bredouille: Der ökonomische Flächenbrand, den der 2016 von 52 Prozent gewünschte Brexit auslöste, ist offenkundig (siehe Infoboxen). Ein Debakel mit viel Anlauf. braucht Fluchtwege, bloß: Der Weg zurück in die EU scheint für die Regierung undenkbar – auch wenn die Briten heute einem Brexit mehrheitlich nicht mehr ihren Segen geben würden. Wieder in einen EU-Binnenmarkt einzutreten und damit das Brüsseler Regelwerk grosso modo zu akzeptieren, käme für die konservative Regierung von Premierminister Rishi Sunak einem Gesichtsverlust gleich: Ein Exit vom Brexit wäre für viele Tories ein Sündenfall – ungeachtet der Rezession, eines für 2023 erwarteten BIP-Verlustes von 1,4 Prozent und des eklatanten Arbeitskräftemangels in neuralgischen Bereichen der von Teuerung und Energiekrise gebeutelten Gesellschaft. Damit würde man die Parteilinie der letzten Jahre desavouieren.
In Windeseile dementierte man jüngst Berichte, wonach sich die Londoner Regierung doch eine Zukunft nach Schweizer Vorbild vorstellen könnte, als Falschmeldung. Abgesehen davon, dass sich die Eidgenossen als Sonderfall über Jahrzehnte 120 bilaterale Abkommen mit der EU aushandelten, lobt Sunak weiter Vorzüge des Austritts aus der Europäischen Union – Zahlen, die eine Rezession einläuten, zum Trotz: „Ich glaube an den Brexit und ich weiß, dass der Brexit gewaltige Vorteile und Möglichkeiten für das Land liefern kann – und bereits geliefert hat.“Konkrete, tragfähige Beispiele dafür stehen offenbar weiter aus.
Großbritannien steht seit dem Vollzug des Brexits Anfang 2020 an der selbst gewählten Seitenauslinie. Nun müssen die Tories Alternativen bzw. eine gemeinsame Basis mit der EU finden. Sunak ist – anders als Kurzzeit-Vorgängerin Liz Truss – immerhin klug genug, um die Tür zu Brüssel nicht ganz zuzuschlagen: Die Option, Handelshemmnisse mit der EU zu beseitigen, lässt er deshalb offen.
Mark Price, Ex-Tory-Handelsminister, formuliert es so, wenn er von London ein gutes und konstruktives Verhältnis zu Brüssel einfordert: „Wir müssen anfangen, ein kooperativer Nachbar zu sein.“